No Vision

Rot-Rot in Berlin Die Sparer in den Flitterwochen

Es wird nicht reichen, aber dennoch hat Herbert Grönemeyer es wacker versucht. Bei den Berliner Lektionen hielt der Ex-Bochumer Anfang der Woche die erste offizielle Rede seines Lebens, und es muss ihm so vorgekommen sein, als ob historische Umstände mal wieder eine historische Sentenz verdient hätten. Also sprach Grönemeyer: "Ich bin zwei Berliner." Rätselhafte Worte. Was wollte er nur damit sagen? Die zwei Seelen, ach? Eine innere Zerrissenheit, die noch immer nicht vollendete innere Einheit, die nun auch Herbert aufs Gemüt geht? Aber dennoch, er bleibe ein, zwei, drei - wenigstens Berliner. Merkwürdig!

Also erst einmal zu den historischen Umständen, wenn es überhaupt welche sind: Seit Mitte der vergangenen Woche verhandeln SPD und PDS in Berlin über eine Koalition; und zwar bemerkenswert eilig, ohne bisher bemerkenswerte Streitpunkte und in einer ganz bemerkenswerten Arbeitsatmosphäre, wie Teilnehmern der Gespräche immer wieder wichtig ist zu versichern. Rot-Rot, das ist vor einem halben Jahr zu Beginn des Wahlkampfes noch als historische Chance von Gregor Gysi angeboten worden oder wahlweise als historisches Unheil - von Leuten wie Eberhard Diepgen, Guido Westerwelle, Arnulf Baring oder Michael Glos. Und heute wird es überhaupt nicht mehr so wahrgenommen, am meisten wohl, weil die Schreihälse ruhig geworden sind. Sie wurden einfach vor Tatsachen gestellt. Die neuen Koalitionäre haben dort angefangen zu verhandeln, wo die Ampel aufgehört hat, ganz ohne Ideologie und vielleicht nicht ganz zufällig bei den Themen, die in Berlin am meisten mit Ideologie verknüpft sind, und deswegen auch den Anfang vom Ende der Ampel bedeuteten, Olympia und der Großflughafen Schönefeld nämlich. Die rot-roten Gespräche stellen sich nicht nur hier als die kontinuierliche Fortsetzung der vorherigen Verhandlungen dar. Das Wort haben in der bankrotten Stadt weiterhin die Haushälter, und die reden so wie es sozialdemokratische Finanzpolitiker es sich eben angewöhnt haben. Mit Konsolidierungssemantik und Spar-Rhetorik. Die zwei sozialdemokratischen Parteien werden sie schon genannt. Die SPDS.

Und die erlebt Berlin gerade in den Flitterwochen, fröhlich und ausgelassen, um so mehr, seitdem Patriarch Schröder, der die Vernunftehe mit Grün und Gelb erzwang, nun mit einem Schulterzucken zu allem seinen Segen gegeben hat. Und die zwei Seelen dieses einträchtigen Treibens sind niemand anderes als Klaus Wowereit, der Gut-so-Regierende Bürgermeister, und Gregor Gysi. Besonders Wowereit zeigt, wie sehr ihm das künftige Bündnis schon heute zusagt. Er lächelt wieder. Als er vor nicht mal zwei Wochen Günter Rexrodt und Sybill Klotz mit einem Weihnachtskalender zu adventlicher Eintracht überreden wollte, da war das Augenzwinkern dabei gequält, übernächtigt und leere Geste. Heute zerfließt er in Lächeln, wenn er mit Gysi vom Verhandlungstisch aufsteht. Bei beiden erzählt schon die Körpersprache von der sich ankündigenden Männerfreundschaft. Sie sollte auch eine solche werden. Denn Gysi wird Senator, und er wird, daran besteht kein Zweifel, dem Bürgermeister, der noch vor gar nicht so langer Zeit einfacher Stadtrat im Bezirk Tempelhof war, vielleicht sogar ganz ohne Absicht die Show stehlen. Und so kündigt sich nicht nur Rot-Rot für die Hauptstadt an, ohne dass heute dagegen noch größere Bedenkenträger zu Felde ziehen, sondern mit dieser neuen Koalition auch eine neue Art der hauptstädtischen Repräsentation. Berlin bekommt einen Doppelbürgermeister.

Was heißt das alles nun für die Hauptstadt? Bisher hat die Berliner Landespolitik die Geschmacksgrenzen des eigenen Milieus noch selten übertreten. Auch die Ampel wäre ein Westberliner Gewächs geworden. Bei der PDS scheint es nun, also wollte sie den Mief der Plattenbauten möglichst schnell loswerden. Sie hat sich den fiskalischen Fesseln ergeben, will beim Verwaltungspersonal einsparen, genauso wie die Sozialdemokraten. Der aufgeblähte öffentliche Apparat ist inzwischen auch eine der letzten Erinnerungen an das alte Berlin, wo, egal ob in West oder Ost, bürokratischer Paternalismus kräftig wuchs. Das andere Überbleibsel ist eine jahrelang von konservativer Seite geprägte Kultur. Doch ein über den neuen Etatismus hinaus greifendes Konzept, gar eine Vision lässt sich bei SPDS bisher nicht erkennen. Berlin hat künftig eine Regierung, die beide Stadthälften vertritt. Das ist spannend genug. Es muss reichen, wenn die Stadt selbstbewusst von sich sagen kann: "Ich bin zwei Berlin."

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

Jörn Kabisch

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