Vor sieben Jahren gründete Bhaskar Sunkara in den USA Jacobin, inzwischen erreicht allein die gedruckte Ausgabe rund 40.000 Leser. Diese Woche nun ist das Magazin Ada online gegangen, das sich als die kleine Schwester von Jacobin versteht. Über die Ziele des Magazins sprachen wir in Berlin mit den ChefredakteurInnen Sarah Nagel und Loren Balhorn. Balhorn ist außerdem Mitglied der erweiterten Redaktion von Jacobin und schreibt für das US-Magazin aus Berlin.
Der Freitag: Auf Ihrem Twitter-Account kursierte vorab der Slogan: „Marxismus für Millennials“. Wen möchten Sie mit Ada ansprechen?
Sarah Nagel: Wir wollen uns an alle richten, die das Gefühl haben, dass irgendetwas nicht richtig stimmt. Weil wir denken, dass es viele Menschen gibt, die linke Positionen eigentlich teilen, etwa zu Hartz 4 oder zu Kriegseinsätzen, aber im Moment nicht erreicht werden. Diese Menschen wählen nicht alle links und sie sind häufig nicht links organisiert. Wir haben uns gedacht, dass da ein Defizit besteht, und wollten eine Publikation schaffen, die ohne Jargon und mit Humor Themen aufgreift und spannend aufbereitet, die wichtig sind. Wir haben eine Situation, in der die gesellschaftlichen Möglichkeiten eigentlich gute Voraussetzungen bilden könnten für eine Gesellschaft, die anders organisiert ist. Auf der anderen Seite können sich viele Leute eher vorstellen, dass alles den Bach runtergeht. Das erzeugt einen Widerspruch, den wir bearbeiten wollen. Wir richten uns an alle, die diesen Widerspruch verspüren. Sowohl Leute, die in Tech-Start-Ups arbeiten und kaum bezahlt werden als auch Pflegekräfte oder Leute, die studieren und sich fragen, warum sie eigentlich zwei Nebenjobs haben müssen, um sich das leisten zu können. Ein breites Spektrum, das aber vieles verbindet. Millennials sind eine Gruppe, bei der wir das Gefühl haben, es könnte für sie auf jeden Fall gut funktionieren.
Loren Balhorn: Ada ist in erster Linie ein politisches Projekt, aber um als politisches Projekt Erfolg zu haben, muss es auch journalistisch gut sein. Das ist es auch, was Jacobin von den anderen dezidiert sozialistischen Zeitschriften in den USA abgrenzt. Es ist sehr politisch, sehr offen, aber es ist auch sehr gut gemacht und es macht Spaß, es zu lesen. Als meine Mutter mir gesagt hat, sie habe Jacobin abonniert, habe ich gemerkt, dass es was richtig macht. In den 15 Jahren, in denen ich versucht habe, ihr linke Blätter aufzudrücken, hat sie immer gesagt: Nein, ihr schreibt für euch selbst, das ist nicht meine Sprache und das hat nichts mit meinem Leben zu tun. Dass man dezidiert links ist und auch mit einem sozialistischen Standpunkt schreibt, aber trotzdem auf eine Art und Weise, dass auch Menschen es spannend finden, die sich nicht nur mit marxistischen Themen beschäftigen – das ist es, was wir erreichen wollen.
Es ist ja so, dass in Deutschland die Presselandschaft etwas anders ist, es gibt die "taz", es gibt die "Jungle World", es gibt den "Freitag". Welche Themen finden Sie nicht in diesen Zeitungen?
Loren Balhorn: Wir werden nicht die selbe Lücke füllen können wie Jacobin in den USA, weil die Landschaft dort wesentlich düsterer aussieht. Aber es gibt schon einen Unterschied zur taz zum Beispiel, die schon viele linke Themen bespricht, aber trotzdem nicht aus dem Standpunkt heraus agiert, diese Gesellschaft wirklich verändern zu wollen. Natürlich gibt es in Deutschland auch Dutzende Zeitschriften mit diesem Anspruch, die haben aber alle eher schrumpfende Leserschaften und kommen immer aus einer gewissen Generation. Meines Erachtens hat noch keine von denen es geschafft, diesen Switch hinzukriegen, dass man auch für eine neue Generation, für ein neues Publikum schreibt. Ich denke an Zeitschriften wie Neue Kritik oder den amerikanischen Guardian, den es schon lange nicht mehr gibt, die Journalismus für ein linksradikales Publikum betrieben haben, aber auch in der Lage waren, zu schreiben, wie normale Menschen sprechen. Nicht in einem krass linken Duktus. Wir sind keine Theoriezeitschrift, wir wollen aber Theorie behandeln. Ich denke, das ist jetzt die Lücke, die es zu füllen gilt: Eine dezidiert sozialistische Zeitschrift, die aber für unsere Generation spricht.
In den USA gibt es mit Bernie Sanders eine starke Orientierungsfigur für die Linke. In Großbritannien ist das mit Jeremy Corbyn und "Momentum" als Plattform wahrscheinlich ähnlich. Wie stellt sich die Situation Ihrer Meinung nach in Deutschland dar? Wie ist die Beziehung zwischen Ada und der Linkspartei?
Loren Balhorn: Ich bin Mitglied der Partei. Ich bin aber nicht aktiv. Ich sehe meinen Schwerpunkt woanders, nämlich im publizistischen Bereich. Die Mehrheit der Redaktion ist nicht Mitglied, soviel ich weiß, oder es ist zumindest fifty-fifty. Die Linkspartei war eine wichtige und insgesamt positive Entwicklung für die deutsche Parteienlandschaft. Aber die letzten zehn Jahre haben gezeigt, dass das nicht ausreicht. Die Partei dümpelt bei zehn Prozent, das ist okay und es ist gut, diese Stimme im Parlament zu haben. Aber die Linkspartei, zumindest wie sie bisher agiert hat, wird nicht genug sein, um wirklich eine Mehrheit zu erringen. Deshalb müssen wir darüber nachdenken, wie eine neue Dynamik zustande kommt.
Wie stehen Sie zu der Sammlungsbewegung, die Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine und andere anstreben?
Loren Balhorn: Wir haben keine geschlossene Meinung zu der Sammlungsbewegung. Ada als Zeitschrift ist weder dafür noch dagegen. Es ist auch sehr schwierig, zu sagen, was das eigentlich ist. Ich habe auf jeden Fall meine Skepsis bei verschiedenen Punkten. Rein prinzipiell würde ich mich freuen, wenn es eine größere gesellschaftliche Dynamik gäbe, die es zumindest schafft, vielleicht keine Mehrheit, aber eine Pluralität von Menschen anzuziehen. Ob es diese Sammlungsbewegung wird? Schaun mer mal.
Eine Konfliktlinie, die seit einiger Zeit die Linke umtreibt, ist die zwischen so genannten Kosmopoliten und so genannten Kommunitaristen. Wie positioniert Ada sich da?
Loren Balhorn: Ich finde es ziemlich unproduktiv, wie die Debatte jetzt läuft. Beide Seiten machen sich gegenseitig kaputt. Ich finde nicht, dass jemand eine plausible Vision hat, was nach dieser Debatte kommt. Wenn jemand sie gewinnt, was wollen wir dann erreichen? Da fände ich unsere Aufgabe, so ähnlich wie Jacobin es macht, weniger in zwischenlinken Debatten Position zu beziehen, sondern über das große Ganze zu reden: Was sind eigentlich konkrete politische Ansatzpunkte, wie es anders werden könnte? Was wären die reformerischen Schritte, die reale Verbesserungen für uns bedeuten könnten und vielleicht auch die Kräfteverhältnisse zu unseren Gunsten verändern? Wie können wir neoliberale Entwicklungen zurückdrängen. Also konkret: Wie könnte man zum Beispiel die Teilprivatisierung der Bahn zurücknehmen und sie wirklich kostengünstig gestalten?
Das klingt ein wenig nach „konstruktivem Journalismus“, wie ihn auch die Plattform "Perspective Daily" anstrebt. Weniger kritisieren, stattdessen positive Möglichkeiten aufzeigen.
Loren Balhorn: Eine Sache, die das sozialdemokratische Verständnis von Bernie Sanders von dem der SPD unterscheidet, ist, dass man nicht nur über schöne Reformen redet, sonder auch klarstellt, wer sind die Menschen oder die Gruppen, die dem im Wege stehen. Es geht schon darum aufzuzeigen, dass es einen gesellschaftlichen Widerspruch gibt, dass es einen gesellschaftlichen Konflikt gibt, und das auch durch Kritik dazustellen. Aber eben auf eine andere Art und Weise als viele Linke das machen.
Der Freitag: Ada wird zunächst nur Online erscheinen. Warum?
Loren Balhorn: Persönlich lese ich lieber gedruckt und abonniere viele Zeitschriften. Aber wenn man schaut, welche Erfolgsprojekte es gibt, dann ist der Online-Bereich wesentlich wichtiger. Ich würde auch durch meine Erfahrung bei Jacobin sagen: Das gedruckte Heft gibt Jacobin eine gewisse materielle Basis, durch die Abonnenten hat man eine solide finanzielle Quelle. Aber was das Erreichen von Lesern angeht, kriegt Jacobin über die Homepage pro Monat über eine Million Klicks und dafür hat es mittlerweile 40.000 Abonnenten.
Hat der Erfolg von Jacobin aber nicht maßgeblich damit zu tun, dass das gedruckte Magazin als Unikum wahrgenommen wird?
Loren Balhorn: Das kann man schon sagen. Aber ich glaube, das liegt nicht daran, dass es ein Magazin ist, sondern daran, wie dieses Magazin gemacht ist. Wenn man Rezensionen liest, wird oft kommentiert, wie gut es aussieht und wie frisch es ist. Aber wenn man die Leserschaft ansieht, fing das gedruckte Heft vor zweieinhalb Jahren an, über 3.000 Menschen zu erreichen. Das Medienecho stand nicht wirklich im Verhältnis zur Größe des Magazins. Dass es von der bürgerlichen Presse wahrgenommen wurde, lag daran, dass es gut aussah, einen gewissen Ton getroffen hat und mit dem linksliberalen Establishment auf eine Art und Weise interagieren konnte, wie viele linke es Zeitschriften nicht konnten. Was das eigentliche Wachstum des Projekts angeht, wurde das Magazin erst so um 2015, 2016 wirklich wichtig. Erst da ist es als abonnierbare Zeitschrift explodiert.
Wer finanziert Ada eigentlich?
Sarah Nagel: Wir sind ein gemeinnütziger Verein. Es gibt Spenden. Ansonsten ist es so, dass wir als Redaktion ehrenamtlich arbeiten.
Loren Balhorn: Bei Jacobin sind die Redakteure jetzt alle in Vollzeit vom Jacobin-Verein angestellt. Aber der Verein lief auch über viele Jahre ehrenamtlich, sodass die Redakteure alle auch einen anderen Vollzeit-Job hatten. Mit ein bisschen Glück und mit ein bisschen Talent haben sie es geschafft, ein professionelles Magazin herauszubringen, ohne einen professionellen Apparat zu haben. In den ersten zwei, drei Jahren war es etwas, das die Leute aus ihren Schlafzimmern heraus gemacht haben. Wir machen das zwar nicht in unseren Schlafzimmern, wir sind ein bisschen weiter, aber es ist quasi wie ein Start-Up.
Wie steht es mit Autoren-Honoraren?
Loren Balhorn: Am Anfang haben wir das Glück, dass viele Autoren uns beim Start unterstützen wollen und erst einmal ehrenamtlich geschrieben haben. Wir schreiben ehrenamtlich. Die meisten Artikel jetzt sind von unseren Redakteuren geschrieben. Wir haben ein relativ großes Echo unter unseren Freunden gefunden und unter Akademikern und Linken.
Ist das nicht ähnlich wie bei anderen Start-Ups ein Modell, das auf Selbstausbeutung beruht und im Widerspruch zu einem linken Projekt steht?
Sarah Nagel: Dass erste, was wir anstreben, ist, Honorare für Autoren zahlen zu können. Es ist uns schon wichtig, dass wir den Start-Up-Mist an dieser Stelle nicht pflegen.
Loren Balhorn: Ich will das jetzige Modell nicht rechtfertigen. Aber ich finde auch, dass ein gewisser Druck, der dadurch entsteht, dass man finanziell unabhängig ist, auch eine positive Wirkung haben kann. Wenn man von Anfang an irgendeine Institution oder externe Finanzierung hat, kann man es sich auch ein bisschen bequem machen.
Autoren, die prekär leben, werden es sich eher nicht leisten können, unter diesen Bedingungen zu schreiben.
Loren Balhorn: Klar. Bei Jacobin regeln wir es so, dass wir von Autoren, die sonst ein gutes Gehalt haben – Professoren, Gewerkschafter, alle, die sowieso bequem bezahlt werden – erwarten, dass sie aus politischer Überzeugung schreiben. Vielleicht kriegen sie ein kleines Honorar, aber eigentlich versuchen wir, das Geld für diejenigen zur Seite zu legen, die es wirklich brauchen. Für die, die nur vom Schreiben leben und keine Festanstellung haben. So würden wir das bei uns auch machen.
Sarah Nagel: Ada ist in erster Linie ein politisches Projekt und kein Unternehmen. Trotzdem ist es so, dass wir uns darüber freuen, wenn Leute Texte, Übersetzungen oder auch Fotos beisteuern können. Bei allen anderen versuchen wir, so schnell wie möglich dafür zu sorgen, dass sie dafür auch etwas bekommen.
Ist Ada auch in erster Linie ein politisches und erst in zweiter Linie ein journalistisches Projekt?
Sarah Nagel: Wahrscheinlich schon. Jacobin möchte Sozialismus in unserer Lebenszeit erreichen, das teilen wir. Der Kontext ist ein anderer, die politischen Organisationen und politischen Verhältnisse sind im deutschsprachigen Raum natürlich andere, aber das ist ein Punkt, der uns verbindet. Insofern würde ich sagen, ja, Ada ist in erster Linie ein politisches Projekt. Aber ein Magazin zu machen, ist ja ein Mittel, für das wir uns entscheiden, weil wir einerseits denken, dass das funktioniert – und andererseits macht es uns allen Spaß.
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