Nicht nur bellen, auch beißen

Im Gespräch Frank Spieth, DGB-Chef in Thüringen, zu seiner Kandidatur auf der offenen PDS-Liste für den Bundestag und über die Angst der Gewerkschaften, für das Ende von Rot-Grün verantwortlich zu sein

FREITAG: Sie kandidieren auf der offenen PDS-Liste für den Bundestag; nach derzeitigem Stand sind Sie der ranghöchste Gewerkschafter, der dies tut...
FRANK SPIETH: ...und da möchte ich auch gleich festhalten, dass ich nicht in meiner Funktion als DGB-Vorsitzender von Thüringen kandidiere, sondern als Gewerkschafter Frank Spieth. Und ab dem 30. Juli, dem Tag, an dem die Landesliste der PDS Thüringen gewählt wird, bis zur Wahl am 18. September werde ich die politische Außenvertretung des DGB ruhen lassen.

Warum?
Das gehört für mich zur politischen Hygiene. Ich möchte nicht, dass es eine Debatte darüber gibt, ob ich nun für den DGB oder als Kandidat spreche. Gerade in der Einheitsgewerkschaft muss das getrennt werden.

Als Gewerkschafter für die SPD zu kandidieren, ist normal. Warum sind Sie die Ausnahme?
Es scheint noch gewöhnungsbedürftig zu sein, dass ein Spitzenfunktionär des DGB auf der offenen Liste der PDS kandidiert. Ich war nie Antikommunist und deshalb habe ich auch keine Berührungsängste. In der Regel sind Gewerkschafter zwar Sozialdemokraten, doch ich möchte dem Eindruck widersprechen, dass sich Gewerkschaftsmitglieder nicht auch in anderen Parteien betätigen. Im geschäftsführenden DGB-Bundesvorstand gibt es den ungeschriebenen Grundsatz, dass da immer ein Mitglied der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft - der CDA, dem Arbeitnehmerflügel der Union - sitzt. Unter uns gibt es CDU-Mitglieder und inzwischen auch viele PDS-Mitglieder und der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske ist Grüner.

Wie wurde Ihre Ankündigung aufgenommen?
Total positiv. Negative Stimmen höre ich nur vereinzelt. Insgesamt hat mich die Zustimmung überrascht.

Der DGB-Chef Michael Sommer ist im Hinblick auf das Linksbündnis der Meinung, wer die Linke spaltet, nütze den Konservativen. Wie hat er auf Ihre Kandidatur reagiert?
Meine Kandidatur hat er zur Kenntnis genommen. Was nun die Spaltung der Linken betrifft, kann ich nur feststellen, dass diese durch die Politik von Rot-Grün betrieben wird. Und zwar in Folge der Agenda 2010 mit Armuts- und Reichtumsvermehrung. Eine konservative Regierung hätte diese Politik so nie durchsetzen können, dazu brauchte man Rot-Grün und die Allparteienkoalition.

Warum haben die Gewerkschaften nur sehr zögerlich gegen diese Politik protestiert?
Als die Demonstrationen gegen Hartz IV, also die Montagsdemos, vor allem im Osten begannen, war die einerseits-andererseits-Haltung der Gewerkschaften in der Tat nicht hilfreich. Um das zu verstehen, muss man in die Jahre 1981/82 zurückblicken. Gegen den Sozialabbau der damaligen sozialliberalen Koalition gab es große Kundgebungen. Heute wird behauptet, das wäre der Anfang vom Ende der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt gewesen. Da wird Ursache und Wirkung verwechselt. Die Gewerkschaften möchten nicht erneut für das Scheitern einer sozialdemokratisch geführten Bundesregierung verantwortlich gemacht werden. Deshalb die übergroße Zurückhaltung gegenüber Rot-Grün.

Viele Gewerkschaftsfunktionäre pflegen zu sagen, ihnen ist es nicht egal, wer an der Regierung ist. Wird nicht umgekehrt ein Schuh daraus?
Im Grundsatz muss für die Gewerkschaften egal sein, wer regiert. Der DGB muss Arbeitnehmerinteressen gegenüber allen Parteien vertreten. In den vergangenen sieben Jahren ist deutlich geworden, dass wir keine Wahl haben und einen klaren Kurs fahren müssen.

Die Sozialstaatsdebatte wird betriebswirtschaftlich geführt. Ist das auch auf Versäumnisse der Gewerkschaften zurückzuführen?
Der entscheidende Fehler liegt meines Erachtens darin, dass wir uns im Rahmen des Bündnisses für Arbeit auf die unsägliche Lohnnebenkostendebatte eingelassen haben. Damit haben wir ökonomischen Fragen den Vorrang vor politischen eingeräumt. Inzwischen haben wir erkannt, dass wir uns damit selbst matt gesetzt haben. Wir müssen noch viel stärker deutlich machen, dass der Sozialstaat gerade in der Krise seine Wirkung entfalten muss. Doch unter dem Primat des Ökonomischen erleben wir, wie der Sozialstaat dahingemetzelt wird. Auf Dauer macht das die Gesellschaft kaputt und das gehört mit zu meinen Beweggründen, um ein Bundestagsmandat zu kämpfen.

Wäre es nicht effektiver, den außerparlamentarischen Kampf zu verstärken?
Der ist enorm wichtig. Eine linke Fraktion im Bundestag braucht die außerparlamentarische Bewegung. Meine Lebensplanung ging auch dahin, dass ich mich nach meiner Amtszeit als DGB-Vorsitzender von Thüringen im nächsten Jahr in der sozialen Bewegung engagieren wollte. Doch das zunehmende Gerede von der Alternativlosigkeit der rot-grünen Politik machte mich immer zorniger. Und so habe ich mir überlegt - eigentlich für 2006 - dass ich nicht nur außerparlamentarisch deutlich machen möchte, dass es Alternativen zu dieser Politik gibt. Leider wird das außerparlamentarische Geschehen in unserer Mediengesellschaft nur sehr bedingt wahrgenommen. Der neu zusammengesetzte Bundestag wird helfen, andere Inhalte in die Öffentlichkeit zu transportieren.

Spielt für Ihre Kandidatur auch der latente Rechtsradikalismus eine Rolle? Unlängst förderte eine Studie der FU Berlin zu Tage, dass 23 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder im Osten für rechte Parolen empfänglich sind.
Das Märchen von der Alternativlosigkeit der jetzigen Politik macht die Menschen hoffnungslos. Das kann auch dazu führen, dass sie den schlicht gestrickten Rezepten der Rechten erliegen. Die Studie hat mich nicht überrascht. Gewerkschaftsmitglieder sind Teil der Gesellschaft. Dass gerade bei denjenigen, die noch einen Arbeitsplatz und einen einigermaßen akzeptablen Lebensstandard haben, die Bedrohungs- und die Verlustängste besonders groß sind und dass daraus abgeleitet dann rechtsextreme Einstellungsmuster gestärkt werden, verwundert mich ebenso wenig wie der zunehmende Ruf nach einem "starken Mann".

Sie wollen also auch die Menschen ansprechen, die für die vermeintlich "einfachen Lösungen" der Rechten empfänglich sind?
Das entstehende Linksbündnis muss ganz viele Menschen erreichen. Gregor Gysi und Oskar Lafontaine haben dafür ein gutes Talent. Die beiden, wir alle wollen deutlich machen, dass es Möglichkeiten gibt, den Sozialstaat in seinem vollen Umfang zu erhalten. Mit wenigen Sätzen kann man sagen, dass mit der Umverteilung von unten nach oben Schluss sein muss, dass man die richtigen Stellschrauben dreht, beispielsweise mit einer gerechteren Steuerpolitik und mit der Bürgerversicherung.

Neonazis wollen die WASG unterwandern. Sehen Sie hier eine Gefahr?
Nicht ernsthaft, weil die Neonazis bei den für uns wichtigen Kernfragen schnell mit ihren chauvinistischen und rassistischen Grundpositionen zu erkennen sind.

Das Gespräch führte Günter Frech


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