Der Krieg hat die größtmögliche Koalition geschaffen. Im Bundestag haben, außer der PDS-Fraktion, nur wenige Abgeordnete von SPD und Grünen ihre Stimme gegen den militärischen Weg erhoben. In der Öffentlichkeit, in den Massenmedien, fand sich die knappe Hälfte der Bevölkerung, die gegen den Krieg war, in einer Außenseiterposition wieder. Sie war marginalisiert. In der »Neuen Mitte« herrschten Einheit und Geschlossenheit - draußen blieb das Volk, blieben Meinungsvielfalt und Alternativen. Im Krieg hat sich die Politik der Mitte auf den Begriff gebracht: Sie entzieht der Gesellschaft politische Gestaltung.
Diese Entwicklung war als Möglichkeit abzusehen, notwendig war sie nicht. Als Option verfügte Rot-Grün ü
2;n über beides, über Reformpotential und über Modernisierung des Kapitalismus. Der Koalitionsvertrag ist noch von beiden Seiten geprägt. Es war der Entschluß, Krieg zu führen, mit dem sich Rot-Grün für Modernisierung und gegen Reformpolitik entschieden hat.Der janusköpfige Beginn der Koalition schien die Hoffnungen zu rechtfertigen, die Rot-Grün nach den 16 bleiernen Jahren begleiteten. Viele Aktivisten aus Gewerkschaften und außerparlamentarischen Bewegungen wollten dieser Regierung - allen warnenden Anzeichen zum Trotz - unbedingt eine Chance geben. Sie wollten sie in kritischer Solidarität begleiten, sie aber nicht unter Druck setzen. So eingestellt, waren die außerparlamentarischen Bewegungen nicht in der Lage, rasch, auf der Straße, in der Öffentlichkeit gegen den Kriegseintritt »ihrer« Regierung zu protestieren.»Als es noch Feinde gab, Madame«, singt Franz-Josef Degenhardt. Damals waren die Kontrahenten der Friedensbewegung gegen den NATO-Doppelbeschluß aggressiv, rechthaberisch und taub für Argumente. Joschka Fischer aber, in Maßen auch Gerhard Schröder und Rudolf Scharping, waren nicht »die anderen«, sie gehörten »zu uns«. Wer damals mit gegen den NATO-Doppelbeschluß gekämpft hatte, dessen heutiger Entscheidung für die NATO-Doppelstrategie mußten gute Argumente zugrunde liegen. Die friedensbewegte Geschichte der jetzigen Regierungsparteien schlug die Brücke, über die ehemalige Kriegsgegner gingen und sich auf die innere Logik der rot-grünen Entscheidung einließen.Die »von uns« nahmen für sich in Anspruch, alle Argumente gegen die militärische Karte gründlich gewogen, nur leider mit 49 Prozent als doch zu leicht befunden zu haben. Im Widerstreit zwischen Hinnahme von Menschrechtsverletzungen und Krieg hätten sie sich mit 51 Prozent für den Krieg entscheiden müssen.Gegen diese »Gutmenschen« Gehör zu finden, war - und das wirkte friedenspolitisch demobilisierend - in der medial verfaßten Öffentlichkeit kaum möglich. Wozu braucht man Kritiker im Fernsehen, Hörfunk und Zeitungen, wenn die Protagonisten das Für und das Wider in sich tragen und aussprechen? Die Methode der inneren Zerrissenheit hat fast alle Medien, sie hat die Mehrheit der Journalistinnen und Journalisten eingebunden. Die Öffentlichkeit wurde Teil eines qualvollen Prozesses, in dem jeder einzelne, wie immer er sich entschied, schuldig werden mußte. So unschuldig konnte keiner sein, daß er den ersten Stein würfe. Hier wurde eine Tragödie aufgeführt. Auf der Bühne sind nüchterne Argumente deplaziert, sie bietet nicht den Raum, über Interessen, Zwecke, über die geeigneten Mittel und Methoden zu streiten.Zudem wurden die Kriegsgegner säuberlich sortiert. Kritik üben durfte, wer »glaubhaft« eine lebenslange pazifistische Einstellung nachweisen konnte, Nicht-Pazifisten hatten dazu kein moralisches Recht, sie konnten nur MilosÂevic´-Freunde sein. Dieses Klima hat die Friedensbewegung zwar nicht gespalten, aber es hat sie geschwächt.Weder die rot-grünen, noch die schwarz-gelben Politiker führten den Krieg mit Hurra-Patriotismus und lautem Getöse. Sie führten ihn mit Bedauern und als bescheidenen Beitrag zur Verteidigung von Menschenrechten in einer ungerechten und zerrütteten Welt. Sie führten einen traurigen Krieg vor, den sie lieber vermieden hätten und dessen Mißgriffe und Fehlschläge ihnen leid taten.Der Generationswechsel in Bonn war notwendige Voraussetzung, damit Deutschland wieder Krieg führen konnte. Anders als ihr Vorgänger Kohl gab sich aber diese Politikergeneration nicht mit der »Gnade der späten Geburt« zufrieden. Sie stellte den Krieg als Lehre aus der Geschichte dar.An den unsäglichen Auschwitz- und Hitler-Vergleichen von Scharping und Fischer stört die meisten Kritiker, daß damit die Einmaligkeit des faschistischen Menschheitsverbrechens relativiert werde. Das allein würde reichen. Es geht aber darüber hinaus um das neue Selbstbild des neuen Nachkriegsdeutschlands, das entstand aus dem Bruch des Grundgesetzes, das den Grundkonsens - in diesem Fall: beider Deutschlands - des »Nie wieder« aufgekündigt hatte. Das »Nie wieder« als Lehre des Faschismus kann nur brechen, wer einen höheren Wert in der deutschen Geschichte findet, den es zu verteidigen gilt: Das war Sühne für Auschwitz.Die rot-grüne Bundesregierung hat die Zweieinigkeit des »Nie wieder« - nie wieder Auschwitz, nie wieder Krieg - aufgelöst; nun richtete sich das eine gegen das andere. »Nie wieder Auschwitz« wurde zum kategorischen Imperativ, der »gerade uns Deutsche« verpflichtet, bei drohenden Menschenrechtsverletzungen Krieg zu führen. Dieser Grundkonsens wurde dem neu gegründeten Deutschland - um in der Sprache des Krieges zu bleiben - »implantiert«. Das Zeitalter des »militärischen Humanismus« (Ulrich Beck) ist angebrochen.Über den Auschwitz-Vergleich entrückte dieser Krieg zur angeblichen Verteidigung der Menschenrechte in eine moralische Dimension, in der man sich bekannte, aber nicht argumentierte. Auf diesem Terrain waren Kriegsgegner nicht in der Lage, die Instrumentalisierung der Menschenrechte aufzudecken und auf das Feld der Interessen zu wechseln.Der Krieg wurde nicht für die Menschenrechte geführt. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte: Im deutschen Sektor sollen 1.000 Soldaten der türkischen Armee, die vorher in Kurdistan eingesetzt waren, nun die Menschenrechte im Kosovo schützen.Die ideologische Auseinandersetzung um die Menschenrechte als Grund für Bomben haben die Kriegsgegner verloren. Die sozialistischen Linken unter ihnen haben die Kontroverse erst gar nicht aufgenommen. Das Thema ist - anscheinend immer noch; trotz intensiver Auseinandersetzung mit der Geschichte der eigenen Bewegung - ihre Achilles-Ferse. Außerdem verkündet der Zeitgeist nach zehn Jahren Entsorgung deutscher Nachkriegsgeschichte: Der Sozialismus hat sich ebensolcher Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht wie der Faschismus. Die Milosevic-Regierung braucht bloß als »sozialistisch-kommunistisch« bezeichnet zu werden, schon ist klar: Das sind die »neuen Hitler«.Im Krieg sind Differenzen zwischen den USA und Westeuropa aufgebrochen. Die Schröder-Fischer-Regierung hat - wie andere europäische NATO-Staaten auch - versucht, eigene Akzente zu setzen. Das ist ihr zum Teil gelungen, Stichworte dazu: Einbeziehung Rußlands oder UN-Resolution. Diese anti-amerikanische Komponente konnte Anhänger von SPD und Grünen einbinden, meinten sie doch, dort Versatzstücke ihrer Kritik am US-Imperialismus wieder zu finden. Nur wird Europa nach dem Krieg nicht friedlicher. Um seine eigenen Interessen gegenüber den USA zur Geltung zu bringen, wird Europa auf- und umrüsten, es wird sich militärisch enger zusammenschließen. Unter mehrheitlich sozialdemokratischen Regierungen wird Europa nicht sozialer, es wird militarisiert.Das Werk, die deutsche Nachkriegszeit abzuschließen, hat Kanzler Kohl begonnen, vollenden konnte es nur Rot-Grün. Seine Repräsentanten rechnen es sich als ihr Verdienst an, die Trennung von rechts und links aufgehoben und weite Teile der Opposition in dieses Deutschland integriert zu haben. In der großen politischen Mitte gibt es noch Unterschiede, aber keine Alternativen mehr.Widerstand gegen diese Politik beginnt mit Analyse: Was hat sich verändert? Ohne Trennschärfe zwischen rechts und links, oben und unten, sozial und unsozial, Krieg und Frieden wird es weder ein Verstehen noch Alternativen geben.Unser Autor ist außenpolitischer Sprecher der PDS-Bundestagsfraktion
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