Nice sein reicht nicht aus

Literatur Abhängig oder einsam: Sally Rooney erkundet das Seelenleben liebender Millennials
Ausgabe 30/2019
„Jeder macht immer gerade irgendwas durch, oder? Es sind nur immer mehr Dinge, die man durchmacht.“
„Jeder macht immer gerade irgendwas durch, oder? Es sind nur immer mehr Dinge, die man durchmacht.“

Foto: Jack Taylor/Getty Images

Mit 21 sollte man „verheerend unglücklich sein“, spottet die Journalistin Melissa über Frances. Das ist nicht nett gemeint. Aber da ist auch schon ein vierköpfiges Durcheinander aus der Ausgangssituation von Sally Rooneys Romanerstling Gespräche mit Freunden erwachsen.

Die sah so aus: Melissa soll ein Porträt über Frances, die Ich-Erzählerin, und deren beste Freundin Bobbi schreiben. Beide sind in der Dubliner Spoken-Word-Szene aktiv. Sie lädt die Studentinnen, die früher ein Paar waren, zu sich nach Hause ein, wo sich Melissas Mann, der Schauspieler Nick, hinzugesellt. Die vier verstehen sich. Zum Unglück aller aber unterschiedlich gut. Frances und Nick beginnen eine Affäre.

Von Bobbi bekommt Frances prompt zu hören, sie habe sich in einen Mann verknallt, der „wahrscheinlich total unironisch artikel liest zum thema ‚mit diesem ungewöhnlichen trick zu den perfekten bauchmuskeln“. Ein übler Typ ist Nick zwar nicht. Aber ein elf Jahre älterer, verheirateter. Einer, der mehr soziale Macht besitzt, es weiß und fürchtet.

Rooney beschreibt die Generation derer, die im dritten Lebensjahrzehnt stecken und vielleicht gerade erst bemerken, dass sie als Generation eine eigene Art des Erlebens haben. Es wird viel getextet – nicht im poetischen Sinn, sondern per Messenger und E-Mail. Mal wird sich zum Filmgucken verabredet, mal absatzlos das Herz ausgeschüttet. In Kleinbuchstaben. Das ist Teil eines Realismus, der nicht demonstrativ jugendlich oder gekünstelt wirkt, auch wenn der Slogan von Rooneys britischem Verlag, „Salinger für die Snapchat-Generation“, das sehr befürchten ließe.

Die 1991 in der irischen Kleinstadt Castlebar geborene Autorin hat eine Blitzkarriere hingelegt. Um die Rechte für Gespräche mit Freunden hatten 2017 sieben Verlage geboten. Dass sie kein One-Hit-Wonder ist, zeigt ihr zweiter Roman Normal People, der auf der Booker-Longlist landete. Beide Romane thematisieren die tiefe Abhängigkeit ihrer Protagonisten von anderen. Die Alternative heißt für sie Einsamkeit.

Vor die Wahl gestellt, würden die meisten wohl Abhängigkeit wählen. Rooneys Frage: Wie leben wir so, damit das kein Zeichen von Schwäche ist? Zumal in einer Beziehung mit einem guten Jahrzehnt Altersunterschied, wie bei Frances und Nick. Wo Liebe, wenn nicht offen über Machtverhältnisse gesprochen wird, wohl scheitern müsste. „Aber es ist anstrengender, herauszufinden, wer die Macht hat, deshalb verlassen wir uns stattdessen auf ‚Nettigkeit‘ als eine Art Ersatz.“ Genügte es uns, dass jemand nice ist, könnten wir uns einreden, wir seien alle gleich mächtig. Sind wir aber nicht. Frances und Nick fragen einander schließlich, wer wem mehr wehtun kann. Vielleicht der echte Liebesbeweis?

Auch in Melissa und Bobbi, die sich ebenfalls näherkommen, sieht es chaotisch aus. So werden die Gespräche unter Freunden zum ausbalancierten Porträt der Verletzlichkeit junger Menschen. Ohne denunziatorisch zu sein, bietet dieses Porträt den wunderlichen und schönen Eindruck, dass man gleichzeitig weise und überfordert sein kann. Jungsein – gerade wenn man es bald nicht mehr ist – heißt auch, zu sehen, dass der eigene Schmerz nicht entwertet wird, wenn andere leiden. „Jeder macht immer gerade irgendwas durch, oder?“, schreibt Rooney. „Es sind nur immer mehr Dinge, die man durchmacht.“

Info

Gespräche mit Freunden Sally Rooney Zoë Beck (Übers.), Luchterhand 2019, 384 S., 22 €

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