Neuer Frontex-Chef Hans Leijtens will keine Pushbacks: Europas Grenzen der Menschlichkeit

Meinung Der Niederländer Hans Leijtens will den Respekt vor den Menschenrechten nicht vernachlässigen, wenn es unter seiner Verantwortung um die Überwachung der EU-Außengrenzen geht
Ausgabe 04/2023
EU-Innenkommissarin Ylva Johansson und der neue Frontext-Chef Hans Leijtens
EU-Innenkommissarin Ylva Johansson und der neue Frontext-Chef Hans Leijtens

Foto: Kenzo Tribouillard/AFP/Getty Images

Ganz neue Töne waren es, die vergangene Woche aus Brüssel kamen. Hans Leijtens, designierter Frontex-Direktor, trat nach einem Treffen mit EU-Innenkommissarin Ylva Johansson vor die Presse. Er bekannte sich zu Transparenz, zeigte sich offen für die Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen und erklärte den Respekt vor Menschenrechten zum Leitmotiv einer EU-Agentur, die mit einem Budget von derzeit 754 Millionen Euro die größte ihrer Art ist: „Pushbacks sind verboten. Also bin ich dafür verantwortlich, dass meine Leute an nichts teilnehmen, was Pushback genannt wird. Das ist vollkommen klar.“

Leijtens, der am 1. März antritt und zuvor den niederländischen Grenzschutz führte, bekam für seine Worte viel Anerkennung. Was schlicht daran liegt, dass sich die Behörde zum Schutz der Außengrenzen seit Jahren meilenweit von Standards entfernt hat, die Minimalkonsens für einen Staatenbund sein sollten, der sich als Matrix für Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte versteht. Doch hinkt Frontex diesem Anspruch gerade beim Thema Migration und wegen der Lage an den Außengrenzen weit hinterher.

Die jüngste Bilanz der rasant gewachsenen Behörde ist verheerend. Seit Jahren häufen sich Berichte, wonach sich Frontex in der Ägäis der Komplizenschaft bei Pushbacks schuldig macht, die klar gegen die Genfer Konventionen verstoßen. Der 2022 geleakte Bericht des EU-Anti-Betrugsbüros OLAF bestätigt die Vorwürfe. Leijtens’ Vorgänger, der Franzose Fabrice Leggeri, der die Vergehen immer bestritt und eher dem Vertuschen als Aufklären zugetan war, musste daher im April 2022 zurücktreten.

Hans Leijtens soll Wandel bei Frontex einleiten

Dass EU-Kommission und -Parlament nach ihrem deutlichen Votum für Leijtens als Frontex-Chef nun auf Neuanfang und Kulturwandel setzen, ist so nachvollziehbar wie offensichtlich. Gelingen kann das nur, wenn dem die Erkenntnis zugrunde liegt, dass Frontex weder durch eine Verkettung ungünstiger Umstände noch personelle Fehlbesetzungen diskreditiert ist. Vielmehr spiegelt sich darin eine Migrationspolitik, die Menschenrechte dem Willen zur Abschottung unterordnet und Inhumanität als Kollateralschaden hinnimmt.

Beispiele gibt es allein in jüngster Zeit zur Genüge, etwa das im Dezember vorgelegte Black Book of Pushbacks. Es enthält mehr als 1.600 Zeugnisse Betroffener. Im selben Monat erschienen Berichte über geheime Gefängnisse in Bulgarien, Ungarn und Kroatien, in denen Asylsuchende festgehalten und später von dort abgeschoben werden. Und es gibt das Video über einen jungen Syrer, der – aus der Türkei kommend – von bulgarischen Grenzern beschossen und lebensgefährlich verletzt wurde.

Just an dem Tag, da Leijtens seinen Kurswechsel verkündete, wurde zudem bekannt, dass Italien Geflüchtete auf dem Unterdeck von Fähren nach Griechenland befördert – eingesperrt, angekettet, unzureichend versorgt. Bei solchen Praktiken erscheinen die Verfehlungen von Frontex nicht unbedingt als Kontrastprogramm. In einer Situation, in der Europa mit einer womöglich anstehenden Wiederholung der „Flüchtlingskrise“ von 2015 rechnet und Plädoyers für eine verschärfte Asylpolitik Zuspruch finden, ist das eine alarmierende Gewissheit. Dadurch besteht die Gefahr, dass Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte weiter unter Druck geraten und missachtet werden. Leijtens’ Vorsätze mögen gut gemeint sein, aber es hängt zu wenig von ihm ab, ob wirklich danach gehandelt wird.

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