Nun also auch Norbert Lammert? So jedenfalls will es der Plagiatsjäger wissen, der bereits Annette Schavans Doktorarbeit nach unsauberen Zitierpraktiken durchforstet hatte. Unter dem Namen Robert Schmidt betreibt er die Enthüllungsseite lammertplag und listet in der Bochumer Dissertation des Bundestagspräsidenten „exemplarische Belegstellen“ für wissenschaftliches Fehlverhalten auf. Lammerts Promotionsschrift von 1975 trägt den etwas sperrigen Titel Lokale Organisationsstrukturen innerparteilicher Willensbildung – Fallstudie am Beispiel eines CDU-Kreisverbandes im Ruhrgebiet. Mit akribischer Energie werden auf der WWW-Plattform lammertplag jetzt Formulierungen und Literaturangaben samt Vergleichstextstellen präsentiert, um nachzuweisen, dass sie ohne explizite Kennzeichnung aus anderen Arbeiten übernommen wurden. Eine „eigentliche“ wissenschaftliche Arbeit habe nicht stattgefunden, so die These des Robert Schmidt. Als suchanleitende Indizien gelten ungenaue Titel- und falsche Seitenangaben; auch inkorrekte Jahreszahlen zählen.
Nun ja. Ob damit „genug problematische Belegstellen“ vorliegen, die eine „umfassende offizielle Untersuchung der Arbeit“ rechtfertigen, wie es sich der Plagiats-Entlarver vorstellt, muss die Universität Bochum entscheiden. Der Politiker hat jedenfalls überlegt reagiert und seine Alma mater um Prüfung der Vorwürfe gebeten. Zudem hat er seine Arbeit ins Netz gestellt. Interessierte Leser können nun studieren, wie vor 38 Jahren Parteiendemokratie beschrieben und bewertet wurde. Dabei kann man beobachten, dass Lammert bereits 1975 Übereinstimmungen zwischen „pluralistischen“ Parteien des Westens und „zentralistischen“ Parteien des Ostens konstatiert und neben der latenten „Verfilzung von inner- und außerparteilichen Interessengruppen“ in den Demokratien auch die „Außensteuerung durch Meinungsforschung und moderne Kommunikationsmittel“ als Ursachen für eine „Entdemokratisierung der politischen Parteien von außen“ identifiziert. Wusste er schon vom späteren Kommunikationsverhalten einer Bundeskanzlerin, die politische Entscheidungen mit Mobiltelefon und Umfragewerten abstimmt?
Später geht es dann sogar systemkritisch zur Sache: „Es kann keinen ernsthaften Zweifel daran geben, daß unter den gegebenen realen Verhältnissen eine Einflußnahme auf politische Entscheidungen in der Bundesrepublik nur über die bestehenden, im Bundestag vertretenen Parteien möglich ist. Die Vorstellung vom souveränen Wähler erweist sich zunehmend als Fiktion.“ Die im Teil „Dokumentation“ versammelten Zeugnisse der Kreisverbandsarbeit liefern Belege für diese und weitere desillusionierenden Aussagen. Sie zeigen eine Partei, der vor allem die jungen Mitglieder abhanden kommen. Im Jahr 1975, so wird deutlich, haben die Parteiendemokratie und die CDU ein massives Problem. Und Norbert Lammert benennt sie. Vielleicht bestand ja das Ziel des Plagiatsjägers Schmidt weniger in einer Demontage der wissenschaftlichen Leistungen des Bundestagspräsidenten. Sondern im Hinweis auf das kritische Reflexionsvermögen innerhalb einer Parteienlandschaft, in der die Verfilzung inzwischen fast undurchdringlich und das Schielen auf Umfragewerte zum zentralen Reflex geworden ist. Dafür Danke, Herr Schmidt.
Ralf Klausnitzer lehrt Germanistik in Berlin
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