Dass es der christlich-konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) nicht gut geht, das ist schon seit Monaten zu beobachten. Man gewinnt keine Wahlen, trudelt von einer Affäre in die nächste. Und dann bricht auch noch der erst 42-jährige Parteivorsitzende unter Atemnot auf der Tiroler Skipiste zusammen und muss per Helikopter ins Spital gebracht werden. Mit seinem beidseitigen Lungeninfarkt lieferte Josef Pröll, Vizekanzler und Finanzminister in der Wiener Koalitionsregierung, nur den medizinischen Befund des politischen Zustands.
Input größer als Output
Vor allem die „Cash-for-Laws“-Affäre, nach der Ernst Strasser, der von Pröll protegierte ÖVP-Delegationsleiter im Europaparlament, zurücktreten musste, hat die Part
usste, hat die Partei schwer getroffen. Abgeschlagen rangieren die Schwarzen zur Zeit knapp über 20 Prozent und damit weit hinter SPÖ wie FPÖ, die um den ersten Platz matchen.Prölls Abgang kam zwar überraschend, aber zur Zeit wäre er wohl nur bedingt einsatzfähig, und das geht in der Politik nicht, die verbraucht ihre Spitzen rund um die Uhr. Auch größere Flugreisen seien dem von Thrombosen Geplagten nicht zuzumuten gewesen, heißt es. So habe er, der in „den vergangenen drei Jahren alles für die Partei gab“, seinen Rücktritt verkündet. In dem Alter mag das doppelt bitter sein.Politik ist mitunter nicht nur für die Behandelten gefährlich, sondern auch für die Handelnden – der Input gerät inzwischen größer als der Output. Die Intensität spiegelt sich selten in den Resultaten wider. Das Bohren harter Bretter gleicht immer mehr dem Kratzen an einer Stahlwand. Die Hetze von Termin zu Termin ist unmenschlich, der Zwang zur Omnipräsenz gefährdet das eigene Leben: dessen Qualität sowieso, aber auch dessen Existenz schlechthin. Wenn in den Medien gar von den „mörderischen Ansprüchen des Politikerberufs“ (Salzburger Nachrichten) gesprochen wird, dann müssten die Alarmglocken läuten und Fragen gestellt werden, die allzu oft entfallen: Warum erschafft eine Gesellschaft Berufe, die solche Anforderungen stellen? Um Leute umzubringen? In und durch die Politik? Mag sein, aber soll man das wollen? Es muss jedenfalls extrem frustrierend sein, wenn man den ganzen Tag nicht zum Verschnaufen kommt und zum Schluss nichts erledigt hat außer sich selbst. Wenn manche Politiker gar ihren 16-stündigen Arbeitstag ausloben, dann sprechen hier Verrückte über ein verrücktes System. Aufopferung ist keine Tugend, sondern eine Störung.Der Rest ist FiktionNun streut man dem angeschlagenen Josef Pröll Rosen auf den Weg. Indes, so viel wie er zum Abschied gesagt haben soll, hat er nicht gesagt. Für den Anstand und gegen den Stillstand zu sein, was heißt das schon? „Bringen wir der Politik künftig mehr Anerkennung und Respekt entgegen“, meinte der scheidende ÖVP-Chef. Aber warum und weshalb? Wenn Pröll gar das Fehlen von „Aufbruchstimmung und Optimismus“ in Österreich beklagt, dann stellt sich sofort die Frage, woher die denn kommen sollten. Aus der Politik? Da ist eher Flucht angesagt. Die rege Betriebsamkeit sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich hier immer weniger um eine gestaltende Kraft handelt. Der Kern ist Verwaltung, der Rest Fiktion. „Wir alle wissen, was eigentlich notwendig wäre“, sagt Pröll und erntet Kopfnicken anstatt Kopfschütteln. Originell wäre gewesen: „Eigentlich wissen wir nicht, was zu tun ist.“ Das käme auch der Wahrheit bedeutend näher.Aber hurtig geht es weiter. Der Nachfolger ist gekürt, es handelt sich um den bisherigen Außenminister Michael Spindelegger – der wird Vizekanzler und Parteichef. Der farblose Nichtanecker ist eine gefällige Gelegenheitslösung. Verbindlich im Ton, entschieden im Ehrgeiz. Nichts Außergewöhnliches, eben eine ÖVP-Karriere. Seine Antrittsrede und die ersten Interviews wirkten wie aus der Coaching-Zone der politischen Worthülsen. Kaum sagte man ihm zu wenig Kanten nach, wollte er das Profil – das eigene und das der Partei – auch schon schärfen. Alles, was gehört werden sollte, hat er gesagt. Es war die obligate Ansage, eine dieser vielen Reprisen, die bloß verdrossen machen. Natürlich soll diesmal alles ganz anders werden. Könnte es sein, dass die ÖVP tatsächlich auf Erneuerung bedacht ist?Der Neue brauche völlig freie Hand, verkündet Erwin Pröll, der niederösterreichische Landeshauptmann. Da wäre nachzufragen, ob sein eigener Neffe Josef, die nicht hatte. Dessen Infarkt wird den Oheim der Partei doch nicht umgestimmt haben. „Die Weichen werden im Parteivorstand gestellt“, sagt der Onkel, der mächtigste Mann und Königsmacher in der ÖVP ganz kryptisch. Die Härten, die behält er sich wie immer selbst vor.