Nicht heilig

linksbündig Das Holocaust-Mahnmal hat Risse. Eine Störung der Pietät?

Und wieder schlechte Nachrichten vom Holocaust-Mahnmal. Diesmal sind es keine Hakenkreuze, Fußabdrücke oder Urinlachen, keine Fressbuden, keine springenden, essenden, spielenden, rauchenden oder sich ausruhenden Besucher, die die Andacht stören, sondern defekte Bodenleuchten und - Haarrisse im Beton. Während die Leuchten recht lautlos ausgetauscht werden, wurden die Risse in allen deutschen und vielen internationalen Medien kommentiert, der Architekt, Peter Eisenman, musste in Interviews Stellung nehmen. Warum? Die Risse sind statisch belanglos und mit Kunstharz leicht zu verfüllen, optisch können sie als normale, vielleicht sogar angenehm natürliche Alterungsspuren durchgehen. Sie sind ein simpler Gewährleistungsfall, der bei keinem anderen Bau eine Nachricht wert wäre, ein Problem allenfalls für den Architekten und die Baufirma.

Der seltsame Aufruhr hat drei Gründe. Erstens besteht offenbar der Verdacht, dass beim Mahnmal - zu enormen Kosten und mitten im Heimatland der "deutschen Wertarbeit" - schlampig gearbeitet wurde. Zwar handelt es sich nicht um Sprünge, sondern um winzige Spannungsrisse, wie sie bei Beton nun mal vorkommen, aber das will man dem Architekten nicht so recht glauben. Und man ignoriert, dass hochwertiger Sichtbeton, wie er bei den Stelen verwendet wurde, keineswegs als Spezialität der hiesigen Bauwirtschaft gilt. Wenn Eisenman beim Bau des Mahnmals vom "besten Beton Berlins" sprach, drückte er keine Bewunderung aus, sondern eher Resignation. Es war halt der beste, den er bekommen konnte.

Zweitens geht es natürlich um Repräsentation, und das bedeutet in der Regel: Sauberkeit und Ordentlichkeit. Seit der Wende werden alle Debatten, die das Berliner Stadtbild betreffen (und davon ist das Holocaust-Mahnmal ein zentrales Element), von Begriffen wie "alte Pracht" und "neuer Glanz" dominiert. Alles, was der Perfektion von Computersimulationen widerspricht, ist ein "Schandfleck", jeder illegale Klecks eine Verunstaltung, jede unvorhergesehene Nutzung ein Missbrauch und jedes Bröckeln ein Zeichen nahenden Zusammenbruchs. Dass Bauten eben altern, benutzt und beschmuddelt werden, dass sie bröckeln, Reparaturen brauchen und dennoch nie mehr wie neu aussehen, kurz: dass sie eine Stadt bilden und kein Legoland - das erscheint Vielen unerträglich, je zentraler die Lage und repräsentativer der Bau, desto schlimmer. "Nichts hält ewig", entgegnet Eisenman lakonisch; dem ist nichts hinzuzufügen.

Drittens betrachtet die Öffentlichkeit die Risse am Mahnmal, wie alles, was dort geschieht, als Frage der Pietät. Das Stelenfeld ist ja nicht nur eine Touristenattraktion, sondern auch ein Denkmal für die Ermordeten und für die Erinnerungsarbeit, die die Deutschen leisten. Verdient ein so erhabener Ort nicht ewige, absolute Unversehrtheit? Müsste er nicht als perfektes Bild vor uns stehen, das keiner Nachbesserungen bedarf? Auch hierzu lieferte Eisenman einen lakonischen Kommentar: "Das Stelenfeld versucht lediglich, die Vergangenheit zu einem Bestandteil der Gegenwart zu machen. Damit die Vergangenheit nicht länger ein Problem ist, damit vielleicht irgendwann ein Deutscher, der kein Jude ist, nicht gleich zusammenzuckt, wenn er einen Juden trifft." Nein, das Mahnmal verlangt keine Ehrfurcht und strebt keine Endgültigkeit an, es ist ein beeindruckender, aber kein heiliger Ort. So wie es spielende Kinder, ein paar übermütige Jugendliche oder fünf Busladungen plappernder Touristen aufnimmt, so verträgt es auch Baugerüste und Reparaturtrupps, die stinkendes Kunstharz verspritzen und in der Pause Stullen essen.

Die Skandälchen und Debatten um das Holocaust-Mahnmal haben uns einiges gelehrt. So lernten wir, dass auch ein abstraktes Denkmal Aussagekraft besitzen kann, dass auch gewaltig Großes nicht überwältigen muss, dass auch eine sensible und gefährlich umstrittene Symbolarchitektur sich nicht hinter Zäunen zu verstecken braucht. Nun kommen noch drei kleine Lehren dazu: Unser Beton ist nicht der weltbeste, unsere Hauptstadt nicht die blitzeblankeste und unser Mahnmal nicht das Allerheiligste. Wir werden uns daran gewöhnen.

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