Nicht ohne meine „Arbeitshilfe“!

Die Ratgeberin Auch manche Telefonberatungsstellen haben während der Krise geschlossen. Unsere Kolumnistin bringt das in Schwierigkeiten
Ausgabe 47/2020
Vorsicht, Viren können offenbar auch durch das Telefon übertragen werden
Vorsicht, Viren können offenbar auch durch das Telefon übertragen werden

Foto: Natalia Kolesnikova/AFP/Getty Images

Mein Vermieter hat die fixe Idee, dass ich zu wenig Miete zahle. Kürzlich schrieb er mir, ab Februar 2021 würden 80 Euro mehr fällig. Ich schluckte. Vergangenen November fiel ihm ein, dass ich 100 Euro mehr zahlen müsse. Tatsächlich musste ich null Euro mehr zahlen. Ein anderes Mal visionierte er 70 fehlende Euro, wo es 30 waren.

Meine eigenen Mietpreisideen hole ich mir immer von der Mieterberatung. Aber: Derzeit sind alle Beratungsstellen geschlossen. Stattdessen gibt es drei Telefonnummern. Während die Stellen abends geöffnet waren, sind die Telefone längstens bis 17 Uhr besetzt. Ja, klar, denke ich, abends infizieren sich die meisten; vor allem, wenn Alkohol im Spiel ist. Betrunkene Ratsuchende lallen dann am Telefon und pusten schutzlose Mitbewohner mit Viren voll. Nicht mit der Mieterberatung. Sehr umsichtig!

Kleiner Nachteil der Beratungs-Sperrstunde: Ich muss meinen letzten Urlaubstag opfern. Ich höre: „Im Rahmen der allgemeinen Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virussssesss ...“, oder: „Tut, tut, tut“, oder: „Tuuut, tuuut, tuuut“, zuletzt wieder: „Im Rahmen der allgemeinen Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virussssesss ...“ Süß. Meiner Anrufliste zufolge habe ich es 37-mal probiert. Ich versuche es per Mail. „Hallo, Frau Berkenheger“, lese ich nach ein paar Tagen, „eine Telefonnummer zur Kontaktaufnahme wäre nützlich.“ Jein, denke ich, schicke aber brav die Nummer – inklusive der Zeiten, zu denen ich Anrufe annehmen kann.

Leider rufen sie wann anders an. Ich rufe zurück, und – juchhe! – es meldet sich jemand: „Wir schicken Ihnen die Arbeitshilfe zur Prüfung einer Mieterhöhung“, erklärt man mir. „Sobald Sie die ausgefüllt haben, rufen Sie wieder an und bekommen dann einen Beratungstermin!“ Nein! Halt! In letzter Sekunde kann ich erbetteln, dass nicht ich anrufe, sondern die Mieterberatung mich, natürlich erst nachdem ich die Arbeitshilfe ausgefüllt habe. Arbeitshilfe?! Wegen Corona? Ich sehe mich das Formular bei der Beratung stumm vorlegen, der beratende Anwalt hakt nur ab. Also viel weniger Aerosolausstoß! Ausgefuchst!

Drei Tage später finde ich einen Umschlag im Briefkasten: die Arbeitshilfe! Zwölf Seiten extra dickes Papier. Version 1.0 vom 19. Mai 2019. Hehe! Da gab’s Corona ja noch gar nicht. Tatsächlich, so lese ich, war sie einst dazu gedacht, die Wartezeit in den Beratungsstellen zu überbrücken. Und dann ruft die Mieterberatung wieder an, zu exakt derselben Zeit, zu der ich schon vergangene Woche nicht rangehen konnte. Ich rufe zurück und höre: „Im Rahmen der allgemeinen Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virussssesss ...“ Also, man kann sagen, was man will: Die bemühen sich wirklich, das Virus kleinzuhalten.

Was mache ich dagegen? Noch heute Abend schreibe ich meine persönliche Verordnung zur Eindämmung des Virus: 1) Um die innerhäusliche Infektionsrate so gering wie möglich zu halten, bin ich leider nur noch per Mail erreichbar, liebe Mieterberatung. 2) Zur Stärkung meiner Abwehrkräfte muss mir bis auf Weiteres jeden Morgen ein Stück Käsekuchen ans Bett gebracht werden, lieber Sohn. 3) Coronabedingt wird die Bedienung der haushaltseigenen Waschmaschine eingestellt. Diese Maßnahme ist befristet auf drei Wochen. 4) Sollte die Mieterberatung nicht mailen, muss ich meine Mitgliedschaft aufgrund des Infektionsschutzes leider beenden – nicht dass ich mich am Telefon noch aufrege und laut werde. Sicher ist sicher.

Susanne Berkenheger ist seit einem Vierteljahrhundert als Künstlerin, Satirikerin und Autorin aktiv. 2015 wurde ihr vom Freitag der Titel „Die Ratgeberin“ verliehen. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin

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