„Gender-Wahn“, „Gender-Gaga“, „Gender-Ideologie“ – das sind bekannte Diffamierungen gegen feministische Analysen und Kritiken zu bestehenden Traditionen und Normen in unserer Gesellschaft. Man muss keine Super-Feministin sein, um zu erkennen, dass diese üble Nachrede über „böse Frauen“, die Männer hassen oder alle Kinder durch Sexualerziehung in den Schulen „homosexuell machen“ würden, ganz klar in die konservative Ecke einzuordnen ist. Anders ist es aber mit Diskursen von manchen Feminist*innen zur wahren Natur des weiblichen biologischen Geschlechts, in der sie den Ursprung ihrer Unterdrückung sehen. Unter einem falsch verstandenen Materialismus verweisen sie trans Frauen aus feministischen Räumen und politischen Kämpfen. Es handelt sich dabei um reaktionäre Diskurse und Positionen im feministischen Gewand, die in linken Kreisen ernst genommen werden und Einfluss haben. Die trans Feindlichkeit und reaktionäre Positionierung dahinter wird oftmals nicht erkannt.
Ein prominentes Beispiel dafür ist die anhaltende Debatte um J.K. Rowlings letzten umstrittenen Tweet zur Dauerbrenner-Frage „Wer oder was sind jetzt eigentlich Frauen?“. Ohne Menstruation ist man oder besser gesagt frau in dieser Hinsicht bei Rowling raus. Die Autorin wurde aufgrund transfeindlicher Positionen kritisiert, weil sie sich über einen Artikel lustig machte, in dem von Menstruierenden gesprochen wurde und fragte, welches Wort es dafür gegeben habe. „Frauen“, ist doch klar, könnte man nun denken. Dass trans Männer und manche nicht binäre Personen auch menstruieren können, bietet jedoch einigen Feminist*innen Anlass, sich über den Versuch inklusiver Sprache zu amüsieren. Diese Position grenzt offensichtlich Personen aus, die nicht menstruieren und sich als Frauen definieren sowie Menschen, die menstruieren und sich nicht als Frauen definieren. Dass eine derartige Essentialisierung von Körpern ad absurdum getrieben werden kann und Frauen in Menopause, ohne Brüste, ohne Eierstöcke etc. dann wahrscheinlich auch fürchten müssen, nicht mehr „echt genug“ zu sein, bleibt bei diesen Diskursen offen.
Wer würde also Kritik an dieser Ausgrenzung zurückweisen und warum? Naida Pintul eilt mit dem im Freitag erschienenen Artikel „Verfolgende Unschuld“ J.K. Rowling zu Hilfe, da diese angeblich nur gesagt habe, dass Frauen Frauen seien. Pintul behauptet, dass Feminist*innen, die sich für die Rechte von trans Personen einsetzen, nie mehr von Frauen oder Mädchen sprechen, Geschlecht einfach insgesamt als Analysekategorie über Bord werfen würden, keine materialistische Analyse vorweisen könnten und sich stattdessen auf „Sprachmagie“ verließen.
Eins ist klar: Misogyne Beleidigungen gegen Rowling sind vollkommen inakzeptabel. Sie sind unhaltbar und bieten keine Grundlage für eine Auseinandersetzung zu transfeindlichen Positionen in unserer Gesellschaft. Dieser Artikel soll daher eine konstruktive Reflexion zur Debatte liefern und ihre Widersprüchlichkeit auf materieller, feministischer und marxistischer Ebene aufzeigen. Denn wer darauf verweist, dass Geschlecht sozial hergestellt wird, behauptet nicht, dass Geschlecht nicht existiert.
Im Gegenteil, Feminist*innen zeigen permanent auf, dass Geschlecht eine zentrale Kategorie ist, die unsere Leben und unsere Gesellschaft strukturiert. Damit gibt es ein Analysewerkzeug, um nachzuvollziehen, wie zum Beispiel Mädchen mit Vulva und Mädchen mit Penis abgewertet werden. Wichtig ist, dass Feminismus für alle Mädchen kämpft. Wichtig ist, dass jegliche cis-heterosexistische Unterdrückung und Gewalt zurückgewiesen wird, und nicht nur ein Teil von ihr.
Selbstverständlich kann und muss auch von Frauen und Mädchen gesprochen werden – gerade trans Frauen und trans Mädchen kämpfen dafür. Aber Begriffe von Geschlechtsidentitäten müssen kontextspezifisch reflektiert und besprochen und nicht ahistorisch vorausgesetzt werden. Begriffe und Sprache so zu erweitern, dass komplexe Lebensrealitäten und Unterdrückungssituationen besser verstanden werden können, erlaubt zum Beispiel Unterschiede in der Diskriminierung von cis und trans Frauen zu berücksichtigen und zugleich zu sehen, dass sie sich aus derselben patriarchalen Gewalt speisen.
Zum Beispiel kämpft eine starke feministische Bewegung in Argentinien gegen Gewalt an Frauen. Trans Frauen haben in Argentinien nur eine Lebenserwartung von 35-40 Jahren, weil sie überproportional von Gewalt betroffen sind. Bei Feminiziden – den Morden an Frauen aufgrund ihres Geschlechts – ist es zentral hinzuschauen, wer wie und warum betroffen ist. Dies muss Bestandteil einer Politik gegen jegliche Gewalt an Frauen sein.
Biologistische Argumente sind reaktionär
„Nun mag man folgendes für unkontrovers halten: Weibliche Anatomie ist global – in Abstufungen – Grundlage für zahlreiche Arten von Unterdrückung,“ so Pintul. Darin schwingt die Annahme mit, progressive Feminist*innen und trans Aktivist*innen würden die materielle und biologische Dimension von Geschlecht leugnen und von Frauen als Unterdrückten ablenken. Diese These ist symptomatisch für eine verzerrte Debatte, die weit über den Fall Rowling hinausreicht.
Was ist das Problem mit biologistischen Erklärungsmustern à la „weibliche Anatomie“ sei die „Grundlage für zahlreiche Arten von Unterdrückung“? Die Idee dahinter ist, dass Frauen unterdrückt würden, weil sie bestimmte biologische Merkmale wie Brüste oder Uterus haben. Mit dieser Ansicht wähnt man sich in Sicherheit, nicht postmodernem Sprachreduktionismus zu verfallen und die eigenen Argumente auf real existierende Materie aufzubauen. Eine biologistische Argumentation wird hier jedoch mit einer materialistischen Analyse verwechselt.
Die englischsprachige Unterscheidung zwischen sex und gender erlaubt eine Differenzierung zwischen biologischem Geschlecht und sozialer Geschlechtsidentität. Diese Unterscheidung hilft, die zahlreichen Formen von Geschlecht greifbar zu machen. Transfeindliche Argumentationen stützen sich mit Vorliebe auf sex, also das sogenannte biologische Geschlecht. Mit der naturwissenschaftlichen Unterscheidung von Mann und Frau scheint man doch auf der sicheren Seite zu sein, oder? So einfach ist es jedoch nicht. Selbst biologisch gesehen gibt es mehr Geschlechter. Verschiedene Formen von Intergeschlechtlichkeit sind nur ein Beispiel davon.
Anstatt Geschlecht und Geschlechterunterdrückung als funktional für die kapitalistische Produktionsweise zu verstehen, wird von einer ewig währenden Biologie ausgegangen, die allein bestimme, was Geschlecht sei. Anstatt die Verwobenheit patriarchaler und kapitalistischer Strukturen zu analysieren, um zu begreifen, dass arbeitende Frauen aufgrund ihrer Position im Reproduktionsprozess unterdrückt werden, wird behauptet, die „weibliche Anatomie“ sei Grundlage der Unterdrückung.
Nach der marxistischen Feministin Tithi Bhattacharya bedeutet Reproduktionsarbeit: Erstens die tägliche Erneuerung der Arbeiter*in und ihrer Arbeitskraft. Dazu zählen unter anderem das Zubereiten von Essen und Waschen der Kleidung, um die eigene Arbeitskraft immer wieder in den kapitalistischen Produktionsprozess einbringen zu können. Zweitens die Erhaltung der nicht arbeitenden Mitglieder der Arbeiter*innenklasse, siehe Kinder, kranke oder ältere Menschen. Und zuletzt die generationelle Erneuerung der Arbeiter*innenklasse, also das Gebären von Kindern. Diese Tätigkeiten werden überwiegend Frauen zugeschrieben. Das hat Einfluss auf die Lohnarbeit, in der Frauen – mit und ohne Kinder – nach wie vor schlechter bezahlt werden. Deutschland besetzt laut Statistischem Bundesamt den zweitschlechtesten Platz im europäischen Vergleich und liegt mit 21 Prozent Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen weit vorne in punkto Ungerechtigkeit.
Patriarchale Strukturen existierten bereits vor dem Kapitalismus, doch die Frage bleibt, welche Bedeutung der Fähigkeit zur Reproduktion der Arbeiter*innenklasse im Kapitalismus zugeschrieben wird und ob sie in einer zukünftigen Gesellschaft nicht eine andere haben kann. Die Geschlechterfrage ist von der Klassenfrage nicht zu trennen. Sie auf eine scheinbar statische Biologie zu reduzieren, führt meist zu reaktionären Ansichten wie der, dass trans Frauen keine Frauen seien.
Feminist*in und transfeindlich?
Transfeindlichkeit ist kein neues Phänomen im Feminismus, doch in den letzten Jahren bekam eine Gruppe von so genannten radikalen Feminist*innen (RadFems) wieder Aufschwung. Ihr politischer Kampf richtet sich nicht ausschließlich nach oben – das heißt gegen diejenigen mit Macht und Einfluss, welche von der unterdrückenden Ordnung profitieren – sondern auch gegen Personen, die noch weniger Status in unserer Gesellschaft genießen.
Körper werden genutzt, um an ihnen Kategorien von Macht und Unterdrückung zu manifestieren. Sexismus, Rassismus und Ableismus spielen hierbei eine Rolle. Eine Essentialisierung von Körpern und der daraus folgende Schluss, Körper allein wären der Grund für eine bestimmte soziale Stellung, sind aber falsch: Es geht immer um Machtverhältnisse. Von Spaltungen all derer, die auf verschiedene Weise von dieser Gesellschaft unterdrückt werden, profitiert einzig und allein die bereits herrschende Klasse. Es muss daher einen gemeinsamen Kampf gegen Ausbeutung und Diskriminierung von cis Frauen und trans Frauen geben, weil alle Frauen unter dem gleichen Joch des Patriarchats leiden. Andere üben Macht über uns aus, bestimmen wie wir zu sein haben und was unserer Geschlechtsidentität entspricht und was nicht.
Die Debatte, wer Frau genug ist und wer nicht, wirft alle Frauen und andere Geschlechter wieder weit zurück in die Vergangenheit, indem sie festlegt, welches Aussehen und welche Handlungen und Codes als weiblich genug gelten. Dass trans Frauen daher oftmals gezwungen sind, sich als eindeutig „zuordnungsfähig weiblich“ darzustellen und manchen nur abgenommen wird, dass ihre weibliche Identität durch Operationen besiegelt werden könne, ist nicht nur unhaltbar, sondern auch unfeministisch.
Wer wehrt sich beispielsweise seit Jahren gegen die Streichung der Abtreibungsparagrafen §218/ §219a StGB? Es sind konservative, ultra-religiöse Gruppen, die die bestehende kapitalistische Ordnung von Ausbeutung der einen und Profite der anderen nicht ändern wollen. Das sind diejenigen, die ein Problem damit haben, dass Frauen sexuell selbstbestimmt leben. Es sind auch die gleichen, die Sexarbeiter*innen stigmatisieren und bevormunden. Es sind diejenigen, die Migration als „Mutter aller Probleme“ bezeichnen. Das sind diejenigen, die LGBTQI* zu Risikogruppen stigmatisieren und ihnen verbieten Blut zu spenden.
Es hat also gar keinen Sinn, diese Spaltung in feministischen Reihen aufrecht zu erhalten, sondern es ist endlich an der Zeit, Unterschiede und diverse Erfahrungen nicht gegeneinander auszuspielen, sondern voneinander zu lernen und miteinander gegen die Strukturen zu kämpfen, die uns belästigen, unterdrücken und töten. Ein gemeinsamer solidarischer Kampf ist nicht nur moralisch richtig, sondern auch notwendig, um eine Chance zu haben, ihn zu gewinnen.
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