Nichts zu essen

Kehrseite II Die Party beim glücklosen, aber unermüdlichen Musiker. Eine in schönen Farben gestrichene, unheizbare Wohnung, aus der er bald ausziehen muss. Die ...

Die Party beim glücklosen, aber unermüdlichen Musiker. Eine in schönen Farben gestrichene, unheizbare Wohnung, aus der er bald ausziehen muss. Die Musikinstrumente sind die teuersten Gegenstände hier. Latin Music läuft auf einem alten, robusten Plattenspieler. In einem Benzinkanister bewahrt der Gastgeber seinen Meskal auf. Es gibt Drogen, aber nichts zu essen. Im feuerroten Bad, das nur schwach beleuchtet ist, sieht man sich in einem goldenen Rokoko-Spiegel an und fragt sich, wie man in diese Vorhölle geraten ist. Es gibt viele einzelne und einsame Gäste oder brüchige Paare. Auch der Musiker wird seine Ex-Frau erst in ein paar Wochen kennenlernen. Das tapfere Mädchen - sie begleitet zum ersten Mal ihren verrückten Freund - ist vielleicht hässlich, aber das lässt sich gar nicht herausfinden. Sie ist so vernünftig, und es ist unmöglich, sie nicht wenigstens zu respektieren. Denn sie meistert ein unlebbares Leben, noch dazu in Armut, so mit Würde und managt ihren eigenen Wahnsinn und den ihres Gefährten, als sei sie Herrin über ein kleines Reich.

Der sehr betrunkene Gastgeber legt dann auf ausdrücklichen Wunsch der lesbischen Tänzerin, die den Namen einer Königin hat, aber ohne Gefolge gekommen ist, Disco auf. Drei ganze Stücke, ein echtes Opfer eigentlich. Dabei ist auch Sister Sledge, "We are family! I got all my sisters with me!" Und sie tanzen wundervoll zusammen, obwohl er vom Standard und sie vom Ballett kommt. Halb ernsthaft, halb als Komödie. Und der Song erinnert sie gar nicht an ihre eigenen kranken Familien. Die Eltern kommen aber immerhin zu allen seinen Konzerten oder zu allen ihren Auftritten, selbst wenn sie die Kinder als Künstler nicht ernst nehmen.

Gerade jetzt haben sie wirklich Spaß. Sie schämen sich eben nicht. Damit sind sie wahrscheinlich die einzigen hier. Die übrigen Gäste stehen nur da und schauen wie gelähmt auf ein Bild von Ausgelassenheit. Die eine heitert es auf, für einen Moment nur, den andern erinnert es an früher. Doch die meisten fühlen die eigene Unfähigkeit, sich zu bewegen oder Freude zu empfinden.

Und danach tanzt erst recht niemand mehr.

Bettina Klix, zuletzt im Freitag 6/2005 mit ihrem Text Du wirst ihm bald begegnen, lebt in Berlin und Kassel. Sie schreibt, außer für den Freitag, für die Junge Welt und shomingeki.


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