Worst-Case-Szenarien: „Kipp-Kaskade“ könnte zum Aussterben der Menschheit führen

Klimakrise Eine gerade veröffentlichte Studie zeigt: Die Worst-Case-Szenarien des Klimawandels sind gefährlich untererforscht. Uns drohen bis zu acht Grad Erderwärmung. Warum selbst der Weltklimarat nicht Klartext spricht
Exklusiv für Abonnent:innen | Ausgabe 33/2022
Das Endspiel heißt Klimakrise
Das Endspiel heißt Klimakrise

Foto: Malte Uchtmann

Alles wird gut. Das sagt man Kindern vor dem Einschlafen – und das sagen wir uns immer öfter gegenseitig. Stets schön positiv bleiben – jeder Lebensratgeber empfiehlt das. Auch in der Klimaberichterstattung konzentrieren wir uns auf die Hoffnungsschimmer. Da beginnen Überschriften gerne mit „Warum es noch nicht zu spät ist“. Jetzt mal eine ziemlich ketzerische Frage: Was, wenn es doch zu spät sein sollte?

Wir können uns natürlich weiter an Chinas neuen Windkraftanlagen erfreuen oder an den hohen Gaspreisen (die mögen Sie persönlich nicht gut finden, aber fürs Klima sind die gut) und Berechnung über Berechnung darüber anstellen, wie schön die Welt bei einer maximalen Erwärmung von 1,5 (na gut: zwei Grad) aussähe.

Aber mit den bisherigen Klimazielen steuert die Welt auf eine Erwärmung von 2,4 Grad zu, mit den derzeitigen Maßnahmen sogar auf 2,7 Grad. Nur damit Sie mal eine Vorstellung bekommen: Temperaturen von mehr als zwei Grad über den vorindustriellen Werten herrschten auf der Erdoberfläche seit dem Pleistozän nicht mehr – das ist mehr als 2,6 Millionen Jahre her.

Stirbt die Menschheit nun aus?

Ein internationales Forscherteam stellt deswegen in einer gerade in der US-Fachzeitschrift PNAS veröffentlichten Analyse die unbeliebte Frage: „Könnte der anthropogene Klimawandel zu einem weltweiten gesellschaftlichen Zusammenbruch oder sogar zum Aussterben der Menschheit führen?“ Unter ihnen sind einige der renommiertesten Klimaforscher der Welt: Johan Rockström (Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung) und Hans Joachim Schellnhuber (sein Vorgänger).

Sie sagen: Das klimatische Worst-Case-Szenario ist gefährlich untererforscht. Aber: „Es gibt genügend Gründe für den Verdacht, dass der Klimawandel zu einer globalen Katastrophe führen könnte.“ Vielleicht wird einfach doch nicht alles gut?

Bevor ich ins Detail gehe: Ich habe mir gut überlegt, ob ich diesen Text schreiben sollte. Ich habe sogar Studien darüber gelesen, was das mit Ihnen, liebe Leser:innen, macht. Denn mir ist nicht daran gelegen, dass Sie in Hysterie oder Apathie verfallen. Aber ich kann Sie beruhigen: Die Forschung sagt, dass Appelle an Ihre Furcht Ihre Einstellungen, Absichten und Verhaltensweisen höchstwahrscheinlich positiv beeinflussen.

Also nun zu den Fakten: Es sieht nicht gut aus, gar nicht gut. Was genau das bedeutet, wissen wir nicht. Denn auch der Weltklimarat scheue den Blick in den Abgrund, um keine Panikmache zu betreiben, schreiben die Forschenden in ihrer Analyse, die sie übrigens treffend mit „Climate Endgame“ überschrieben haben. Gängige Klimamodelle würden zudem Rückkopplungen wie den Kohlenstoffverlust durch Dürren und Brände im Amazonasgebiet nicht berücksichtigen, weswegen die Emissionen beim Überschreiten von Kipppunkten abrupt sehr viel höher sein könnten als angenommen.

Acht Grad heißer

Besonders besorgniserregend sei die Möglichkeit einer „Kipp-Kaskade“, bei der eine Katastrophe zur nächsten führt. Zum Beispiel könnte die häufigste Wolkengattung in Mitteleuropa, Stratocumulus, bei CO₂-Konzentrationen, die bis zum Ende des Jahrhunderts möglicherweise erreicht werden, abrupt verschwinden. Das würde eine zusätzliche globale Erwärmung von ungefähr acht Grad (!) verursachen.

Wir müssen nicht spekulieren, was das bedeutet: „Der (regionale oder globale) Klimawandel hat beim Zusammenbruch oder Wandel zahlreicher früherer Gesellschaften und bei jedem der fünf Massenaussterben in der Erdgeschichte des Phanerozoikums (Anm. d. Red.: Zeitabschnitt des sichtbaren Lebens auf der Erde) eine Rolle gespielt“, schreiben die Forschenden.

Doch davor wird er internationale Konflikte auslösen und die Verbreitung von Krankheiten so stark verschlimmern, dass wir uns nicht daran werden anpassen können. Letzteres fanden Forschende in einer gerade im Fachmagazin Nature Climate Change veröffentlichten Studie heraus. Darin schreiben sie, dass unsere einzige Chance sei, an der Quelle des Problems anzusetzen: Treibhausgase radikal reduzieren.

Ich schreibe das hier, weil in uns allen ein Rest naive Hoffnung wohnt, dass die Konfrontation mit der Furcht einen Unterschied machen wird. Dass wir endlich aufwachen und versuchen, zu retten, was noch zu retten ist. Damit doch noch alles gut wird.

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