Die Bundestagswahl ist zwar gelaufen, aber die Existenzangst der Opel-Mitarbeiter sitzt Kanzlerin Merkel nun um so mehr im Nacken. Sie kann den gescheiterten Verkauf der GM-Tochter als eine in jeder Hinsicht aufschlussreiche ökonomische Lektion begreifen, die besonders drei Erkenntnisse anbietet. Der Fall Opel zeigt, wie hart die ökonomische Konkurrenz zwischen Deutschland und den USA sein kann, wie unterschiedlich die Industriepolitik beider Staat angelegt ist, und dass europäische Wettbewerbsregeln nicht straflos unterlaufen werden. Dies alles lässt sich jetzt – da der Schock über den Paukenschlag aus Detroit langsam abklingt – leicht aus der medial produzierten „Wir-sind-eure-Regierung-Show“ destillieren. Fehlendes Vertrags- und Verhandlu
dlungsgeschick der Bundesregierung im Übrigen auch.Zur Erinnerung: Als mit General Motors auch die europäischen Ableger, die Adam Opel AG und Vauxhall, vor Monaten in den Strudel der Finanzkrise gerissen – sprich: zahlungsunfähig – wurden, sagte die Regierung Merkel Hilfe durch einen Kredit von 4,5 Milliarden Euro zu. Die ersten 1,5 Milliarden erhielt Opel sofort. Um dabei nicht General Motors zu subventionieren, sondern deutsche Werke und Arbeitsplätze, wurden 65 Prozent der Aktien aus der Adam Opel AG einer neu geschaffenen Opel-Treuhand übertragen. Die sollte sicherstellen, dass der Rest der Kredite nur ausgezahlt wird, wenn ein Sanierungskonzept für Opel vorliegt.Stolperstein RusslandDabei sicherte sich die Bundesregierung in diesem Gremium weder Mehrheitsentscheidungs- noch Veto-Rechte. Der Opel-Treuhand-Beirat besteht aus fünf Personen: Je zwei werden von der Bundesrepublik und GM gestellt. Das fünfte Mitglied, der Chef der amerikanischen Handelskammer, hat erst ab Dezember Stimmrecht.Als von der deutschen Exekutive sehr schnell eine Übernahme von Opel durch das Magna-Konsortium favorisiert wurde, war für jedermann sofort ersichtlich, wie skeptisch GM diesem Verkauf gegenüber stand, weil eben auch die russische Sberbank und der russische Autobauer Gaz mit im Spiel waren. Die Amerikaner ließen ihrer Furcht freien Lauf, dass mit Opel geistiges Eigentum in Gestalt der Konstruktionspläne Russland zugute käme. Der Konflikt schien allerdings tiefer zu liegen: Die Russische Föderation bietet einen expandierenden Markt, in dem die deutschen Autobauer mit dem Verkauf von Opel an Magna und Gaz eine privilegierte Position eingenommen hätten. Die Bundesregierung favorisierte Magna zwar offiziell, weil dessen Konzept versprach, alle deutschen Opel-Werke zu erhalten. Obwohl dies im Wahlkampf gewiss ein relevanter Faktor war, dürften die industriepolitischen Interessen und Überlegungen umfassender gewesen sein und die transatlantische Konkurrenz auf dem russischen Markt einbezogen haben. Das transatlantische Bündnis ist eben eines, das gleichzeitig unter den Bedingungen ökonomischer Rivalität stattfindet.Guttenbergs Insolvenz Und vergessen wir nicht, innerhalb der Bundesregierung wurden ebenfalls unterschiedliche Vorstellungen laut. Während die Mehrheit die genannte industriepolitische Option verfolgte, entpuppte sich der CSU-Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg als Gralshüter der kollabierten neoliberalen Ideologie und beschwor die „geordnete Insolvenz“ als Ausweg. Das hieß nichts anderes als: „Hoch lebe der Wettbewerb – koste es, was es wolle; Wirtschaftspolitik wird in der Wirtschaft gemacht.“Damit setzte sich zu Guttenberg zunächst nicht durch. Die Bundesregierung machte General Motors klar, der Konzern könne mit den restlichen drei Milliarden Euro Kredit nur dann rechnen, wenn an Magna verkauft werde. Die GM-Vertreter in der Treuhand stimmten so für den kanadisch-österreichischen Interessenten, während das vom damaligen Wirtschaftsminister in diesem Gremium installierte FDP-Mitglied Pfeil gegen einen Verkauf an Magna war und schließlich abgesetzt wurde. Pfeil hatte es nämlich ausposaunt: „Magna gibt Teile des Opel-Kredits in Russland aus.“Unterstützungen erhielt zu Guttenberg schließlich von der europäischen Industriekommissarin Neellie Kroes. Die erklärte, dass Subventionen an Opel unter der Bedingung, deutsche Arbeitsplätze zu erhalten, gegen europäisches Wettbewerbsrecht verstießen. Im Trubel der Wirtschaftskrise war das weitgehend unbeachtet geblieben. Dann aber schienen sich die Zeiten zu normalisieren, und die EU agierte wieder – entsprechend ihren Rechtsgrundlagen – als Gralshüterin des reinen Wettbewerbs.Halloween der Neoliberalen Zu Guttenberg witterte seine Chance und bat GM um eine schriftliche Bestätigung, dass der Verkauf an Magna nicht durch politischen Druck entstanden sei. Das wiederum war die Chance für GM, auf dem Absatz kehrt zu machen und aus dem Deal auszusteigen. Fazit: Die Mehrheit der Herrschenden war kurzzeitig aus der europäischen Doktrin des offenen – das heißt staatsfreien – Wettbewerbs ausgestiegen und hatte versucht, imperiale deutsche Industriepolitik in Konkurrenz mit den USA zu betreiben. Sie ist an den selbstgesetzten Regeln und dem Halloween des Neoliberalismus gescheitert. Die Ironie liegt darin, dass die Bundesregierung nach europäischem Recht nun das tun muss, was von Anfang an vermieden werden sollte, nämlich GM subventionieren.Die Kreditzusagen dürfen keineswegs nur für Magna gelten, sondern für jeden künftigen Eigentümer, wird angesichts der als EU-Norm geltenden Unterordnung der Politik unter den Wettbewerb gefordert. Das Spiel geht im Zweifel zu Lasten der Opel-Beschäftigten aus, die mit dem Wir sind Opel-Spruch meinten, an geschichtsträchtige Beispiele anzuknüpfen, letztlich aber eher an die lächerliche Bild-Überschrift (Wir sind Papst!) nach der Wahl Ratzingers erinnerten. Über Opel entscheiden noch lange nicht die Beschäftigten.