Der frühere Juso-Chef ist vom SPÖ-Parteivorstand zum Nachfolger des scheidenden Ex-Kanzlers Viktor Klima gewählt worden. Gusenbauers Bestätigung als Parteichef gilt nur noch als Formsache - nicht indes die Frage nach einer Strategie für die Auseinandersetzung mit der ÖVP-FPÖ-Koalition. Symptome für eine Re-Sozialdemokratisierung der SPÖ unter Gusenbauer tauchen eher sporadisch auf, auch wenn die Gewerkschaften als traditionelle Partner darauf drängen.
FREITAG: Österreich galt lange als das Musterland der Sozialpartnerschaft, eines Modells, das gerade die Sozialdemokraten auch nach außen vertreten haben. Nun haben im Oktober 52 Prozent der Arbeiter FPÖ gewählt, die dieses Modell radikal ablehnt. Ein Widerspruch? Oder passt das zusammen?
ALFRED GUSENBAUER: Erstens ist die Konfliktfreude in Österreich nicht sehr entwickelt - zweitens ist der allgemeine gesellschaftliche Bewusstseinsstand nicht wirklich für eine Ellbogengesellschaft geeignet. Dass so viele Arbeiter FPÖ gewählt haben, hat mehrere Gründe: In den vergangenen Jahren mussten in der Regierung auch Kompromisse geschlossen werden. Es gibt bei bestimmten Arbeitnehmergruppen eine tiefe Verunsicherung wegen der Globalisierung - und schließlich das Gefühl, die klassische Sozialpolitik deckt nicht die ganze, neu entstehende soziale Realität ab. Viele Arbeiter sehen ein Gerechtigkeitsloch. Zwar haben sich seinerzeit bei der Abstimmung über den EU-Beitritt zwei Drittel dafür entschieden - aber ein Drittel dagegen. Haider hat versucht, das anti-europäische Potenzial für sich zu kapitalisieren.
Also kam alles so, wie es kommen musste...
Ich glaube, der Prozess ist nicht irreversibel, vor allem weil die FPÖ ein Regierungsabkommen unterschrieben hat, das erhebliche Belastungen für die Arbeitnehmer mit sich bringt. Es wird noch eine bedeutend größere soziale Schieflage erzeugen. Entweder sind die FPÖ-Wähler letztendlich von der Politik frustriert und beteiligen sich nicht mehr an Wahlen, oder es gibt eine andere Partei, die ein attraktives Gerechtigkeitsangebot vorlegen kann. Das wird Aufgabe der SPÖ sein.
Heißt das, Österreich holt jetzt die neoliberale Phase nach, die andere schon in den Achtzigern durchgemacht haben?
Das Regierungsprogramm ist am ehesten mit dem vergleichbar, was Margaret Thatcher 1979 in Großbritannien getan hat: Sozialabbau, starke Begünstigung von Unternehmen - der Versuch, die Gegenmacht, die Gewerkschaften und die Arbeiterkammern institutionell zu schwächen.
So steht es im Programm. Aber wird die Regierung das wirklich versuchen? Vielleicht will sie auch lieber relativen sozialen Frieden mit Klamauk und Propaganda kombinieren. Dafür spräche Haiders Rückzug, den Sie ja selber als Finte interpretiert haben. Vielleicht laufen Sie mit Ihrem Kampf gegen den Neoliberalismus ja auch in eine Falle ...
Die Möglichkeit, dass die Regierung ihre Vorhaben nicht umsetzt, ist gegeben. Haider hat gesehen: Dieses Regierungsprogramm ist absolut unattraktiv, geht in der Wählergunst vor allem auf Kosten der FPÖ - und er wollte sich rechtzeitig distanzieren. Im Prinzip haben sich nämlich die Wirtschaftsinteressen in der ÖVP klar durchgesetzt. Wenn die FPÖ sich absetzen sollte, wird in der ÖVP eine Debatte über die Frage reifen: Wofür haben wir uns das angetan?
Sie meinen: Die kommen dann wieder zurück?
Ohne Neuwahl kann es keine Neuformierung der Regierung geben. Aber es gibt ja auch einen erheblichen ökonomischen Schaden für Österreich, besonders für den Tourismus. Für die Wirtschaft wird das durch massive Geldgeschenke der Bundesregierung kompensiert. Wenn aber diese Geschenke ausbleiben, werden viele die Lust an dieser Regierung verlieren.
Und was wird Haider tun?
Sein Rückzug vom Parteivorsitz war ein Sidestep, um sich aus der Verantwortung zu nehmen. Aber er ist völlig unberechenbar. Gut möglich, dass er über kurz oder lang auch die Regierung in die Luft fliegen lässt. Zwar wird der Bundeskanzler versuchen, die ganze Legislaturperiode durchzuziehen. Aber bei der derzeitigen Rasanz kann es früh zu Ende sein.
Mit anderen Worten: Sie wüssten, was Sie tun müssten, würde die Regierung eine neoliberale Politik betreiben. Aber mit Haider werden Sie nach wie vor nicht fertig.
Haider ist - wenigstens öffentlich - kein Vertreter eines neoliberalen Konzepts. Er ist ideologisch rechts, kombiniert mit einem gewissen Sozialpopulismus. Aber ich glaube, dass jetzt nicht mehr alle Rösslsprünge Haiders von der Öffentlichkeit goutiert werden. Auch seine Wähler glauben: Jetzt ist die FPÖ an der Regierung, jetzt sollte sie für uns etwas tun. Das Doppelspiel mit Haider in Kärnten wird nicht funktionieren. Jeder weiß ja, wie autoritär diese Partei ist und dass Haider - wenn er wollte - seine Minister veranlassen könnte, anders zu regieren.
Das heißt für Ihre Strategie?
Wir werden nicht mit klassischer sozialdemokratischer Politik antworten. Wir stellen jetzt erst einmal dar, dass diese FPÖ quasi alle Wahlversprechen gebrochen hat und diese Bundesregierung nicht vom Fleck kommt. In einer zweiten Phase werden wir dann auch unsere eigenen Vorstellungen präzisieren. Es ist klar, dass es keinen Schritt zurück gibt zu einer Versorgungsgesellschaft alten Zuschnitts. Es geht um soziale Balance auf einer neuen Grundlage und in einer liberalen Marktwirtschaft.
Das sagt sich leicht ...
Bei dem Steuer- und Sozialversicherungsvermögen, das in Österreich durch die Verteilungsmaschinerie geht, ist das nach wie vor absolut möglich.
Zwischen 150.000 und 250.000 Menschen haben in Wien demonstriert. Man spricht von einer Repolitisierung. Ist das nicht ein Argument für Schüssel, der immer von einer "Normalisierung" gesprochen hat - ist die Politisierung vielleicht ein Teil davon?
Nein. Die Quelle der Politisierung ist die Unzufriedenheit mit der Bundesregierung und die Sorge um die internationale Reputation. Es ist nicht rational zu sagen: Ich mache bewusst das Allerschlechteste, damit es eine gute Gegenreaktion gibt. Gut ist, dass das politische Interesse enorm gestiegen ist. Die Demonstrationen sind nur die Spitze eines Eisbergs der Besorgnis. Die politische Mitte ist nach wie vor unentschieden.
Man hat Österreich Entpolitisierung und einen Zwang zur Mitte diagnostiziert. Neben den alles umfassenden Großparteien konnte keine Alternative, sondern nur unreifer Protest gedeihen. Nun ist dieser fatale Zusammenhang durchbrochen. Dieses Argument hat sich Schüssel bei liberalen Denkern abgehört. Ist es nicht schlüssig?
Man muss den Preis dazu nennen - der war enorm hoch.
Wenn man argumentiert, dass Haider sonst 2003 die absolute Mehrheit hätte haben können, war der Preis vielleicht wieder nicht zu hoch.
Er hätte auch 2003 nicht die absolute Mehrheit gehabt. Er hat jetzt 27 Prozent und damit sein ganzes Potenzial ausgeschöpft. Was in einer Koalition zwischen SPÖ und ÖVP in den nächsten Jahren geschehen wäre, ist eine sehr hypothetische Frage. Ich glaube nicht, dass sich in der Politik alles nach einer vorgegebenen Bahn entwickelt.
Wenn man Haiders Wahlergebnisse seit 1986 interpoliert, ist die Befürchtung doch nicht so ganz abwegig?
1995 gab es einen Rückschlag für Haider, er wurde in die Schranken gewiesen. Es gibt in Österreich auch ein bisschen eine Haider-Hysterie. Selbst wenn ihm nichts einfällt, gibt es bunte Blätter, die irgendwelche sonderbaren Geheimpläne veröffentlichen, mit denen er wieder ins Gespräch kommt.
In der konservativen Presse heißt es immer, Sie hätten den europäischen Protest "bestellt". Hätten Sie ihn denn bestellt, wenn Sie gekonnt hätten?
Nein, hätte ich nicht. Wir haben ihn auch nicht bestellt. Wenn man halbwegs seine sieben Sinne beisammen hat, ergibt sich die Reaktion ganz von selbst aus dem politischen Eigeninteresse der EU-Mitgliedsstaaten. Man muss zum Beispiel die französischen Gaullisten verstehen, die sich sehr klar von Le Pen abgegrenzt haben. Alle Bürgermeister, die sich auf lokaler Ebene mit Le Pen arrangiert haben, sind aus der Partei ausgeschlossen worden.
Werden die Sanktionen bleiben, solange die FPÖ in der Regierung sitzt?
Ich persönlich glaube das, ohne da eine Empfehlung zu geben. Man hat die Sanktionen gesetzt, weil man eine bestimmte Regierung nicht wollte. Nun wird wohl nicht die Antwort sein: Wir haben das, was wir nicht wollten, und wir setzen sie wieder ab - noch dazu, wenn es in einigen Mitgliedsstaaten einen Wettbewerb gibt, wer am stärksten gegen Haider ist und teilweise auch gegen Österreich. Das führt auch zu unsinnigen Aktionen wie zu eingeschränkten Kontakten auf der Ebene der Zivilgesellschaft.
Das Gespräch führte Norbert Mappes-Niediek
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