Sehr geehrter Herr Klausnitzer
Ich möchte auf Ihre Bemerkung antworten: „Es wird also Zeit, dass der Westen sagt, warum er so reich ist (oder auch nicht).“
Ich will vorausschicken, dass ich in Stuttgart geboren wurde, und als studierter Förster seit 1990 in Tharandt (der „Forststadt“) lebe. Das Problem unserer ungerechten Rechts- und Wirtschaftsordnung beschäftigt mich fast mein ganzes Leben, auch was seit 1989 mit der DDR geschah. Der Wohlstand im Westen beruht, sieht man von Wirkungen des technischen Fortschritts ab, auf einem subtil wirksamen System der Ausbeutung – einerseits der Natur, andererseits von Menschen auf der ganzen Welt und eben auch bei uns.
Nachdrücklich widerspreche ich der Vorstellung, es gäbe eine Absicht in der westd
elt und eben auch bei uns.Nachdrücklich widerspreche ich der Vorstellung, es gäbe eine Absicht in der westdeutschen Bevölkerung, die Menschen in Ostdeutschland zu übervorteilen oder zu beherrschen. Aus dem Gedächtnis erinnere ich mich: Am 18. März 1990 wählte man in der DDR eine Volksvertretung, die sich dem verbreiteten Wunsch der Menschen nicht verschloss, so rasch wie möglich die Deutsche Mark einzuführen. Dadurch eröffnete sie Helmut Kohl unerwartet die Möglichkeit, nach seinen Vorstellungen die Wiedervereinigung Deutschlands einzuleiten. Hans Peter Stiehl, der damalige Präsident des (West-)Deutschen Industrie- und Handelskammertages, warnte: „Es wird einen gnadenlosen Wettbewerb geben!“Das „Volksvermögen“Tatsächlich fielen der Währungsunion bereits angebahnte Joint Ventures zwischen westdeutschen und DDR-Firmen zum Opfer. Die Ost-Wirtschaft brach zusammen, nicht, weil sie „marode“ war, sondern weil sie unvorbereitet diesem „gnadenlosen Wettbewerb“ ausgesetzt wurde. Ohne D-Mark konnten die DDR-Erzeuger nicht weitermachen, nicht einmal ihre Kunden im Osten bedienen – zum Nachteil der weiteren Wirtschaftsentwicklung, weil vielversprechende Märkte verloren gingen. Kohl aber erreichte den Beitritt der DDR zur BRD. Der Einigungsvertrag nahm der DDR-Bevölkerung die bestehenden Rechte.Gut versteckt in Anhängen des Vertrags wurden wichtige Fragen des Eigentumsrechts, der Eigentumsentziehung, der Rückübertragung von Vermögenswerten, so dass sie bei der Beschlussfassung den meisten Parlamentariern in Ost und West verborgen blieben. Nach Ansicht der Volkskammer sollte die Treuhandanstalt das Vermögen der DDR gerecht unter der Bevölkerung verteilen. Ihren Mitgliedern war nicht klar, dass der Marktwert eines „Volksvermögens“ von der Währung des betreffenden Staates abhängt, dass er verschwindet, wenn der Schutz durch die staatlich garantierte Währung entfällt. Die Treuhand wurde Vollstreckerin von Regelungen, welche die Verantwortlichen der DDR nicht durchschaut hatten; die Bevölkerung Westdeutschlands war unbeteiligt.Auch heute haben viele Menschen wenig Ahnung von der Entwicklung zum Turbokapitalismus. Vor vierzig Jahren wurden unter Ronald Reagan als US-Präsident und Margret Thatcher als Premierministerin des Vereinigten Königreichs „Reformen“ durchgeführt, welche die Finanzwelt entfesselten und ihr ermöglichten, virtuelle Vermögenswerte zu schaffen, deren nominaler Wert den realen Wert käuflicher Güter auf der Welt weit übertrifft. Die Finanzwirtschaft, irrtümlich auch als „Industrie“ bezeichnet, verwaltet den Reichtum im Interesse wohlhabender Menschen und Institutionen so, dass er ständig wächst und dazu im Bestand gesichert bleibt.Der Code des KapitalsWarum also ist der Westen so reich (wenngleich es auch dort nur bestimmte Kreise sind)? Katharina Pistor, Rechts-Professorin in New York, liefert dafür eine mich überzeugende Erklärung (hier im Interview mit dem 'Freitag'). In ihrem Buch Der Code des Kapitals – Wie das Recht Reichtum und Ungleichheit schafft zeigt sie wie sich aus britischem Recht und dank amerikanischer Macht eine Rechts-„Kultur“ weltweit verbreitete, die große Vermögen, also „Reichtum“, durch staatliche Absicherung privilegiert. Der Erwerb von Reichtum ist nicht entscheidend, vielmehr ist es dessen rechtlicher Schutz, der einer jahrhundertelangen Entwicklung folgt. Das englische Wort asset wird missverständlich als „Gut“ übersetzt – besser wäre „Wertpapier“. Wertpapiere oder „assets“ repräsentieren virtuelle Werte, die an Finanzmärkten entstehen. Historisch bestand Vermögen real in Grund und Boden, heute virtuell vor allem in „assets“.Die Finanzwelt verwaltet und mehrt diesen Reichtum durch Investment und Spekulation, zum Beispiel an der Börse. „Assets“ können jederzeit in offizielle, staatlich garantierte Währung eingetauscht werden können. Mit einem demokratischem Verständnis lässt sich kaum vereinbaren, dass Staaten für dieses Privileg der Reichen einstehen. Indessen erklärt es sich aus den Interessen der Konzerne und der Macht, die Reichtum – auch für die Staaten – bedeutet. Auch die DDR wurde Opfer der Verlockungen dieser inszenierten Wohlstandswelt.Will man die Demokratie erhalten und weltweit durchsetzen, muss der legalisierte Zugriff auf die real erbrachten Leistungen von Menschen und Natur als Diebstahl am Sozialprodukt erkannt und untersagt werden. Hoffnung, dass dies geschieht, besteht nicht. Vielleicht kann ich mit diesen Zeilen wenigstens etwas zur Befriedung zwischen Menschen in West und Ost beitragen.Placeholder authorbio-1