Nicht nur Pornofilme

Was läuft Über Sexualität im digitalen Zeitalter und die die sechsteilige Kurzserie „Hot Girls Wanted: Turned On“. Spoiler-Anteil: 17 Prozent
Ausgabe 26/2017

Machen uns Dating-Apps, soziale Medien und Pornokonsum in Sachen Romantik und Sex zu Robotern? Oder ermöglichen sie uns mehr Selbstverwirklichung, Abwechslung, Spaß? Keine klare Antwort, aber zumindest ein paar Ideen bietet die sechsteilige Kurzserie Hot Girls Wanted: Turned On. Anders als im Vorläufer, der Dokumentation Hot Girls Wanted, geht es darin nicht mehr nur um den Weg in (und aus) der Porno-Industrie. Stattdessen sollen die sechs jeweils in sich geschlossenen Episoden Einblick geben, was Apps und Streamingdienste für die Sexualität von Usern und auch Akteuren bedeuten.

Da sind Pornoproduzentinnen wie Erika Lust, die ästhetische, frauenfreundliche Filme drehen möchten – und nur schwer gegen die Kostenloskultur im Netz bestehen können. Kaum jemand zahlt für Pornografie, wenn Streamingplattformen die Filme gratis zeigen. Das gleiche Problem haben die Protagonisten in zwei weiteren Episoden, die als Agenten und/oder Darsteller unter Druck stehen – wenige zahlende Zuschauer, gleich niedriges Budget, gleich suboptimale Arbeitsbedingungen.

Speziell in den Episoden, in denen es um die Porno-Industrie geht, knüpft Hot Girls Wanted: Turned On an die ursprüngliche Dokumentation an. Und macht dabei das, wofür der Film gelegentlich kritisiert wurde: vor allem die dubiosen Seiten zu zeigen, die es dort mit Sicherheit gibt. So kritisierte etwa Aurora Snow, früher selber Darstellerin, heute Autorin beim Webzine The Daily Beast, dass es in der Industrie wie überall unterschiedliche Arbeitgeber gibt. Solche, die bei allen Gewinnabsichten das Wohl ihrer Mitarbeiter nicht ignorieren – schon aus dem Kalkül, dass es kaum sinnvoll ist, jemanden „aufzubauen“, der nach einigen Monaten an der Belastung zerbricht –, und andere, die den schnellen, einfachen, rücksichtsloseren Weg gehen.

Darauf einzugehen ist schwierig. Der Verweis, dass wir ja mal über Arbeitsbedingungen ganz allgemein sprechen können, die in den meisten Unternehmen im Widerspruch zu den Bedürfnissen der Arbeitnehmerinnen stehen, wäre Whataboutism. Gleichzeitig ist es aber auch ein bisschen unaufrichtig, sich über die Arbeitsbedingungen von Pornodarstellerinnen zu echauffieren, sich aber nicht um die Zustände in Discountern, Busunternehmen und Schlachthöfen zu scheren. Auch die non-pornografische Filmindustrie ist sicher kein Vorreiter in Sachen Mindestlöhne und Nine-to-five-Jobs.

Immerhin zeigt die Episode mit Erika Lust, dass Pornografie auch anders geht: fantasie- und rücksichtsvoller. Aber ist das die Lösung? Wie viele Menschen schauen sich tatsächlich diese Filme aus dem Beweggrund an, aus dem Pornos nun mal angesehen werden? Und nicht nur aus Neugierde oder dem Wunsch heraus, ein Projekt zu unterstützen?

Neben den drei Episoden, die sich mit der Porno-Industrie befassen, stehen etwa die, in der sich ein Mann mit Frauen über Tinder verabredet, ihnen näherkommt und dann den Kontakt abbricht – um sich kurz darauf mit der nächsten zu verabreden. Auch diese Folge hinterlässt hier Ratlosigkeit: Ist Tinder generell ein Problem oder erst ab der 15. Verabredung? Oder erst, wenn du als User in dem Alter bist, in dem bitte endlich an Familiengründung gedacht werden soll? Vielleicht hat Tinder Nachteile – unterschiedliche Erwartungen an Verbindlichkeit sind dagegen nichts Neues. Das konventionelle Beziehungsmuster, zu zweit sein und es am besten für immer bleiben, wird von Hot Girls Wanted: Turned On unkritisch als Maßstab übernommen.

In der fünften Episode verabredet sich ein Live-Cam-Girl mit einem langjährigen Kunden, in der sechsten geht es um eine junge Frau, die angeklagt ist, weil sie die Vergewaltigung ihrer Freundin über Periscope gestreamt hatte. Am Ende fällt die Bilanz davon, wie Digitalisierung unsere Sexualität beeinflusst, in Hot Girls Wanted: Turned On ziemlich ernüchternd aus.

Aber ist es so einfach? Bei aller Skepsis, die bei Pornos, Tinder und sozialen Medien nicht verkehrt ist, gehen in der Erzählung neutrale bis positive Aspekte verloren. Es gibt Menschen, die auf Tinder gefunden haben, wonach sie suchten, genauso wie es Menschen gibt, die gern und unter adäquaten Umständen Pornos drehen. Live-Cams und Periscope sind zumeist eher harmloser Spaß als große Illusion oder Anreiz zur Verantwortungslosigkeit. Es gibt diese anderen Akteure und User – nur eben nicht so oft in Hot Girls Wanted: Turned On.

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