Seit über 20 Jahren reise ich regelmäßig nach Kuba, in den letzten acht Jahren vor allem, um Workshops in Verlagen auszurichten, Seminare an der Uni abzuhalten, die Buchmesse zu besuchen. Eigentlich wollte ich auch in dieser Woche wieder in Havanna sein und an der Buchmesse teilnehmen, Verlegerkollegen treffen, Kooperationsprojekte beraten, abends am Malecón einen guten Mojito trinken. Dass es nicht dazu kam, hat eine Vorgeschichte.
Nach dem Ende des sozialistischen Außenhandelssystems RGW war Anfang der 1990er Jahre die kubanische Wirtschaft zusammengebrochen, da es kein sowjetisches Erdöl mehr für das Monokulturprodukt Zucker gab, die Alimentierung aus Moskau abrupt endete. Auf dem kubanischen Binnenmarkt gab es kaum noch etwas zu kaufen, Bücher ein
2;cher eingeschlossen. 1993 sah sich Fidel Castro gezwungen, das starre System der staatlichen Planwirtschaft zu lockern und die bis dahin verpönte private Initiative zuzulassen. In dieser Situation traten 1996 kubanische Verleger über das Kulturministerium (eine selbstbestimmte Verlegerorganisation gibt es im Lande nicht) an die Frankfurter Buchmesse heran und baten um einen praxisorientierten Workshop, bei dem das Führen selbstständiger Verlage und Marketing-Techniken vermittelt werden sollten. Das Interesse war riesig, der Enthusiasmus der Beteiligten kaum zu bremsen. Es sah so aus, als könnten in absehbarer Zeit die Staatsverlage (andere sind im Lande nicht zugelassen) eigenständig über ihre Programme entscheiden und auch kaufmännisch selbst kalkulieren. Bis dato sind sie für den Verkauf ihrer Bücher nicht verantwortlich, da sie ja auch nicht über Titel und Auflagenzahlen allein befinden dürfen, darüber entscheidet das Buchinstitut des Kulturministeriums. Zwei Jahre später verstärkte sich die Aufbruchstimmung noch, zumal in der politischen Führungsriege liberalere Geister das Sagen bekamen. Doch nachdem Venezuela unter Hugo Chavez die Ölversorgung Kubas verbessert, der Devisen-Tourismus (mit all seinen Auswüchsen) angekurbelt und die Einfuhr von Dollar erlaubt worden war, besserte sich die allgemeine Wirtschaftslage ein wenig, was die politische Führung veranlasste, die Zügel wieder straffer zu ziehen und den Zentralismus erneut zu verstärken. Für die Verlage heißt es seitdem, sich einer straffen ideologischen Ausrichtung zu unterwerfen, die nunmehr ein ehemaliger Funktionär des kommunistischen Jugendverbandes an der Spitze des Buchinstituts vorgibt, und auf die Zuweisung einzelner kleiner Papierkontingente zu warten. Als Alternative gibt es die Möglichkeit, über Koproduktionen im Ausland drucken zu lassen und dann die Bücher für Dollar zu verkaufen, obwohl jeder Kubaner nur Peso verdient, was bedeutet, dass sich nicht mal die Verlagsmitarbeiter ihre selbst entwickelten Bücher kaufen können.Zu dieser Atmosphäre gehört auch eine zunehmende Überwachung der Kultur und Kontrolle der Kommunikation mit dem Ausland. Ein Freund von mir musste sich in der Universität von Havanna ideologisch rechtfertigen, weil er die englischsprachige Ausgabe der Chronik der Wende unseres Verlages mitgebracht hatte, denn dieses Werk würde die Konterrevolution befördern. Andere Büchersendungen zum Umbruch in der DDR haben die Adressaten erst gar nicht erreicht. Die von unserem Verlag gespendeten Titel für die deutschsprachige Sektion der staatlichen Universität sind wie viele andere Bücher in einem Dachspeicher vergammelt, in den es über Monate hineinregnete, ohne dass jemand dagegen etwas unternahm. Die Bibliothek im restaurierten Deutschen Haus "Casa Humboldt" in Havannas Altstadt, ebenfalls mit deutschen Verlagsspenden bestückt, war lange Zeit nur wenigen Eingeweihten zugänglich, da man untersagt hatte, auf ihre Existenz hinzuweisen und ein Schild mit den Öffnungszeiten anzubringen.Auf der Buchmesse im Februar 2002 war für mich der Kontrast zwischen einer Fassade der Offenheit und der tatsächlichen Überwachung besonders drastisch zu erleben. Es begann damit, dass nach einem nächtlichen Zensurrundgang am Tag der Eröffnung verlangt wurde, vom deutschen Stand Bücher kritischer kubanischer Autoren zu entfernen, besonderen Anstoß erregten die Lebenserinnerungen von Fidel Castros Tochter. Nachdem dies abgelehnt worden war, beauftragte die kubanische Staatssicherheit einheimische Kollegen von benachbarten Ständen, diese Bücher heimlich zu entwenden. Doch statt dies zu tun, informierten sie uns, so dass wir die betreffenden Bücher abends mit ins Hotel nehmen konnten.Angeboten wurde auf dem Messegelände erstmalig auch ein Internetcafé, obwohl Kubanern ansonsten kein freier Zugang zu diesem Medium erlaubt ist. Bei näherer Erkundigung stellte sich dann auch prompt heraus, dass nur Ausländer gegen Vorlage des Passes und teure Dollar-Bezahlung eine Registriernummer erhielten, mit der sie für eine bestimmte Minutenanzahl Zugriff zu freien Informationen bekamen. Zwei zusätzlich gekaufte Einwahl-Karten für kubanische Verlagskollegen, über die wir hofften, den Kontakt auch nach der Messe per Web-Mail halten zu können, erwiesen sich als Fehlinvestitionen, da die entsprechenden Codes nach der Messe gleich gesperrt wurden. Nicht zufällig ist bei den Prozessen gegen Schriftsteller und Journalisten im letzten Frühjahr, die mehrheitlich mit Haftstrafen von über 15 Jahren endeten (siehe Freitag 33/2003 und 4/2004), das Internet als "Diversionsinstrument des Imperialismus" gebrandmarkt worden.Nun also gibt es vom 5. bis 15. Februar 2004 wieder eine Buchmesse in Havanna, inzwischen die 13. Die deutsche Kultur ist diesmal der thematische Schwerpunkt und eigentlich wollte sich die Bundesrepublik dort groß in zwei eigenen Hallen präsentieren, eine für die Verlage, eine für kulturelle Organisationen und politische Vertretungen. Es sollte der Boden bereitet werden für das seit Jahren angestrebte und von kubanischer Seite immer wieder hinausgeschobene Kulturabkommen, in dessen Folge es endlich auch ein Goethe-Institut in Havanna geben sollte. Doch dann kam die landesweite Razzia gegen Andersdenkende Ende März 2003 und kurz darauf die entsprechenden Schauprozesse mit ihren drakonischen Strafen. Als sich dagegen Protest unter vielen, sonst durchaus kubafreundlichen westeuropäischen Intellektuellen formierte, wurde dieser als "Speichelleckerei gegenüber dem US-Imperialismus" und "Komplizenschaft mit dem Irak-Aggressor" abgekanzelt. Infolge dessen sagte das Auswärtige Amt Mitte August die offizielle Regierungsbeteiligung Deutschlands an der diesjährigen Buchmesse ab, stellte es aber allen Verlagen frei, dort selbst hin zu fahren und auszustellen. Vor allem 35 kleinere Verlage schickten schließlich Bücher für einen Stand, der von einer Initiative innerhalb des Netzwerkes "Cuba sí" betreut wird. Zwei Vertreter, darunter Junge Welt-Geschäftsführer Koschmieder, wurden denn auch bei der Eröffnung besonders herausgestellt und von Iroel Sánchez, dem Chef des kubanischen Buchinstituts, als die wahren, die aufrechten "Dissidenten" gefeiert, da sie den Widerspruch zur offiziellen deutschen Regierungspolitik gewagt hätten. Das Thema der Dissidenten in Kuba sei dagegen eine von der nordamerikanischen Presse hochgespielte Manipulation. Kulturminister Abel Prieto pries einen Tag später sogar noch die "Widerstandskultur" der angereisten deutschen Vertreter und lobte all jene, die dem fortgesetzten "Völkermord" (wörtlich: Genozid) des "hegemonialen Imperialismus" entgegentreten. Über den Widerstand im eigenen Land wollte er dagegen nicht reden, wie er schon bei einer früheren Messebegegnung eine Petition des PEN-Clubs für die Freilassung inhaftierter Autoren mit der Bemerkung vom Tisch gewischt hatte, dies seien gar keine richtigen Schriftsteller, weshalb es den PEN auch nichts anginge.Aus diesen Entwicklungen heraus, und der Erkenntnis, dass man mit den kubanischen Verlagskollegen zur Zeit keine verbindlichen Absprachen treffen kann, da sie letztlich keine Entscheidungsbefugnis haben, sind viele Verleger in diesem Jahr nicht nach Havanna gefahren, auch wenn sie weiterhin für einen aktiven Kulturaustausch mit dem Land eintreten. Keiner von uns wäre wohl froh, wenn er von einem Funktionär, der die Unterdrückung Andersdenkender lautstark rechtfertigt, als Dissident vereinnahmt worden wäre.Christoph Links arbeitete viele Jahre als Publizist zu Lateinamerika und ist seit 1990 Verleger für zeitgeschichtliche Bücher in Berlin.
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