Nicht einmal für Katzen gut

Gastkommentar Über die verwundbarsten Stellen unserer urbanen Zivilisation

Ein Blick in den Bericht des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) zum Klimawandel von 2007/ 2008 genügt - es gibt da eine haarsträubende Zahl: In nur 20 Jahren werden über 2,4 Milliarden Menschen in verarmten Vororten der Metropolen leben. Und zwar dort, wo die reichen Westler nicht einmal ihre Katzen leben lassen.

Nehmen wir die Armutsviertel an der Peripherie der wichtigsten Städte Afrikas, Lateinamerikas und Asiens. Allein dort leiden jetzt schon eine Milliarde Menschen unter anhaltender Armut, körperlicher, sozialer und moralischer Gewalt und der Verweigerung minimaler humaner Standards. Diese Quartiere spiegeln das dysfunktionale Wachstum der Megacitys des 21. Jahrhunderts. Wir haben es mit den verwundbarsten Stellen der heutigen urbanen Zivilisation zu tun. Während London über ein Budget von jährlich 1,2 Milliarden Euro verfügt, um sich gegen Naturkatastrophen wie Überschwemmungen und Stürme zu schützen, gibt es dafür in Rangun gar nichts. Wenn ein Zyklon über diese Millionenstadt rast, sterben Zehntausende, weil weder vorgesorgt worden ist noch gewarnt wird. Diese Stadtbewohner hatten eben das Pech, arm zu sein, könnte man es zynisch auf den Punkt bringen.

Aber warum? Weil in den vergangenen 30 Jahren, seit die Länder des Nordens ihre Strukturanpassungsdekrete über den Rest der Welt verhängt haben, weder von dieser Seite noch von den untergeordneten Regierenden im Süden irgendwelche Anstalten unternommen wurden, um die Banlieue des Elends in einen zivilisierten Ort zu verwandeln.

Das wahrscheinlichste Szenario bis 2050 ist das "unbehinderte" Wachstum dieser Quartiere - für mich die größte politische Herausforderung kommender Jahrzehnte, der nur begegnet werden kann, wenn es eine radikale Neudefinition dessen gibt, was wir unter der Zukunft von Städten verstehen, die ihren Bürgern gehören und nicht umgekehrt.

Wo fangen wir an? Bei den kommunalen Gütern, ganz konkret mit einer weltweiten Strategie, überschrieben mit Wasserversorgung für die Armen und versehen mit Aktionsplänen für die Versorgung mit Trinkwasser auch für den kleinsten Bezirk. Derartige Projekte könnten als "Quellen für das gemeinsame Leben" verstanden und der Verantwortung von Wohngenossenschaften übertragen werden. Die Finanzierung sollte Steuern auf Kapital- und Zinserträge zu verdanken sein, abgepolstert durch eine zehnprozentige Kürzung der Militärbudgets, ob nun in Brasilien oder Burma oder sonst wo. Natürlich wird dabei der Widerstand auf kurze Sicht kaum zu überwinden sein. Das kann aber nicht heißen, alles aufzuschieben.

Im Augenblick beseelt uns ein viel klareres Bewusstsein von den Lebensproblemen dieses Planeten als je zuvor, sogar unter den Reichen. Die Sturmwelle der konservativ-oligarchischen Revolution, die sich seit Ende der achtziger Jahre über alle Kontinente wälzte, ist zwar noch nicht überstanden. Der Schaden, den sie angerichtet hat, erreicht aber inzwischen selbst das Leben derjenigen, die an der Macht sind. Das heißt nicht, dass die Mächtigen von sich aus zu den Wurzeln des Übels vordringen werden. Sie werden versuchen, besänftigende Maßnahmen zu treffen, und einen grünen Neokapitalismus fördern, wie es die EU gerade tut, um die globale Erwärmung zu bekämpfen.

Es werden auch andere Lösungen forciert, die schlimmer als das Problem sind, nämlich Null-Toleranz für die so genannte "illegale" Migration, bei der sich der Kampf gegen die Armen richtet, statt gegen die Armut. Ich bin davon überzeugt: Es wird unmöglich sein, darin fortzufahren. Der Kampf für das Leben lässt sich so nicht aufhalten.

Riccardo Petrella ist Generalsekretär des Internationalen Aktionskomitees für einen Weltwasservertrag. Professor für Sozialwissenschaft an der Universität Leuwen/Belgien

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