„Das wandelnde Schloss“ von Hayao Miyazaki: Nie nur niedlich

Film In "Das wandelnde Schloss" zeigt sich Hayao Miyazaki ein weiteres Mal als Meister der fantastischen Psychologie
„Das wandelnde Schloss“ von Hayao Miyazaki: Nie nur niedlich

Foto: Imago/United Archives

Eines der wenigen Dinge, die in den Filmen Hayao Miyazakis immer ein bisschen geniert haben, ist die Zeichnung seiner jungen Heldinnen. Ihre niedlichen Gesichtszüge und großen Kulleraugen verraten noch den einstigen Schöpfer der TV-Serie Heidi, welcher auch auf unseren Bildschirmen ein langes Leben beschert war. Ihre Kindlichkeit lässt sie jedoch in den ansonsten mit einfallsreicher, anmutiger Monströsität entworfenen Figurenensembles seiner Kinofilme zu einem Fremdkörper werden.

Man täte Miyazaki Unrecht, diese Figurenzeichnung nur als Köder zu beargwöhnen, der das ganz junge Publikum in Sicherheit wiegen und in seine verschlungenen und verstörenden Fabeln hineinziehen soll. Ihrer Niedlichkeit ist ein doppelter Boden eingezogen. Sie scheint der inneren Reife und Klugheit seiner Figuren zu widersprechen, markiert dabei jedoch den Ausgangspunkt einer Entwicklung vom Staunen über die wundersame Beschaffenheit der Welt hin zu einem tapferen, tatkräftigen sich Bewähren. Ihre Mehrdeutigkeit fällt mithin gar nicht so weit zurück hinter die Ambivalenz, mit der Miyazaki seine filmischen Welten auskleidet.

In Das wandelnde Schloss, der Realisierung seines lang gehegten Projekts der Verfilmung eines Romans der Britin Diana Wynne Jones, hat sich dieses Problem ohnehin bald erledigt, da die junge Hutmacherin Sophie sich durch den Fluch einer eifersüchtigen Hexe über Nacht in eine 90-Jährige verwandelt. Sie muss sich unversehens in das Dasein einer alten, gebrechlichen Dame hineinfühlen (ein Prozess, den Sophies Synchronstimme Sunnyi Melles auf anrührende Weise nachvollzieht), und lernt sich selbst bald von einer neuen Seite kennen, gewinnt an Selbstbewusstsein und Entschlossenheit. Im wandernden Schloss des Zauberers Hauro sucht sie Zuflucht, verdingt sich als Haushälterin und schließt Freundschaft mit dem kleinen Zauberlehrling Markl und dem verdrossenen Feuerdämon Calzifer. Eine Ersatzfamilie begründet sich an diesem heimeligen, verstaubten Ort, die alsbald noch erweitert wird um die senil gewordene, böse Hexe, eine treue Vogelscheuche sowie einen kleinen Hund, der seine Mission als feindlicher Spion in der Gemeinschaft schnell vergisst. In den Hausherrn ist Sophie still verliebt, sie träumt davon, den manisch-depressiven Narziss von seiner Unrast zu erlösen.

Während draußen die Stürme der Welt tosen - ein Krieg droht, für den das Königshaus sich der Zauberkräfte Hauros versichern will -, herrscht drinnen friedliche Ruhe. Das auf staksigen Beinen sich voran bewegende, aus Tonnen und Maschinen, animalischen wie mineralischen Elementen montierte Schloss setzt freilich die innere Flucht- und Suchbewegung der beiden Protagonisten fort. Gegen die Unsicherheit der Zeitläufte scheint das Schloss zunächst bestens gewappnet: Seine Tür lässt sich wahlweise in vier verschiedene Welten und Epochen öffnen. Aber den Verheerungen des Krieges - die Miyazaki, Spross einer Familie von Waffen- und Flugzeugfabrikanten, noch drastischer und erschreckender ausmalt als in seinen frühen Meisterwerken Nausicaä und Laputa - können sie nicht entrinnen; Hauro muss in gleich mehrfacher Hinsicht seine dandyhafte Lethargie aufgeben.

Es ist kein einfacher, behaglicher Parcours, auf den Miyazaki sein Publikum (gleichviel, ob es nun jünger oder älter ist) schickt. Die Beständigkeit von Raum, Zeit und Identität wird regelmäßig aufgekündigt. Die menschlichen Beziehungen scheinen flüchtig und unzuverlässig - Sophies leibliche Mutter entpuppt sich als Spitzel der königlichen Familie, Hauro will sich jeglicher Verbindlichkeit entziehen. Das Motiv der Metamorphose, das in Chihiros Reise schon vollends ausgeschöpft schien, greift Miyazaki wiederum vielfältig auf. Die materielle Welt ist wankelmütig, die Elemente sind mit Leben erfüllt, die Natur wird zu einer eigenständigen, gestaltenden Kraft. Das Motiv der Verwandlung ist auch eine moralische Kategorie: Die Grenzen von Gut und Böse, von Schönheit und Hässlichkeit verlaufen in Miyazakis Kino nie eindeutig. Die Realität zirkuliert, sie bleibt nicht, wo sie ist. Dass die äußere Erscheinung keine zuverlässige Hilfe liefert, um sich im Wirrsal des Lebens zu orientieren, ist ein keineswegs zu unterschätzender Ertrag für das Kinderpublikum. Aber obwohl die Welt bei Miyazaki im steten Wandel begriffen ist, wäre es dennoch kein Fehler, ihr zu vertrauen.

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