Spätestens zu Beginn der Neunziger Jahre brach in vielen bundesdeutschen Kommunen ein wahres Reformfieber aus, dessen Auswirkungen auch ganz unten spürbar wurden. "Outsourcen" und auf das Kerngeschäft konzentrieren hieß die Diätformel zur Verschlankung des adipösen Staatsapparates. Das Argument der Effizienzsteigerung bei gleichzeitiger Kostensenkung machte auch vor öffentlichen Toiletten nicht halt: An die Folgen für die Putzfrauen dachte dabei niemand. Die Fremdvergabe von Reinigungsaufträgen an private Reinigungsunternehmen wird seit den siebziger Jahren zunehmend von öffentlichen Einrichtungen und Kommunen betrieben. Im Zuge der damit verbundenen Verlagerung von Arbeitsplätzen (Abbau von Reinigungsstellen im öffentlichen Dienst und Zuwachs von Arbeitsplätzen im privaten Gebäudereinigerhandwerk) hat sich die Reinigungsbranche zum beschäftigungsstärksten Handwerk entwickelt. Im Jahr 2002 arbeiteten nach Angaben des Statistischen Bundesamtes circa 853.000 Personen in rund 6.400 Betrieben des Gebäudereinigerhandwerks. Hinzu kommt noch eine statistisch nicht erfasste Anzahl von Beschäftigten, die in Kleinstbetrieben bezeichnenderweise "Reinigung nach Hausfrauenart" durchführen sowie Personen, die als Subunternehmer/innen selbstständig sind.
Glasreiniger sind männlich
Ein Blick auf die Beschäftigtenstruktur im privaten Reinigungsgewerbe entpuppt sich als Paradebeispiel für feministische Arbeitsmarktforschung. Bei einem Frauenanteil von circa 89 Prozent liegt eine Trennung der Tätigkeitsbereiche nach Geschlechtern vor: In der Innen- beziehungsweise Unterhaltsreinigung, die mit annähernd 80 Prozent des Gesamtumsatzes das Hauptgeschäft der Reinigungsunternehmen ausmacht, arbeiten überwiegend angelernte Frauen auf Teilzeit- oder Geringfügigkeitsbasis, darunter viele Migrantinnen; gilt Putzen doch als Tätigkeit, die jede kann, und eine wöchentliche Arbeitszeit unter 21 Stunden als besonders familienfreundlich. Fast ausschließlich männliche Arbeitnehmer sind dagegen im Prestigebereich der Glas- und Fassadenreinigung anzutreffen, diese Arbeit wird zugleich besser entlohnt, hier gibt es Vollzeitarbeitsplätze, tarifliche Gefährdungszulagen und eine Anerkennung der beruflichen Qualifikation. Schließlich ist "Gebäudereiniger" ein qualifizierter Handwerksberuf. Die vielen fachlichen Kenntnisse, die notwendig sind, um Flächen auch in der Innenreinigung entsprechend zu pflegen und zu erhalten, werden dagegen wenig beachtet.
Im von der Hans-Böckler-Stiftung und der IG Bauen-Agrar-Umwelt geförderten empirischen Forschungsprojekt Arbeitsbedingungen in der Gebäudereinigung in öffentlichen Gebäuden. Vergaberichtlinien als wirksames Instrument zur Sicherung arbeits- und tarifrechtlicher Standards?, angesiedelt am Harriet Taylor Mill Institut der Fachhochschule für Wirtschaft Berlin und der Johann Wolfgang von Goethe Universität Frankfurt am Main, unter Leitung von Claudia Gather und Ute Gerhard, wird das Nebeneinander von kommunaler und privatwirtschaftlicher Gebäudereinigung in Hinblick auf die Arbeitsbedingungen der dort Beschäftigten erhoben. Die Ausgangsthese der Untersuchung bildet die Annahme, dass mit der Verlagerung von Arbeitsplätzen von den Kommunen in das private Gebäudereinigungsgewerbe eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für die dort Beschäftigten durch die Aufweichung materieller, rechtlicher und betrieblicher Standards einher geht.
Wer ist schon den Tarifen treu?
Obwohl im privaten Gebäudereinigerhandwerk allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge fast überall einheitliche Mindeststandards für sämtliche Beschäftigungsverhältnisse in der Branche setzen, die mit Lohnhöhen von beispielsweise 5,79 Euro (Sachsen-Anhalt) oder 8,44 Euro (Hessen) mehrere Euro unter denen des öffentlichen Dienstes liegen, scheinen viele Betriebe diese nur für eine Empfehlung zu halten. Im Geschäft mit dem Putzen ist der Preis der Leistung meist das einzige ausschlaggebende Kriterium bei der Auftragsvergabe. Da sich durch den Einsatz von Maschinen oder einer besseren Arbeitsorganisation kaum Rationalisierungsmöglichkeiten ergeben und der Anteil der Personalkosten an den Gesamtkosten erheblich ist, werden Wettbewerbsvorteile im Kampf um kommunale Aufträge auch mit illegalen oder halblegalen Mitteln erzielt: durch Tarifunterschreitungen oder durch Erhöhung der Flächenleistung, die gereinigt werden soll. Dass statt des Berliner Tariflohnes von 8,03 Euro beispielsweise ein Bruttostundenlohn von nur 6,40 Euro bezahlt wird, konnte eine Projektmitarbeiterin am eigenen Leibe erfahren, die nach dem Vorbild Barbara Ehrenreichs under cover eine Stelle als Reinigungskraft bei einer privaten Reinigungsfirma angenommen hat. Dass der Arbeitsort ein Gebäude der öffentlichen Hand in Berlin gewesen ist, gab dieser Erfahrung eine besondere Brisanz. Denn Auftragnehmer öffentlicher Aufträge sichern bei Vertragsabschluss schriftlich die Einhaltung der tariflichen Standards zu, so schreibt es das Berliner Vergabegesetz vor. Ob die Reinigungsfirmen die tariflichen Ansprüche der Beschäftigten einhalten, wird vom Auftraggeber in der Regel nicht überprüft. So kommt es immer wieder vor, dass Reinigerinnen bezahlte Urlaubstage, Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall oder die Jahressonderzahlungen vorenthalten werden, Zuschläge für die Arbeit am Sonntag oder in der Nacht nicht gewährt werden. Vertreter/innen von Reinigungsunternehmen, die sich an tarifliche Standards halten, beklagen ihrerseits den Verlust von Aufträgen an die Dumpingkonkurrenz und kritisieren die kommunale Vergabepraxis: Die öffentliche Hand entscheide sich häufig für den billigsten Anbieter und toleriere damit, dass die geforderte Leistung und die Tariftreue nicht mit den zur Verfügung stehenden Mitteln eingehalten werden. Die Folge davon sei ein ruinöser Preiskampf in der Reinigungsbranche. Die allgemein verbindlich erklärten Tarifverträge wirken, wenn deren Einhaltung nicht kontrolliert wird, nur eingeschränkt als Regulativ des Verdrängungswettbewerbs. Innovativ scheint deswegen das in Berlin bundesweit einmalige Modell der "Prüf- und Beratungsstelle" zu sein. Von den Tarifparteien im Jahr 2000 im Rahmen eines Tarifvertrages etabliert, hat sie das Ziel, die allgemein verbindlichen Tarifverträge für das Gebäudereinigerhandwerk durchzusetzen und ihre Einhaltung zu kontrollieren. Die im Reinigungsgewerbe tätigen Arbeitnehmer/innen haben gegenüber der Einrichtung einen Anspruch auf die ihnen vorenthaltenen Tarifleistungen. Die Prüf- und Beratungsstelle zahlt den Arbeitnehmer/innen den vorenthaltenen Lohn, also die Differenz zwischen dem tatsächlich gezahlten Lohn und dem tariflichen Lohn, aus. Mit der Auszahlung gehen die Ansprüche an die Prüf- und Beratungsstelle über, die sie auch gerichtlich gegenüber den Betrieben geltend machen kann und zudem das Recht hat, zahlungsunwillige Unternehmen mit Vertragsstrafen zu belegen. Darüber hinaus werden im Auftrag öffentlicher Vergabestellen die beauftragten Reinigungsfirmen hinsichtlich ihrer Tariftreue überprüft. Die Arbeit, die unter dem Motto "Sauberer Lohn für saubere Leistung" erfolgt, wurde jüngst - nicht zuletzt wegen ihrer sozialpolitischen Bedeutung - durch das Bundesarbeitsgericht bestätigt.
Immer mehr Fläche in kürzerer Zeit
Noch schwieriger zu kontrollieren als tarifliche und arbeitsrechtliche Standards ist die im Laufe der letzten Jahre enorm gestiegene Flächenleistung, die Reinigungskräfte erbringen müssen. Die Ursachen für die Leistungsverdichtung liegen zum einen in der Praxis der Auftraggeber, die Reinigungshäufigkeiten zu reduzieren, um die Reinigungskosten zu senken. Dadurch, dass seltener geputzt wird, erhöht sich der Verschmutzungsgrad in den Räumen. Zum anderen kalkulieren die Reinigungsfirmen häufig mit unrealistischen Zeitvorgaben. Wie schwierig es ist, das vorgegebene Arbeitssoll einzuhalten, erzählt Frau Camiz*, die, bei einer privaten Reinigungsfirma beschäftigt, in einem öffentlichen Pflegeheim putzt: "Sieben Minuten haben wir für ein Zimmer. Manchmal dauert es aber zehn Minuten, bis wir fertig sind. Wenn dann ungefähr zehn Zimmer so dreckig sind, was machen wir mit den anderen Zimmern? Das ist hier ja nicht nur ein bisschen dreckig. Das ist hier ja extrem dreckig. Das schafft kein Mensch. Da müssen wir rennen. Wir hetzen uns hier ganz schön." Heimbewohner, die ihr Essen wieder ausspucken, in ihre Kleidung pinkeln und diese dann im Schrank verstecken oder mit Kot beschmierte Toiletten hinterlassen, sind keine Seltenheit, erzählt die Reinigerin. Doch Frau Camiz versucht, ihren Ekel zu unterdrücken: "Die können ja nichts dafür, die sind alt. Und manche freuen sich so, wenn ich in ihr Zimmer komme und wollen mit mir reden."
Anders als Frau Camiz haben die meisten Reinigerinnen, die bei privaten Reinigungsfirmen beschäftigt sind, mit den Leuten, deren Schmutz sie beseitigen, keinen Kontakt. Gereinigt wird meist in den frühen Morgenstunden und nach Dienstschluss. Als unsichtbare Heinzelfrauen bleiben sie dort, wo sie reinigen, unbekannt. Betriebliche Integration erfolgt selten. Wer lädt schon die Reinigerinnen einer Reinigungsfirma zum Weihnachtsfest ein? Oder wie eine Reinigerin, die noch in einer Kommune beschäftigt ist, das Verhältnis zu ihren Kolleginnen von Privatfirmen beschreibt: "Und die Fremdreinigung ist eben halt, wie schon das Wort fremd, sie ist uns fremd geblieben. Die reinigen schnell und hauen wieder ab." Gleichzeitig sind sie zudem eher schlecht an ihren Arbeitgeberbetrieb angebunden, da sie als "Diener zweier Herren", so die Charakterisierung von Wolfram Wassermann, die auf das doppelte Abhängigkeitsverhältnis der Dienstleistenden verweist, fernab der Reinigungsfirma ihren Dienst am Kunden tätigen. Für die betriebliche und gewerkschaftliche Interessenvertretung ist diese Struktur fatal: In nur fünf von 100 Betrieben gibt es Betriebsratsgremien, der Organisationsgrad in der Gebäudereinigung liegt bei schätzungsweise sieben Prozent.
Als weibliche Avantgarde der neuen Arbeitswelt können sie bezeichnet werden, die Reinigerinnen, mit ihren flexiblen ungeschützten Niedriglohnjobs.
Insbesondere, weil sie immer wieder ins Strohfeuer politischer Regulierungen geraten. Neben der Ausweitung der Mini Jobs - in der Gebäudereinigung hat ihn jede zweite schon - müssen die meisten Beschäftigten in Kürze mit einer Absenkung ihrer Tariflöhne rechnen. Um zu verhindern, dass Reinigungsunternehmen im Zuge der Hartz- Gesetze eigene Leiharbeitsfirmen gründen und ihr Personal nach günstigeren Tarifen beschäftigen und somit das ganze Tarifgefüge untergraben, kam es im Herbst 2003 zu einem neuen Tarifabschluss, der eine Absenkung der Stundenlöhne auf ein bundesweit einheitliches Lohnniveau von 7,58 Euro (West inkl. Berlin) beziehungsweise 6,08 Euro (Ost) zum 1. April vorsieht. Ob dieser jedoch sein Ziel erreicht, die Leiharbeit in der Reinigungsbranche einzudämmen oder gar nicht erst im großen Stile aufkommen zu lassen, ist ungewiss. Sicher jedoch ist, dass die Arbeitsbelastungen für Reinigerinnen größer geworden sind, es müssen immer mehr Flächen in immer weniger Zeit gereinigt werden und dass es gleichzeitig für Frauen wie Frau Camiz zunehmend schwieriger wird, einen existenzsichernden Lebensunterhalt in der Gebäudereinigung zu verdienen - auch wenn sie drei Mini-Jobs ausübt und "nebenher" noch schwarz in einer Gaststätte putzt.
* Name geändert
Lena Schürmann und Heidi Schroth sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen im Forschungsprojekt Arbeitsbedingungen in der Gebäudereinigung. Die vollständigen Ergebnisse der Studie werden voraussichtlich im August vorliegen.
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