Nicht weiter als Zülpich

Zeitraum Norbert Scheuers Roman "Kall, Eifel" freut sich an der Ereignislosigkeit der Provinz

Kall, Eifel klingt wie Winesburg,Ohio, dem "Roman einer Kleinstadt" von Sherwood Anderson von 1919. Und das kommt nicht von ungefähr. Ohios Landschaft, wie wir jetzt erst wieder in dem wunderbaren Roman von Ruth Schweikert, eben mit dem Titel Ohio nachlesen können, sieht nämlich als ein welliges Tafelland genauso aus wie die Eifel aus. Nichts besonderes , ein deutsches Mittelgebirge eben.

Bereits in seinem ersten Roman Flußabwärts von 2002 (Freitag 14/2003), hat Norbert Scheuer das Land und die Provinz in den Mittelpunkt seines Romans gerückt. Jetzt in diesem zweiten Buch, das mit vielen Rückverweisen und Anspielungen auf das erste Buch arbeitet und zum Teil auch wieder dasselbe Personal auftreten lässt, spitzt er sein Erzählprinzip noch zu, ja hat es den Anschein, als leihe er, was dem kollektiven Gedächtnisraum irgendwie eingespielt ist, seine Erzählstimme. Und so rückt dem Leser eine Landschaft vor Augen, die abseits der großen Straßen und Verkehrswege liegt und einträchtig Fischteiche und Zementwerke nebeneinander vereint; und so werden ihm Menschen gezeigt, die, auch wenn sie wegwollen, es nicht wirklich schaffen - ja bisweilen sogar, frustriert oder auch nicht, zurückkehren, wenn sie denn tatsächlich für eine klitzekleine Weile der Kleinstadt den Rücken gekehrt haben.

Man trifft sich hier entweder in der Kneipe der Arimonds, die Jungen wie die Alten, die Outcasts und die Krüppel, wie jener "Kleenebeen", dem die fesche Frau Arimond auch mal was Gutes tut und "ihm ihre entblößte Brust" zeigt, oder aber vis-à-vis beim Friseur Delamot, diesem seltsamen Kauz, der nicht nur über alles und jedes in der Gegend Bescheid weiß, sondern sogar "aus den Haaren die Geheimnisse der Leute ablesen" kann. Man feiert Kirmes, geht zum Schützenfest, hat Arbeit oder aber keine und schlägt insgesamt einen engen Zirkel um sich, in den von außen hineinzukommen nicht wirklich gelingt. Die Topographie ist streng markiert - und einer wie der alte Claess vom Zementwerk mit der kaputten Staublunge beileibe kein Einzelfall, da er "in seinem ganzen Leben nicht weiter als bis nach Zülpich gekommen" ist.

Weil das alles so ist - der Raum so messerscharf begrenzt -, spielt auch die Zeit keine erhebliche Rolle. Auf unmerkliche Weise nämlich schiebt Scheuer in seinem Erzählgewebe mit insgesamt 45 kurzen, zwischen einer und sieben Seiten langen Geschichten die Zeiten ineinander und durcheinander: von den sechziger bis in die neunziger Jahre und darüber hinaus wird hier ein einziger Zeitraum abgeschritten. Glaubt der Leser in der mehr oder weniger aktuellen Gegenwart angekommen zu sein (das Piercing von Jugendlichen), so versetzt ihn dann der Cream-Song aus dem Radio, den der junge Arimond mitsingt, flugs wieder in die Spätsechziger und frühen siebziger Jahre zurück. Raffiniert! Paradise is, where nothing never ever happens heißt es irgendwo in einem Song der Eurythmics.

Norbert Scheuer: Kall, Eifel. Beck, München 2005, 191 S., 17,90 EUR


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