Das Erste, was auffällt, sind die orangefarbenen Stofftaschen. Und die Wut. Auf die Griechen, auf die Banken und die Euro-Retter aus Berlin. Die Handvoll Menschen, die sich an diesem Abend auf dem Wittelsbacher Platz in München versammelt haben, nicken, als Hubert Aiwanger zu ihnen herunterschreit: „Lieber jetzt das Bein verlieren als später das ganze Leben!“ Der Bundesvorsitzende der Freien Wähler schimpft heftig über die Kanzlerin, über die CSU, über die Schuldenpolitik. „Endlich erklärt jemand die Euro-Krise, sodass sie jeder versteht“, sagt einer der Zuhörer. Dann stimmt er in die Pfui-Rufe ein.
In Erinnerung an die Montagsdemos in der DDR haben die Freien Wähler den ersten Tag der Woche zum Kampftag gegen den Eur
en den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM erklärt. Die wöchentlichen Demonstrationen in München dienen als Wahlkampfbühne für eine Partei, die sich selbst lieber als „politische Kraft“ oder „Gruppierung“ bezeichnet. Lange war sie vor allem in der Kommunalpolitik erfolgreich, 2008 gelang den Freien Wählern in Bayern der Sprung in einen Landtag – sie wurden mit 10,2 Prozent der Stimmen drittstärkste Kraft. Seit einiger Zeit spielen sie nun mit der Idee, 2013 bei der Bundestagswahl anzutreten, die vielleicht sogar zeitgleich mit der Bayern-Wahl am 15. September stattfinden wird. Im Stammland der CSU werden sie inzwischen sogar als Königsmacher gehandelt: Gemeinsam mit SPD und Grünen könnten sie fünf Jahrzehnte CSU-Herrschaft beenden. Ministerpräsident Horst Seehofer beschimpft die Freien Wähler deshalb gerne als „Wurmfortsatz der linken politischen Kräfte“.Aber so einfach ist die politische Zuordnung nicht. Euro-Skepsis ist inzwischen das Topthema der Freien Wähler, die sonst bei Teilen von CDU/CSU, FDP sowie bei Rechtspopulisten angesiedelt sind. Zu den Unterstützern der Freien Wähler zählen neben dem ehemaligen BDI-Präsidenten Hans-Olaf Henkel neuerdings auch der Adenauer-Enkel und Ex-CDU-Politiker Stephan Werhahn, der die Partei 2013 möglicherweise in den Bundestagswahlkampf führen könnte.Arroganz und GrößenwahnBürgerlich-konservativ, so sehen sich die Freien Wähler selbst, und in Bayern hat ihr Aufstieg vor allem mit der Enttäuschung von einst treuen CSU-Wählern zu tun. Die Anhänger finden sich meist im ländlichen Mittelstand. Es sind Beamte, Bauern, Handwerker. Wenn man Aiwanger fragt, wieso er nicht bei der CSU ist, fällt ihm deren Vetternwirtschaft ein. Die Arroganz. Der Größenwahn. Um Inhalte geht es nicht.Die CSU lässt der Erfolg der konservativen Konkurrenz keineswegs kalt. Alexander König, CSU-Vizefraktionschef, ging Aiwanger zuletzt frontal an: Der sei ein „gefährlicher Populist“, der „hinterfotzig“ rede. Auch Seehofers politische Haken der vergangenen Wochen lassen sich so erklären: Mal demütigt er den FDP-Koalitionspartner öffentlich, dann erklärt er wieder, die schwarz-gelbe Zusammenarbeit müsse weitergehen. Im Bundestag stimmt die CSU der Euro-Rettung zu, doch CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt und Finanzminister Markus Söder wettern gegen die Griechen und Europa. Dobrindt attestierte dem Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, er sei der „Falschmünzer Europas“. Und Söder forderte den Austritt Griechenlands aus der EU bis Ende des Jahres.Die CSU, glaubt Aiwanger, werde vom klaren Anti-ESM-Kurs der Freien Wähler getrieben. Gegen den ESM hat die Partei Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, das Urteil ergeht am 12. September. Geht es nach ihnen, muss Griechenland die Euro-Zone verlassen. Und Italien, Spanien, Portugal sollen gleich mit raus, wenn sie ihre Schulden nicht bald in den Griff bekommen. Mit dieser Linie wollen die Freien Wähler 2013 auch bundesweit punkten. Einst scheiterte die Pro-DM-Partei mit 0,9 Prozent. Doch nun ist Krise. Laut einer Forsa-Umfrage kann sich immerhin jeder Vierte vorstellen, den Freien Wählern seine Stimme bei der Bundestagswahl zu geben.„Wir haben ein Riesenpotenzial“, sagt Aiwanger ein paar Stunden nach der „Montagsdemonstration“ in einem Schwabinger Studentencafé. Manche sagen, der 41-Jährige Partei- und Fraktionschef und die Freien Wähler seien eins. Mit seiner Jacke, die nach Tracht aussieht, und der biederen karierten Krawatte will er nicht recht in die hippe Szenerie passen. Wenn Aiwanger „A“ sagt, klingt das wie „O“. Er kommt aus Niederbayern. Geschichten über ihn beginnen meist mit dem Bauernhof seiner Eltern. Wenn er Zeit hat, hilft er dort mit. Oder er geht jagen. Hinterwäldlerisch nennen das die einen. Bodenständig die anderen.Auf Kommunalebene erfolgreichDiese Bodenständigkeit kommt bei seinen Anhängern an. Fast 41.000 Mitglieder haben die Freien Wähler in Bayern – fünfmal so viele wie die Grünen. Sie stellen rund 600 Bürgermeister und ein Viertel der Kommunalmandate. Auch in Sachsen, Thüringen und Baden-Württemberg sind die Freien Wähler lokal erfolgreich. In Großstädten tut sich die Partei dagegen schwer. Einen ernst zu nehmenden Auftritt in Berlin hatte Aiwanger bislang nicht.Doch reicht ein einziges Thema wirklich aus für die ganz große Politikbühne? Natürlich hätten die Freien Wähler auch andere Programmpunkte, sagt Aiwanger. Mehr Bürgerbeteiligung sei ihm wichtig, die Direktwahl des Bundespräsidenten zum Beispiel. Aber das sei eher etwas für Politiktheoretiker. Dann ist er wieder beim Euro-Rettungsschirm und der soliden Finanzierung der Kommunen. Wenn er von Bayern spricht, hat bei ihm irgendwie alles mit der Kommunalpolitik zu tun.Bundesweit dürften dagegen eher die großen Namen ziehen – Henkel eben oder der Adenauer-Enkel Werhahn. An diesem Montag tritt Werhahn – Ende 50, dunkle Sonnenbrille, tief gebräunte Haut – mit Aiwanger auf dem Wittelsbacher Platz auf. Es gehe ihm darum, das europapolitische Erbe seines Großvaters zu retten, sagt er. So könne es nicht weitergehen. „Es ist Zeit, die Themen ohne Altlasten aufzuarbeiten.“Ob es für die Freien Wähler zum Einzug in den Bundestag reichen wird, ist ein Jahr vor der Wahl noch unsicher. Forsa-Chef Manfred Güllner sieht die starken Umfragewerte nur als Indikator für den Unmut über die etablierten Parteien. Doch davon profitierten schon die Piraten, meint Güllner. Und die seien „frischer, jünger, lockerer“. Aiwanger jedoch fühlt sich vom Erfolg der Piraten bestärkt: „Wenn die es von Null auf Hundert schaffen, ohne je ein Rathaus von innen gesehen zu haben, und jetzt plötzlich Bundespolitik spielen, dann können wir das schon lange.“Die NPD läuft mitEin wenig hat man dennoch das Gefühl, Aiwanger mutet sich und seiner Partei zu viel zu. Längst nicht alle Freie Wähler sind einverstanden, dass die Partei sich in der Bundespolitik engagiert. Viele sehen in der Kommunalpolitik noch immer ihre Aufgabe. Im Parteivorstand rumort es: Erst ging die Bundesgeschäftsführerin, dann der Justiziar – und beschimpfte Aiwanger.Im Spektrum der etablierten Parteien stehen die Freien Wähler ziemlich allein da mit ihrem strikten Anti-Euro-Kurs – abgesehen von einer Handvoll Euro-Skeptiker in der FDP und CDU. Dafür finden die Parolen zunehmend Sympathien am rechten Rand. Mehrmals liefen NPD-Mitglieder bei den Demonstrationen der Freien Wähler in München mit, einige mit den T-Shirts der NPD-Kampagne „Raus aus dem Euro“. Unter ihnen war auch Karl Richter, Bundesvizechef der NPD und für die rechtsradikale Bürgerinitiative „Ausländerstopp“ im Münchner Stadtrat. Die Freien Wähler distanzierten sich öffentlich.Trotzdem sind Grüne und SPD alarmiert. Besonders deutlich wird SPD-Landeschef Florian Pronold: „Wer rechtspopulistisch auf Stimmenfang geht, muss sich nicht wundern, dass Rechtsextremisten mitjubeln.“ Aiwanger agiere schon jetzt „hart an der Grenze des demokratischen Spektrums“. Werde diese Grenze überschritten, sei eine Zusammenarbeit nicht mehr denkbar. Auch SPD-Spitzenkandidat Christian Ude findet den Kurs der Freien Wähler bedenklich und ist sich „nicht so sicher“, ob ein Bündnis möglich ist. Aiwanger hat nun angekündigt, die Demos in geschlossene Räume zu verlegen. Auf seinen Anti-Euro-Kurs will er aber nicht verzichten. Zum Leidwesen der FDP. Sollten die Freien Wähler bei der Bundestagswahl antreten, könnten sie einen Teil der euro-skeptischen Wählerklientel abziehen. Mit Folgen. Seit Monaten krebst die FDP an der Fünf-Prozent-Hürde herum.
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