Noch ein Hoffnungsträger

Kolumbien Der Ex-Gewerkschafter Luis Eduardo Garzón ist neuer Bürgermeister Bogotás und wird als nächster Präsidentschaftskandidat der Linken gehandelt

Luis Eduardo Garzón hat in seinem Leben schon viele Rollen gespielt. 1975 war der Sohn einer allein erziehenden Mutter aus Bogotá zum Vorsitzenden der Erdölgewerkschaft USO aufgestiegen, seit 1996 leitete er gar den Gewerkschaftsdachverband CUT. Neunmal war er wegen seines für die herrschende Oberschicht wenig erfreulichen sozialen Engagements im Gefängnis. 1998 dann musste der Arbeitervertreter, den alle nur "Lucho" nennen, vor Todesdrohungen rechtsextremer Paramilitärs in das Schweizer Exil fliehen. Vier Jahre später zurückgekehrt, erreichte er als Kandidat der linken Sammelbewegung Soziale und Politische Front (FSP) im Mai 2002 den dritten Platz bei den Präsidentschaftswahlen.

Im Augenblick nun ist Luis Eduardo "Lucho" Garzón vor allem müde. Seit er am 26. Oktober zum Bürgermeister der kolumbianischen Kapitale gewählt wurde, habe er keine Nacht mehr als drei Stunden geschlafen, entschuldigt seine Pressesprecherin den beliebten Politiker, als der Freitag nach einem Interview fragt. Garzón sieht sich enormen Erwartungen seiner Anhänger gegenüber - mit 46,6 Prozent gingen Ende Oktober so viele Wahlberechtigte zu den Urnen wie bei noch keiner Entscheidung über den Bürgermeister von Bogotá. Das Erfolgsrezept dafür war so einfach, dass es für den linken Hoffnungsträger gefährlich werden kann. Garzón versprach eine "neue Sozialpolitik", die "allen Bewohnern" zugute komme. Doch bei einer hoch verschuldeten Stadt und einem Präsidenten wie dem Rechtskonservativen Uribe Vélez, dem Garzóns Vorstellungen ein Gräuel sein dürften, läuft der designierte Bürgermeister zweifelsohne Gefahr, viele Wünsche enttäuschen zu müssen, weil ihm jeder Spielraum fehlt. Doch der Sieger gibt sich kämpferisch. "Ich werde den Krisenstab für die Betreuung der fünf ärmsten Stadtteile aufrechterhalten", kündigt er gegenüber der Wochenzeitung Semana an. Niemand mehr solle fortan ignorieren können, dass in Bogotá 2,7 Millionen Menschen in Armut lebten. Modernisierungsprojekte sollten künftig allen zugute kommen, das Bildungs- und Gesundheitswesen müsse unterstützt werden.

Garzón will den Transmilenio für alle Bewohner zugänglich machen. Die neue Autobahn wurde staatlich finanziert und gilt als Symbol für das innovative Bogotá. Eine private Buslinie befördert Hauptstadtbewohner seither auf dieser Nord-Süd-Achse. Sie sollte das Transportproblem der Millionenmetropole entschärfen, bald stellte sich aber heraus, dass sich mitnichten alle Bewohner die Fahrtkosten leisten können. "Nur für 15 Prozent ist das möglich", präzisiert Garzón, "ich werde als Bürgermeister mit dem Unternehmen in Verhandlungen treten und Sozialtarife einfordern." Das Ergebnis wird ermessen lassen, wieviel Bewegungsfreiheit dem neuen Hoffnungsträger bleibt.

Seine Partei Demokratischer und Unabhängiger Pol (PDI) trägt noch embryonale Züge - in ihr haben die Gruppen Vía Alterna und Fuerza Independiente sowie die Sozialdemokratische Partei und die Partei des Demokratischen Sozialismus zueinander gefunden. Draußen blieben mit der FSP ausgerechnet Garzóns Wahlplattform bei den Präsidentschaftswahlen 2002 und die Demokratische Einheit (UD). Beiden ist die Programmatik des PDI zu diffus, und selbst Garzón räumt ein, dass sein "Pol" zu sehr "von oben nach unten" gebaut wurde. Man darf vor allem gespannt sein, wie er sich gegenüber der kämpfenden Guerilla aus den Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC) und dem Ejército de Liberación Nacional (ELN) verhält. Kurz nach dem Wahlsieg hat er zwar in deutlichen Worten die Freilassung der grünen Politikerin Ingrid Betancourt gefordert, andererseits ist bekannt, dass Garzón zu den Anhängern von Verhandlungen gehört, um den vier Jahrzehnte dauernden Konflikt mit der Guerilla einzudämmen - auch das dürfte für Staatschef Uribe Vélez keine Empfehlung sein, der nach seiner Amtsübernahme im August 2002 auf Konfrontation statt Konsens schwört.

Der Aufsteiger Garzón hat auf jeden Fall von einem trotz repressiver Staatspolitik nicht gezähmten sozialen Widerstand ebenso profitiert wie vom Zerfall des traditionellen Parteiengefüges aus dem konservativem und liberalen Lager. Inwieweit ihn das bei kommenden Präsidentschaftswahlen zum Herausforderer Uribes prädestiniert, bleibt abzuwarten. Erinnert sei an den Wahlkampf von 1990, als drei mehr oder weniger linke Kandidaten von Unbekannten erschossen wurden, und am Ende nur noch die Oligarchie ihren Favoriten César Gaviria präsentierte.


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