Kein politischer Bonus - kein Geld Die Berliner Gedenkstätte "Topografie des Terrors" kann statt des geplanten Neubaus lediglich mit eine Chronologie der Ignoranz und Inkompetenz aufwarten
Am 8. Mai war es sieben Jahre her, dass in der Hauptstadt mit feierlichen Ansprachen der Prominenz von Töpfer bis Bubis die Grundsteinlegung für den Neubau der "Topografie des Terrors" auf dem Gelände des einstigen Hauptquartiers der Gestapo begangen wurde. Die einen, die seit zwölf Jahren um das Terrain gekämpft, und die anderen, die hier acht Jahre in einem Provisorium gearbeitet hatten, sahen sich am Ziel ihrer Wünsche. Seit jenem Tag im Mai 1995 hat sich - von einigen kurzen Anläufen abgesehen - nicht viel bewegt. Eine Bauruine mit zwei Solitären und ein riesiger Kran bilden ein trauriges Denkmal der Inkompetenz und Indolenz von Verwaltung und Politik. Die neuesten Schreckensmeldungen: ein Insolvenz-Antrag der Berliner Baufirma und die Streichung
reichung der anteiligen Mittel aus dem Bundeshaushalt 2003, kommentiert mit der Androhung einer architektonischen Alternativlösung durch einen in der Sache ahnungslosen Fraktionschef der Berliner SPD. Die Senatsbauverwaltung ist am gegenwärtigen Debakel nicht unschuldig. Sie war nur darauf aus, einen weiteren Architekten mit bekanntem Namen nach Berlin zu ziehen. Die künftigen Nutzer und ihre Bedürfnisse waren ihr vollkommen gleichgültig. Das zeigte sich schon in der Favorisierung des Entwurfs von Peter Zumthor, den die Senatsbehörde gegen alle Bedenken der Jury mit nach unten frisierten Zahlen auch im Abgeordnetenhaus durchsetzte. In ihrem Enthusiasmus versäumte sie es, die technische Ausführbarkeit des Baus rechtzeitig gutachtlich prüfen zu lassen und holte das erst ein Jahr nach Baubeginn nach, als es zu spät war. Tatsächlich kann das Projekt, das in jedem Detail den gesetzlichen Normen widerspricht, nur mit einer Serie von Sondergenehmigungen überhaupt realisiert werden. Sicherlich wäre ein an den vorgesehenen Funktionen orientierter Zweckbau besser und billiger gewesen. Wer jetzt diesen Vorschlag macht, kommt zehn Jahre zu spät. In Wahrheit haben sich Stadt und Bund, die sich die Kosten teilen wollten, noch nie ernsthaft für die "Topografie" und ihre Arbeit interessiert. In der kurzfristigen Euphorie des neuen Berliner Größenwahns, der mit einer Pleite ohne Beispiel sein jähes Ende fand, beschloss man zwar, die ursprüngliche Trias der Gedenkorte (Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Haus der Wannsee-Konferenz und Topografie) durch eine imposante neue Dreiheit im Stadtzentrum abzulösen, die man bezeichnenderweise vor allem als Ensemble architektonischer Highlights begriff. Geholfen hat der "Topografie" dieses Upgrading wenig, denn neben Prestigeobjekten von den Dimensionen des Jüdischen Museums und des projektierten Holocaust-Gedenkfeldes blieb sie auch weiterhin das ungeliebte Kind. Wenn Julian Nida-Rümelin (SPD) jetzt erklären lässt, die Sache sei nicht etatreif, muss man doch fragen: Wieso konnte Berlin seinen Anteil in den Haushaltsplan für 2003 einstellen und der Bund nicht? Wieso ist das Vorhaben auch in den Entwürfen für die kommenden Jahre nicht einmal vorgemerkt? Wieso gibt es bis heute keinerlei bindende Zusicherung durch den Staatsminister für Kultur, an die auch eine künftige Bundesregierung sich halten müsste? Kann es sein, dass man die Schlüsselfunktion, die der "Topografie" unter den Gedenkstätten zukommt, wirklich bis heute noch nicht begriffen hat? Ist es nur Ausdruck politischer Ignoranz, wenn hinter vorgehaltener Hand verbreitet wird, das neu erfundene Museum unter dem Holocaust-Mahnmal mache die "Topografie" doch im Grunde überflüssig? Immerhin saß an der einstigen Prinz-Albrecht-Straße das Gehirn des Verbrechens, die Kommandozentrale des NS-Terrorapparates, der ja, was heute gern vergessen wird, sich nicht nur gegen die Juden richtete und gegen sie erst richten konnte, nachdem jede demokratische Opposition liquidiert war. Nicht nur muss von allen Opfern die Rede sein, sondern ebenso den Tätern, dem System, dem sie dienten, und der Gesellschaft, aus der sie kamen. Ohne diesen Kontext bleibt auch der Völkermord an den Juden Europas, der heute isoliert betrachtet wird, unverständlich, was vielen freilich recht sein mag. Das Projekt der "Topografie" wurde durch die staatliche Administration von Anbeginn dilatorisch und dilettantisch behandelt, seine Leitung in die Rolle des lästigen Bittstellers gedrängt. Die Politik hat sich diese Sache nie zu eigen gemacht. Das zeigt ein Vergleich mit den beiden Großprojekten Jüdisches Museum und Holocaust-Denkmal, deren Bonus der "Topografie" fehlt. Der Eifer und das Tempo, mit dem sie betrieben wurden, aber auch die fraglose Bereitschaft, praktisch unbegrenzte Finanzmittel für die mit den immer größeren Planungen ständig wachsenden Kosten zur Verfügung zu stellen, stehen in krassem Gegensatz zur Behandlung der "Topografie", obwohl sie als einzige der drei Einrichtungen international anerkannte Leistungen vorzuweisen hat. Nur hier wird immer wieder über die Höhe der nötigen Mittel gestritten und werden Limits gesetzt, die infolge der erneuten Terminverschiebung, wie man befürchten muss, nicht einzuhalten sein werden. Es wäre an der Zeit, dass der Bund seine Verpflichtung gegenüber der NS-Zeit nicht nur selektiv annimmt, sich endlich zu einer Gleichbehandlung der "Topografie" mit den beiden anderen Objekten versteht und eine Vollfinanzierung ohne Wenn und Aber übernimmt, wie es der Bedeutung dieser Einrichtung entspricht, um die unendliche, allmählich peinliche Geschichte doch noch zu einem guten Ende zu führen.Gerhard Schoenberner war in den achtziger Jahren Vorsitzender des Vereins Aktives Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e.V. und 1992 Gründungsdirektor der Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz.
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