Nicht ohne meinen Volkswagen

Werbekritik Was macht man, wenn die Zukunft düster aussieht? Man poliert die Vergangenheit auf. Nicht, dass jemand auf die Idee kommt, es könnte ohne Autos gehen

Volkswagen wirbt seit Anfang des Jahres im Fernsehen und im Internet mit einem Spot, der wie ein Clip aus der Bilder-Schmiede von Guido Knopp wirkt. In knapp einer Minute geht es durch 60 Jahre Bundesrepublik, natürlich immer mit den passenden Modellen aus Wolfsburg. Die Geschichtslektion beginnt mit Bildern des Wirtschaftswunders: Arbeiter strömen ins Käfer-Werk, gleich darauf feiert man die Fertigstellung des millionsten Wagens. Dazwischen Bilder privaten Glücks, wie sie in die Adenauer-Zeit passen: mit dem Käfer auf dem Weg nach Italien, die Gattin vor dem Alpenpass posierend.

Dann der Sprung in die 60er und 70er: Ein langhaariger Mann bläst Seifenblasen, eine Frau läuft im Blumenkleid über eine Wiese – das Kultmobil der Hippies, der VW-Bulli, immer im Hintergrund. Für die hedonistischen 80er stehen aggressiv geschnittene Bilder eines Geländerennens, ein Rennfahrer drischt einen aufgemotzten Golf durch eine Schlammlache. Und als die Berliner Mauer fällt, rollt durch die Menschenmenge kein Trabi, sondern ein roter Golf. Geschichtsklitterung fürs Markenimage.

Natürlich fehlen in dem Geschichtsclip auch Ölpreisschock und autofreie Sonntage, von der nationalsozialistischen Vorgeschichte des Konzerns ganz zu schweigen. Es ist der Entwurf einer Wohlfühl-BRD, nichts trübt hier die Liebe der Deutschen zu ihren Autos. Unterstrichen wird die Emotionalität der Bilder durch verträumte Musik. Die Berliner Chansonette Toni Kater singt von Kugeln aus Glas und von Luftballons – knuffig. Während außerhalb der Wolfsburger Kuschelwelt Opel ums Überleben ringt und das Ende des Autos als Statussymbol diskutiert wird, stemmt sich VW mit der hemmungslos emotionalisierten Kampagne gegen den Trend.

Und dabei soll möglichst jeder mithelfen und am VW-Mythos mitschreiben. „Erzählen Sie uns Ihre schönste Volkswagen-Geschichte“, fordert der Konzern am Ende des Spots auf. Es ist ein seltsames „Geschichte von unten“-Projekt, dessen Beiträge man auf der dazugehörenden Webseite (volkswagen-60-jahre.de) nachlesen kann.

Dort sammeln sich Geschichten vom Erwachsenwerden in einem Land, in dem Fahren ohne Tempolimit immer noch zu den bürgerlichen Grundrechten zählt. Die Beiträge erzählen vom ersten eigenen Auto – je nach Generation Käfer, Golf oder Polo. Dazu gibt es Fotos stolzer Hochzeitspaare vor geschmückten Cabriolets oder Urlaubsbilder mit dem Bulli in Italien. Viele Autos haben Namen: Polo Eddy, VW-Bus Tommy. Die Texte lesen sich wie Erinnerungen an die erste große Liebe. Dankbarkeit klingt durch, auch Melancholie, gespeist aus dem Wissen: So schön wie damals wird es nie mehr.

Es ist dieser melancholische Grundton und das Rückwärtsgewandte der VW-Kampagne, die besonders irritieren. Früher protzten Konzerne mit technischen Neuerungen, mit mehr Hubraum, mehr Fahrspaß. Dem Fahrer des neuesten Modells gehörte die Zukunft. Heute feiert man die guten alten Zeiten. Zur Zukunft fällt VW außer der Abwrackprämie offenbar nicht mehr viel ein.

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