Marx und kein Ende, auch nach dem Ende des realen Sozialismus. Oder gerade deshalb? Es fällt jedenfalls auf, dass es in den vergangenen zehn Jahren eine Reihe von Publikationen zum Thema Marx gegeben hat, nunmehr ohne zwingende politisch-ideologische Notwendigkeit oder in irgendeiner zukunftsträchtigen Mission. Manches davon erinnert an das Geklapper alter Linienkämpfer, anderes hat oft einen allzu forschen Ton drauf. Vorbei die Zeiten, da die allselige Partei immer recht hatte, jetzt lässt es sich ballastfrei auf den Busch hauen, Marx auslüften, neu interpretieren, rekonstruieren, umfantasieren, dehistorisieren, rehumanisieren, entmythologisieren, dekonstruieren - recht amüsant, was da alles mit dem Bärtigen getrieben wird.
Francis Wheen, zum Beispiel, Pu
ispiel, Publizist beim englischen Guardian hat mit seiner Marx-Biografie 1999 gleich die Gipfel der Bestseller-Charts erklommen. Hut ab vor England, bedenkt man, dass in Deutschland ein Florian Ilies mit seiner Gähnernation Golf der Hit bei den Gartenbüchern war (die Gartenzwerge dankten ihm mit einem Chefsessel in ihrer Zeitung). Die deutsche Übersetzung von Francis Wheen wurde immerhin bei dem Münchener Kleingärtnerverein e.V. Bertelsmann verlegt. Vermutlich erblickte man Affinitäten zwischen den traditionell bärtigen Gartenzwergen und dem Revolutionär, jedenfalls scheinen sich die bourgeoise bel étage und die Weltrevolution versöhnt zu haben. Man darf nicht vergessen, dass die Bourgeoisie, siehe Globalisierung, eine revolutionäre Klasse ist, wie Marx des öfteren betont hat. "Die Experten oder Politiker von heute", schreibt Wheen, "die sich für moderne Denker halten, benutzen bei jeder Gelegenheit das Modewort Globalisierung, ohne sich auch nur träumen zu lassen, dass Marx diesem Phänomen bereits 1848 auf der Spur war." Der Autor ist überhaupt ein ganz geselliger Kerl, er entikonisiert Marx und macht aus ihm einen durch und durch menschlichen Charly, dessen Leitspruch doch war: "Nihil humani a me alienum puto (Nichts Menschliches ist mir fremd)". So ist´s recht, endlich wird der Kerl handfest, angreifbar. Bisherige Biografien, ausgenommen die von Werner Blumenberg, haben ihn meist als intellektuelles Riesengebirge dargestellt, für die Marxisten war er immer das Dach der Welt, auch wenn sein Werk eher die Gestalt eines riesigen Emmentalers hat. Wheens Anliegen war es wohl, dem Leser etwas Genießbares zu servieren, den Menschen Marx, den Emigranten und armen Hund, bedrückende Verhältnisse, das Warten auf die mütterliche Erbschaft, die manchmal tragischen und manchmal banalen Geschichten aus dem Familienleben und dem Leben außerhalb der Familie, die Bibliotheksarbeit und die Krankheiten, der Revolutionär, der sich sehnsuchtsvoll eine Krise herbeiwünscht, die die Massen mobilisiert, der sich - wohl die Urform späterer Linienkämpfe - zugleich fast mit allen und jedem zerstreitet. Und natürlich die Freundschaft zu Friedrich Engels. Aber hier taucht eine von vielen Fragen auf. Wheen erzählt auktorial, hüllt aber Marxens Misstrauen Engels gegenüber in den Mantel des Schweigens oder der Unkenntnis. Hatte Marx doch in seinen letzten 20 Jahren den Stand seiner Studien vor seinem Freund regelrecht verheimlicht. Die immer behauptete kongeniale Zusammenarbeit der beiden ist zu einem Gutteil ein Mythos.Der Umgang mit dem theoretischen Werk ist die Schwachseite des Buches. Wheen legt Wert auf Literarizität, Marxens Theorie legt darauf bekanntlich wenig Wert, gerade die Werttheorie entzieht sich salopper Formulierung. Der Verdacht drängt sich auf, hier versucht sich einer als Marktschreier, der die Löcher des Emmentalers verkaufen möchte und mit blumigen Worten ihren Liebreiz lobpreist. Lob, Preis und Profit dem Herrn Wheen und dem Gartenhaus Bertelsmann, dass sie uns Marx so vermenschelt haben. Fast schon ein bisschen vergartenzwergt.Neue theoretische Erkenntnisse soll es dafür bei Robert, Bobby Kurz geben, der lonesome Marxboy gegen den Rest des Universums. Er will Marx retten. Aber nicht jenen "exoterischen", der für die Verhausschweinung der Arbeiterbewegung verantwortlich ist, der mit seinem liberalen Fortschrittsbegriff nur eine Modernisierungstheorie zur Aufpäppelung des Kapitalismus geboten hat. Also für die Zwerge im Proletariervorgarten. Denn bekanntlich ist die Geschichte von den Klassen und Klassenkämpfen ein toter Hund. Auch für Kurz ist die Gesellschaft in die Phase des "postmodernen Kapitalismus" eingetreten. Zwar wertet er en passant das postmoderne Denken als "sogenanntes" und als "Ende der Reflexion" ab. Andererseits ist er Populist genug, um postmodisch unscharfe Begriffe zu verwenden. Amüsant sind die zirka hundert essayistisch-kommentierenden Seiten, die er eigenartig ausgewählten Marx-Texten vorsetzt. Verurteilungslyrik im großen Bausch und Bogen. Kurzens Marxrettung ist ein interessanter Fall von Schizophrenie. Bestimmt hat Bobbyboy auch die Revolution geliebt, und "die 68er Bewegung als Johannistrieb des exoterischen Marx" ist an seinem politischen Triebleben wohl nicht spurlos vorüber gegangen. Das klappte nicht so recht, aber Marx blieb und bleibt wohl die unüberwindbare Liebe des Robert Kurz, und für diese Liebe nimmt er einiges auf sich. Nach anfänglicher Schmähung des Feindes, dem er Denk- und Kritikunfähigkeit vorgeworfen hat, bedient er sich klammheimlich dessen Methode und dekonstruiert den alten Charly."Der exoterische und der esoterische Marx" überschreibt er das zentrale Kapitel, das ein gutes Beispiel für postmodernes Argumentieren in bester idealistischer und ahistorischer Weise ist. Andererseits fügt es sich bestens in das Kurzsche Denken, in dem sich alles aus allem ableitet, wenn es nur der Apokalypse dient. In diesem Kapitel stellt er zwei Figuren fest. Bei der exoterischen Figur bleibt er noch relativ konkret - Marx als avantgardistischer Intellektueller, der den Klassenstandpunkt wechselt, Emanzipation der Arbeiterklasse als innerer Entwicklungsmotor des Kapitalismus, der Hegelianismus im historischen Materialismus. Heute ist alles, was einmal unter dem Titel "Aufhebung des Kapitalismus" und "Befreiung der Arbeit" lief, nur noch die systemimmanente Seite an Marx. Denn er hat Marx dekonstruiert, fragmentiert, er fuzzelt heraus, was er braucht und schmeißt weg, was er nicht braucht. Die andere Figur seiner Lesart ist dann "der esoterische Marx", der so schwer zugängliche, den nur Kurz kapiert - wir haben die Ehre, andächtig zu lauschen, dass es neuerdings einen Teil-Marx der kategorialen Kapitalismuskritik gibt. Marxens schwere Zugänglichkeit demonstriert Kurz anhand des Untertitels zum Kapital, dem Doppelsinn von der Kritik der politischen Ökonomie, von Marx selbst schon dargeboten, seither wohl in jeder Schulung heruntergeleiert und nun von Kurz wieder vorgebetet. Sehr polemisch wird der "Zweck des Kapitalismus" dargelegt, als "Ausbeutung der Lohnarbeit durch die Kapitalisten-Subjekte"..., um "jenen zusätzlichen Wert zu schaffen, den sich die Kapitaleigentümer zu ihrer eigenen Bereicherung aneignen" Da ist er, der Zigarre paffende, böse Bourgeois-Lümmel, der gemeine Hund, der den Mehrwert verprasst... Die Gartenzwerg-Theorie. Marx für Gartenzwerge, von Bobby Kurz.Dazu passt das Verfälschen bei der Textauswahl. Fußnoten werden weggelassen, Texte nach persönlichen Ermessen zusammengestaucht. In zahlreichen Fällen wird nicht das Original herangezogen, gerade bei den ökonomischen Schriften von Marx wird in der Regel die Engelssche "Überarbeitung" verwendet - sie kommt dem apokalyptischen Krisendenken eines Robert Kurz besser entgegen, denn Engels hat in den Texten seines verstorbenen Freundes kräftig herumgepfuscht. Meine Empfehlung: Den echten Marx lesen!Francis Wheen: Karl Marx. Aus dem Englischen übertragen von Helmut Ettinger. C. Bertelsmann-Verlag, München 2001, 512 S., 48,- DM Robert Kurz (Hg.): Marx lesen. Die wichtigsten Texte von Karl Marx für das 21. Jahrhundert. Eichborn-Verlag, Frankfurt am Main 2001., 432 S., 49,80 DM
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