A
Ausgedacht Der Trend zu absurden, erfundenen oder bizarr individuell geschriebenen Namen – Tymberlee Savannah Schaklin – kommt aus den USA. Was Individualität und Stil beweisen soll und gegen Ende der DDR Sehnsucht nach der weiten Welt ausdrückte, ist religiösen Ursprungs (➝ JHWH). Die Mormonen sind berüchtigt für ihre eigenwilligen Vornamen. Sie glauben, dass jedes Lebewesen mit seinem ureigenen Namen in einem Verzeichnis archiviert wird. Die möglichst eigenständige Schreibweise hilft, im Jenseits wiedergefunden zu werden – wichtig bei Großfamilien, die oft Smith oder Young heißen. Bei Afroamerikanern sind rüschenreiche Namen wie Shaquille oder Aaliyah beliebt. Zum Überschwappen des Trends in unsere Promiwelt dürfte Steffi Graf maßgeblich beigetragen haben. Ihr 2001 geborener Sohn heißt, nach heutiger Sicht durchaus moderat, Jaden Gil. Susann Sitzler
D
Dumme Namen Bevor die Antilopen Gang einem größeren Publikum ein Begriff wurde, als sie – für die Szene – noch real war (oder Untergrund), gab es so glanzvolle Alben wie Spastik Desaster. Während der gnadenlos missverstandene Anti-Studenten-Track „Fick die Uni“ zur selbstironisch mitgegrölten Party-Hymne wurde, blieb der Rest des Albums ein Stück für Connaisseurs. Dabei findet sich dort auch das Lied Dumme Namen. Gewohnt sprachbegabt rappen die Jungs „Du bist ein Volker, der gern Völkerball spielt“ oder „Als Mädchen wärst du jetzt eine Anna / so bist du ein Anatol“. Den Namensträgern wird wahlweise Dummheit, dummes Gerede oder dummes Aussehen unterstellt, inklusive fundierter Gesellschaftskritik: „Nicht das System, sondern Heinz ist der Fehler“. Doch auch um konstruktive Kritik ist man nicht verlegen: „Eure Namen sind so dumm / Eure Namen sind so dumm / Also kommt schon, wie wär’s mit einer Namensänderung?“ Ist das Mobbing? Jedenfalls findet sich auch die prophetische Zeile „Lutz, du bist Schmutz“ im Text. Man denke an einen anderen Lutz (➝ Nazis). Also doch legitime Kritik? Aufgenommen wurde der Track übrigens von Jakob, Koljah und Tobias. Leander F. Badura
Duzen Der US-Wahlkampf 2016: Trumps Sieg, Hillarys Niederlage. Lange habe ich mich darüber geärgert, wie Hillary Clinton häufig nur beim Vornamen genannt wurde, Donald Trump aber auch mit Nachnamen. Auch Hillary Clinton selbst bezeichnete sich als Hillary. Das Logo ihrer Kampagne war ein H mit einem kleinen Pfeilchen. Mir kam es verniedlichend oder herablassend vor, Hillary Clinton als Hillary anzusprechen. Meine Versuche, über Donald Trump nur noch als Donald zu reden, scheiterten. Niemand wusste, wen ich meinte. Zur Besänftigung erklärte ich mir, dass Hillary Clinton sich ihren Nachnamen eben mit ihrem Ehemann teilte und Donald Trump seinen Vornamen mit Donald Duck (➝ Dumme Namen).
Die Entscheidung für Vor- oder Nachnamen ist daher nachvollziehbar. Trotzdem blieb das ungute Gefühl, dass die Entscheidung auf einer unsichtbaren Hierarchie beruht. Wie zum Beispiel bei Krankenschwestern, die mit Vornamen angeredet werden. Ist das respektlos? Menschen mit Nachnamen anzusprechen ist vor allem ein Zeichen von Distanz. Und sich selbst mit Vornamen vorzustellen, will Nähe herstellen. Diese Strategie wird nicht nur von Politikerinnen genutzt: Bernie Sanders nennt sich ja auch selbst Bernie. Johanna Montanari
E
Eigenname Analytische Philosophie ist bekannt dafür, Probleme zu lösen, die für die meisten, die sich nicht mit analytischer Philosophie beschäftigen, nicht relevant erscheinen. Das liegt freilich nicht daran, dass diese Probleme nicht existieren, man kann sie nur nicht sehen. Eines dieser Probleme, der Eigenname, stellt einen Sonderfall dar: Er verweist auf einen bestimmten Gegenstand und individuiert diesen, ohne ihn zu charakterisieren. In der analytischen Philosophie gibt es also keine No-go-Namen. Es liegt kein Fehler vor, wenn Felix an einer Depression erkrankt. Dennoch rätselte Wittgenstein bis zu seinem Tod über der Frage, warum so oft der Eindruck entstehe, dass eine Person mit ihrem Namen verschmelze. (➝ JHWH) Leider hat er keine Erklärung für das Phänomen gefunden und ist dann abends meist allein und verzweifelt ins Kino gegangen. Tilman Ezra Mühlenberg
G
Geschäftsschädigend Es gibt Nachnamen von geradezu geschäftsschädigender Wirkung. Einen Schimmelpfennig will man nicht zum Steuerberater haben. Zahnarztpraxis Steinbeißer, Pfarrer Teufel und Schlosserin Linkerhand sind wenig vertrauenswürdig. Ist man als Bauernfeind im Agrarministerium wirklich richtig? Vielleicht bergen solche Beruf-Namen-Kombinationen aber Vorteile: Sie sind höchst einprägsam und damit von Werbewert. Denn wer würde nicht in der Sauna Leidenfrost schwitzen wollen? Tobias Prüwer
H
Horst 1934 an der Spitze (dank des Kults um Horst Wessel, aber nicht nur deshalb), heute ein Witz: Seit den 1990ern ist „Sich zum Horst machen“ oder „Sich zum Vollhorst machen“ synonym mit „Sich zum Trottel machen“. Damals kam Generation Horst ins Rentenalter und Horst wurde (trotz Schimanski und Hrubesch) als spießiger Altmännername wahrgenommen. Horst gehörte von den 1920ern bis zu den 50ern zu den beliebtesten deutschen Namen. Horst Evers und Horst Heldt waren in den 1060ern schon Nachzügler, möglicherweise wurden sie im Kino bei einem Horst-Buchholz-Film gezeugt. 2017 hat bisher nur ein Paar sein Kind Horst genannt. Man würde gerne mehr über diese kühnen Menschen lesen, aber dem steht der Datenschutz entgegen. Matthias Heine
J
JHWH Der Name des einzigen Gottes der Israeliten ist JHWH. 6832 Mal erscheint das Tetragramm in der hebräischen Bibel. Als wahrscheinlichste Aussprache gilt „Jahwe“. Das Aussprechen war ursprünglich nicht verboten, wurde aber seit den letzten vorchristlichen Jahrhunderten vermieden, damit der Name nicht missbraucht werden konnte. Im Namen war das Benannte anwesend. Nichts durfte an die Praxis erinnern, es durch die Nennung magisch herbeizuzwingen. Dabei war JHWH eigentlich weniger als ein Name, denn was da bezeichnet wurde, blieb offen (➝ Eigenname). Deshalb fragt Moses, als JHWH sich ihm im brennenden Dornbusch offenbart, noch zusätzlich nach dem Namen JHWHs. Die Auskunft – „Ich bin, der ich bin / sein werde“ – ist nach Auffassung Karl Barths erneut eine Namensverweigerung. Statt das Tetragramm auszusprechen, gebrauchte man Ersatznamen wie Adonai, „der Herr“. Das Neue Testament vermeidet auch die Schriftform: Meint Matthäus „das Reich JHWHs“, schreibt er „die Himmel“. Michael Jäger
M
Mittelnamen Sophie Elisabeth Mafalda. Drei Vornamen, genau. Was meine Eltern sich dabei gedacht haben? Ich weiß es nicht. Außenstehende könnten vermuten, sie wollten mich als etwas ganz Besonderes präsentieren, in eine bürgerliche oder gar adlige Tradition stellen; Carl Philipp Emanuel Bach. Caroline Charlotte Henriette von Bülow. Vielleicht folgten sie auch nur der Familientradition. Eine Recherche ergibt: Zwei oder drei Vornamen sind seit Ende des Dreißigjährigen Krieges gängig in allen Schichten. Erstnamen waren oft sehr verbreitete Namen wie Anna oder Hans. Daher die Namen der Großeltern oder Paten als Unterscheidungshilfe. Der Brauch ist bis heute lebendig: Elisabeth ist der Name meiner Großmutter. Der Drittname ist wohl tatsächlich nicht ganz ernst gemeint und soll einen Hauch von Boheme und Ironie verbreiten (➝ Ausgedacht). Manchmal können Eltern sich auch nicht entscheiden. Gesetzlich gibt es keine feste Obergrenze, es wären auch zwölf Namen möglich, wenn das nicht als Zumutung für das Kind ablehnt wird. Sophie Elmenthaler
N
Nazis Hitler oder Göring als Vornamen? In den USA, wo selbst der Präsident nach einer Ente heißt (➝ Duzen), sind die Möglichkeiten unbegrenzt. In New Jersey hat ein frenetischer Nazifan seine Kinder völlig legal etwa Adolf Hitler oder JoyceLynn Aryan Nation nennen dürfen. Auch in Südamerika werden Nazis namentlich wiedergeboren. Vornamen wie Göring, oder Himmler sind in Chile, Bolivien oder Brasilien keine Seltenheit. Man begegnet ihnen sogar in den Medien. Ein Blick ins Telefonbuch São Paulos zeigt, dass es dort einen Lebensmittelhändler mit Namen Adolfo Hitler Ferreira Santos gibt.
Bei einem Ex-Staatschef (Luiz Inácio Lula da Silva), der seine Bewunderung für Hitler in den 1970er Jahren sogar öffentlich äußerte, vielleicht gar nicht so verwunderlich. In Europa kreiert der Vorname Adolf sofort Reibung. Das beweist das französische Stück Der Vorname, das 2012 auch verfilmt wurde. Darin eskaliert ein Abend unter Freunden, weil da einer ankündigt, seinen Sohn Adolphe nennen zu wollen – natürlich nach Benjamin Constants Helden. Das ist den anderen aber gleich, sie finden es daneben. Ich kann das gut verstehen. Ich wohne in der Adolfstraße. Natürlich ist auch die nicht nach Hitler benannt. Aber seien wir mal ehrlich, wen interessiert das schon, wenn man seine Adresse im Ausland auf einen Hostelfragebogen schreibt. Madeleine Richter
S
Spitznamen Eine tolle Erfindung! Immerhin können sie absolute No-go-Namen ein bisschen kürzer, hübscher, treffender machen. Doch auch da lauern Gefahren. Machen Babsi oder Sepp wirklich froher als Barbara oder Joseph? Das ist wohl Geschmackssache. Man sollte nicht weiter darauf herumreiten. Bemerkenswert bunt ist auch die Welt der Spitznamen, die über die bloße Abkürzung hinausgehen. So wurde Richard Nixon 1950 aufgrund seiner Wahlkampf-Taktik zu „Tricky Dick“, die SPD-Politikerin Heidemarie Wieczorek-Zeul ist seit ihrer Zeit als Juso-Vorsitzende die „rote Heidi“ und Helmut Kohl wurde in den 1980er Jahren vor allem wegen einer Titanic-Karikatur spöttisch als „Birne“ bezeichnet. Auch bei Spitznamen warten also nicht nur Freuden. Was man gegen unschmeichelhafte Titulierungen unternehmen kann, hat der Fußballer Andreas Neuendorf vorgemacht. Den wenig schmeichelhaften Spitznamen „Zecke“ nahm er mit Würde an, er stand am Ende sogar auf seinem Trikot. Das geht nur mit Künstlernamen: Zecke versteigerte also selbst gemalte Ölbilder, um (als Maler) einen Künstlernamen führen zu dürfen. Benjamin Knödler
Z
Zensur Mohammed, Islam und Koran – 29 Namen haben chinesische Behörden kürzlich in Xinjiang, der westlichen Provinz des Landes, verboten. Wollen einheimische Uiguren, eine turksprachige Ethnie, Neugeborenen muslimische oder turkische Namen wie Turknaz geben, folgen Sanktionen, so der Ausschluss von Gesundheitsfürsorge und Bildungsmaßnahmen. Damit soll unter anderem radikaler Islamismus in Ostturkestan zurückgedrängt werden. Der, kann man dagegenhalten, erhält dadurch erst Nahrung. Erst im April hatte Peking die Repressalien gegen Muslime hier verschärft, so das Tragen von Kopftuch und langen Bärten verboten und religiöse Feiern untersagt. Behrang Samsami
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