Karl „Kalle“ Ove Moene ist Ökonomie-Professor an der Universität Oslo. In seinen Vorlesungen warnt er vor dem Zynismus der Mainstream-Ökonomie. Seit Jahrzehnten beschäftigt sich Moene mit Fragen der wirtschaftlichen Ungleichheit und hat bereits mit Thomas Piketty zu diesem Thema geforscht. In seinem Büro in der Hauptstadt Norwegens spricht er über Vor- und Nachteile des Kapitalismus, die Ungleichheit, Chancen sozialdemokratischer Wohlfahrtsstaatspolitik – und darüber, was angesichts der Automatisierung von Arbeit helfen würde.
der Freitag: Herr Moene, den meisten Menschen geht es heute besser als noch vor ein paar Jahrzehnten. Müssen wir dem Kapitalismus dankbar sein?
Kalle Moene: Ja, schon ein bisschen. Der Kapitalismus ist ein flexibles System. Was oft vergessen wird, ist, dass er Möglichkeitsräume für breite Umverteilung öffnet. Nehmen Sie da zum Beispiel Schweden, Dänemark, Finnland, Norwegen, vielleicht noch Belgien und die Niederlande – diese Länder unterscheiden sich in distributiver Hinsicht von rein kapitalistischen Systemen. Und Kapitalismus kann auch zu rascher Entwicklung führen, wie heute in China oder Indien.
Ihre Arbeiten klingen da weniger fröhlich: Da ist von einer „Krise der Ungleichheit in der Welt“ die Rede …
Das stimmt, denn auch wenn der Kapitalismus Gutes bewirkt hat, ist er ebenso für Fehlentwicklungen verantwortlich, wie zum Beispiel die rasch steigende Ungleichheit, die wir zurzeit beobachten. Das ist ein echtes Problem.
Warum?
Weil Ungleichheit so viele Lebensbereiche berührt. Zuallererst beeinflusst sie die Zusammensetzung dessen, was in der Welt produziert wird, wessen Bedürfnisse befriedigt werden. Außerdem bedeutet ökonomische Ungleichheit immer auch politische Ungleichheit. Dafür gibt es viele Belege, hier ist einer: Eine wissenschaftliche Studie in den USA, die sich mit den Einstellungen der Bevölkerung zu verschiedenen Politikvorhaben beschäftigt hat, hat herausgefunden, dass jene Veränderungen, die die Befürwortung von den Reichen erfuhren, viel eher umgesetzt wurden als jene, die von den Ärmeren favorisiert wurden: Einfluss ist also käuflich.
Und die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander …
Ich würde sagen, die konservativste Schätzung ist, dass die Ungleichheit zwischen den Menschen auf der Welt zumindest nicht abnimmt. Zwischen den Ländern aber schon: Nehmen Sie zum Beispiel die enormen wirtschaftlichen Wachstumsraten von China und Indien. Aber gerade solche bevölkerungsreichen Länder, die durch ihr hohes Wachstum daran arbeiten, die zwischenstaatlichen Disparitäten zu verringern, fallen durch dramatisch ansteigende Ungleichheit innerhalb ihrer eigenen Landesgrenzen auf.
Zur Person
Kalle Moene, 68, lehrt seit 1987 Ökonomie an der Universität in Oslo. Er ist Leiter des Centre of Equality, Social Organization and Performance (ESOP). Seine Fachgebiete sind wirtschaftliche Entwicklung, Gewerkschaften und Wohlfahrtsstaaten. Seit zehn Jahren erforscht er das auf soziale Gleichheit ausgerichtete „nordische Modell“ der Länder Norwegen, Dänemark, Schweden, Finnland und Island. 2016 erhielt er den Fridtjof-Nansen-Preis für „herausragende Forschung“
Aber gegen Ungleichheit gibt es ja Rezepte: Letztes Jahr haben Sie die Mainstream-Ökonomie mit der Forderung nach einem Grundeinkommen in Höhe von 80.000 Kronen geschockt, das entspricht mehr als 8.000 Euro. Die solle jeder Norweger über 18 Jahre bekommen.
Ja. Es geht mir hier aber gar nicht um die Höhe, sondern um die Berechnung. Zusammen mit meinem Freund Debraj Ray, einem Ökonomen an der New York University, empfehle ich, dass jedes Land zehn Prozent seines Nationaleinkommens als garantiertes Einkommen, als Grundeinkommen, verwenden soll, unter das dann niemand mehr fallen kann. Die Globalisierung bringt zwar Vorteile, diese sind aber in den Ländern sehr ungleich verteilt. Ein Universal Basic Share, UBS, wie wir es nennen, würde grundlegende Eigentumsrechte schaffen. Allen Bürgern stünden zehn Prozent des Volkseinkommens zu. Somit würden die Gewinne aus der Globalisierung viel gleichmäßiger verteilt. Eine Institution wie die Vereinten Nationen sollte alle Länder dazu verpflichten, ein solches UBS einzuführen, und dann überwachen, ob es auch umgesetzt wird.
Aber warum kommen Sie gerade jetzt damit um die Ecke?
Die Herausforderungen sind doch offensichtlich: Arbeitslosigkeit, Ungleichheit, Globalisierung und Automatisierung. Die, denen die Roboter gehören, werden die Welt beherrschen.
Moment. Was haben denn jetzt die Roboter damit zu tun?
Stichwort Automatisierung der Produktion. Gewöhnliche Menschen erhielten durch ein UBS Besitzrechte an den Robotern und dadurch auch mehr Macht. Aber es geht nicht nur um Roboter, sondern alle Arten technologischen Fortschritts, die das Einkommen vermehren. Und das UBS würde mit fortschreitender technologischer Entwicklung auch allmählich ansteigen. Somit wäre es ein echter Anreiz für die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, an der Entwicklung ihres Landes mitzuarbeiten, sie voranzutreiben, weil das Erreichte als Bonus zu ihnen zurückkäme. Das stärkt die Schwachen und die Wirtschaft.
Sie reden der Sozialdemokratie das Wort.
Sozialdemokratie ist ein Begriff für eine große Bandbreite von Politikansätzen. Und Sozialdemokraten waren ja sehr progressiv, vor allem im Norden Europas: Sie waren entschiedene Verteidiger des Wohlfahrtsstaates, der Gewerkschaften, der Gleichheit und der Interessen der armen Arbeiterschaft. Aber als in Ihrem Land, in Deutschland, Eduard Bernstein über die Entwicklung der Sozialdemokratie in marktbasierten, kapitalistischen Volkswirtschaften sprach, dach-ten viele Menschen noch, es wäre unmöglich, solche Reformen umzusetzen.
Für viele Marxisten war der Revisionismus Bernsteins eine Abkehr von linken Idealen.
Marx war ein einzigartiger Gelehrter. Aber lesen Sie doch noch mal das Kommunistische Manifest. Dann stellen Sie fest, dass Dinge, die 1848 als utopisch betrachtet wurden, heute allesamt erreicht sind – bis auf die Revolution. Und vielleicht brauchen wir gar keine Revolution, sondern so-ziale Reformen, Druck und Einflussnahme von unten.
Wohlfahrtspolitik ist teuer. Das können sich doch nur die reichen Industrienationen erlauben, oder?
Da bin ich jetzt wirklich ganz anderer Meinung. Ein Beispiel: Als Norwegen in den 1930er Jahren eine Politik der zentralisierten Tarifverhandlungen zur Reduzierung von Lohnungleichheit einführte, hatte es ein viel geringeres Pro-Kopf-Einkommen als Südafrika oder Brasilien heutzutage. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts war Norwegen das ärmste Land in Europa, ein Außenseiter mit niedrigen Lebensstandards, irgendwo hoch oben am Nordpol. Jetzt ist es das reichste Land in Europa. Es hat mehr Wirtschaftswachstum als andere europäische Länder – auch wenn man das viele Öl außer Acht lässt. Norwegen fing nicht an umzuverteilen, als es reich wurde, es wurde reich, weil es umverteilte. Wenn sich also ein Land wie Norwegen bereits vor Dekaden sozialdemokratische Politik leisten konnte, können es die ärmeren Länder heute auch.
Aber wir leben im Zeitalter des Neoliberalismus. Da ist Wettbewerbsfähigkeit wichtiger als Gerechtigkeit.
Ich glaube, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Gefühl, dem Wettbewerb in der Welt ausgesetzt zu sein, und der Existenz von guten und sozialen Institutionen. Nehmen Sie Lateinamerika: Im letzten Jahrhundert hielt man dort lange Zeit an der Politik der Import-Substitution fest. Man glaubte, man würde so der noch jungen Industrie auf die Beine helfen. Das war keine gute Entwicklungsstrategie; die politischen Folgen waren Günstlingswirtschaft und ineffiziente Allokation, weil jetzt mächtige Interessengruppen im Land gegeneinander konkurrierten, die ein Interesse an der Fortsetzung der nach innen gerichteten Politik hatten. Wenn man aber dem Wettbewerb in der Welt ausgesetzt ist, sind die Opportunitätskosten höher, und der Zusammenhalt im Inneren nimmt zu.
Freihandel … und go?
Freihandel kann eine gute Sache sein. Aber viele Regelungen, die heute unter diesem Label laufen, haben damit gar nicht so viel zu tun: Es ist ein Diktat der starken Nationen dessen, was die armen Staaten an Regeln und Institutionen implementieren sollen. Das ist das Gegenteil von Freihandel. Wenn Sie heute in Kenia investieren, dürfen Sie die Politik in Kenia mitbestimmen. Das meine ich mit Diktat: Der Starke diktiert dem Schwachen, was er zu tun hat. Und Macht ist etwas, über das wir heutzutage mehr denn je sprechen müssen. Es ist doch merkwürdig, dass gerade jene Länder, die nur einen Faktor besitzen, der Länder reich macht, nämlich Kapital, wachsenden Einfluss besitzen sollen, während wir wissen, dass das wichtigste Kapital der Mensch ist.
Was muss sich ändern?
Wir brauchen eine ausgleichende Macht gegen die Kapitaldominanz, und zwar im globalen Norden und im globalen Süden. Denn Bösewichte gibt es überall. Doch stattdessen reden wir immer nur über Kosten, gerade in meiner Disziplin, der Ökonomie.
Reden Sie deshalb so oft von „zynischer Ökonomie“?
Zynische Ökonomie bedeutet, sich die Menschen zu egoistisch zu denken, zu wenig sozial, zu engstirnig. Ein zynischer Ökonom sieht die Menschheit nicht als Anhäufung sozialer Lebewesen, sondern glaubt, dass jeder Mensch nur an sich selbst interessiert ist. Da müssen dann Umverteilungsziele in der Tat hintenanstehen.
Sind Sie ein zynischer Ökonom?
Ich hoffe nicht. Ernsthaft: Ich widerspreche dieser Perspektive total. Denn Länder brauchen ein utopisches Ziel vor Augen, etwas, nach dem sie streben können. Und was hat man von Effizienz, wenn die Effizienzgewinne nur bei den Superreichen landen? Das ist eine winzige Gruppe, die interessiert uns doch gar nicht. Die Gewinne sollten zu denen gehen, die sie am meisten brauchen.
Kommentare 18
Vielen lieben Dank für das Interview. Es ist sehr sehr wohltuend von solchen Lichtgestalten zu hören. Den Namen werde ich mir merken.
Die nachfolgende Integrale Politik berücksichtigt die Anliegen des Herrn Moene für die Schweiz, in dem Fall. Aber wir brauchen eine weltweite Grundversorgung des Menschen auf Erden auf UN-Ebene. Das sehe ich auch so.
http://www.integrale-politik.ch/positionspapiere-integrale-politik/
Irreführender Artikel. Natürlich ist der Reichtum Norwegens ohne sein Öl und Gas nicht erklärbar.
Die daraus resultierenden Einnahmen subventionieren einen Grossteil der Lohneinkünfte und Sozialleistungen. Letztere sind im Hinblick auf die hohen Lebenshaltungskosten nicht viel besser als in Deutschland.
Die getroffene Aussage, dass Norwegen (nur) reich wurde, weil es umverteilte, ist Bullshit.
Die Produktivität ist geringer als in den USA oder Deutschland.
Ich würde den Wohlstand in Norwegen als überwiegend unverdient (in Bezug zur individuellen Arbeitsleistung) und als hochgradig dekadent bezeichnen.
Schönes Interview! Eine Freude mal eine andere, realistischere Sicht auf die Ökonomie zu erhalten.
@Stiller: Sie sind Norweger und wissen das? Oder einfach nur ein 'gläubiger' Neokon?
& @Stiller
Na ja, der norwegische Staat hat Geld aus den Öleinnahmen profitabel angelegt. Wie der Profit genau zustande kommt fragt man nicht: Das tut ja kein Kapitalist.
Ohne das Öl wäre alles ein paar Nummern bescheidener, aber die Frage der Verteilung berührt das nicht: Ein Volk kann von Reichtum profitieren oder von erarbeitetem bescheidenen Wohlstand. Oder es sahnen in beiden Fällen ein paar Oligarchen ab. Wenn in Norwegen die erste Variante gewählt wurde ist das für die Mehrheit allemal besser als die zweite. Die Zweite, verschärft durch die Agenda 2010 kennen wir ja.
"gläubiger Neocon"
Nein. Meine Kritik richtet(e) sich ja auch nicht an seine wirtschafts- und sozialpoltischen Thesen, sondern daran, dass er sie für Norwegen teilweise umgesetzt sieht.
Lesen Sie nur nochmal den letzten Absatz des Artikels.
"Die Gewinne sollten zu denen gehen, die sie am meisten brauchen."
Klingt gut.Das geschieht aber leider weder in Norwegen noch global. Hat Moene auch Ideen, wie man das erreicht? Seine von vielen "Linken" sicher mitgetragene Forderung:
"Wir brauchen eine "ausgleichende"(sic!) Macht gegen die Kapitaldominanz."
ist, wenn sie einfach nur so in den Diskurswald hineingerufen wird, nicht mehr als naives Wunschdenken, belanglos.
Ausser vereinzelt anerkennenden Beifallskomentaren in Medien/Foren wie diesem: null effekt. Leider.
@Stiller
Es gibt vieles das nicht hinreichend umgesetzt wird/wurde, doch es geht ja auch um die Richtung/Intention und da stimmt wenigsten der Weg.
"Natürlich ist der Reichtum Norwegens ohne sein Öl und Gas nicht erklärbar."
Können Sie dieses "natürlich" etwas näher erläutern? Im Interview bin ich auch stutzig geworden und bedauere, dass an dieser Stelle nicht nachgefragt wurde. Aber vor seinem beruflichen Hintergrund (Seit Jahrzehnten beschäftigt sich Moene mit Fragen der wirtschaftlichen Ungleichheit und hat bereits mit Thomas Piketty zu diesem Thema geforscht.) bin ich eher geneigt ihm zu glauben, was er sagt. Die anderen skandinavischen Länder, die ja nicht über diese Ölvorkommen verfügen, scheinen ihm Recht zu geben. Wir machen uns kein richtiges Bild von den Summen, die hierzulande der Mehrheit der Menschen entzogen werden, um einigen wenigen als leistungsloses Einkommen zur Verfügung zu stehen.
Zustimmung zu Deinen (insbesondere) letzten zwei Sätzen. Aber neben der glücklichen, oder besser: unverschämt gut gestellten Mehrheit gibt es eben auch die, welche nur staunend dem (in Bezug zum ökolgischen Fußabdruck asozialen!) Konsumverhalten dieser Mehrheit zusehen können. Und ein paar "Mini-Oligarchen" gibt es hier auch.
Ob ich dieses «natürlich» näher erläutern kann?
Natürlich. Ich versuchs mal.
In der Öl- und Gaswirtschaft arbeiten ca. 250.000 Menschen, jeder achte der gut und sehr gut bezahlten Arbeitsplätze hängt davon ab.
Ein (z.B.) (und) (zugegebenermassen harter) Job auf einer Plattform wird mit viel Freizeitausgleich und Pi mal Daumen ungefähr 4500 - 5000 EUR entlohnt. Netto!
Das und wie diese Einkommen insbesondere die Binnennachfrage ankurbeln , dürfte klar sein.
Die Hälfte der norwegischen Exporteinkünfte und ein Fünftel der industriellen Wertschöpfung kommen aus diesem Bereich.
Das ist aber nur die Hälfte der Antwort. Dieser Reichtum kommt den vielen zu gute. Wo bleiben unsere Einkünfte als Exportweltmeister? Warum werden die nicht in ähnlichem Maße verteilt wie in skandinavischen Ländern? Warum gehen die nicht in die Binnennachfrage? Hat vielleicht der überbordende Billiglohnsektor in Deutschland etwas mit dem Exporterfolg zu tun? Wären Löhne wie auf norwegischen Ölplattformen in der deutschen Industrie nicht auch flächendeckend machbar. Freilich bliebe dann nicht so viel für leistungsloses Einkommen übrig. Sie können den Ölreichtum rausrechnen, indem Sie Schweden, Island oder Finnland betrachten.
"Hälfte der Antwort"
Nun, erstens geht es ja hier eigentlich nur um Norwegen und zweitens kann ich auf Grund eigener Erfahrung und Anschauung nur hierzu etwas beitragen.
Suchen Sie mal nach einer vor vier Jahren hier im Feitag veröffentlichten Polemik:
"Die ganze Wahrheit über Skandinavien."
Sehr aufschlussreich und - wenn es nicht andersrum auch so traurig wäre - recht amüsant.
"Hälfte der Antwort"
Nun, erstens geht es ja hier eigentlich nur um Norwegen und zweitens kann ich auf Grund eigener Erfahrung und Anschauung nur hierzu etwas beitragen.
Suchen Sie mal nach einer vor vier Jahren hier im Feitag veröffentlichten Polemik:
"Die ganze Wahrheit über Skandinavien."
Sehr aufschlussreich und - wenn es nicht andersrum auch so traurig wäre - recht amüsant.
schön dass es noch vernünftige Leute gibt, gibt's die auch in der EU? vielleicht sogar hierzulande? Liest das einer in der SPD? Versteht das einer von denen ? Kann sich das einer von den Sozen überhaupt vorstellen? Und i.G. sollte das gar nicht diskutiert werden müssen, das sollte selbstverständlich sein. Höchste Zeit unsere verkümmerte Unterwerfungsbereitschaft zu überwinden
schön dass es noch vernünftige Leute gibt, gibt's die auch in der EU? vielleicht sogar hierzulande? Liest das einer in der SPD? Versteht das einer von denen ? Kann sich das einer von den Sozen überhaupt vorstellen? Und i.G. sollte das gar nicht diskutiert werden müssen, das sollte selbstverständlich sein. Höchste Zeit unsere verkümmerte Unterwerfungsbereitschaft zu überwinden.
besonders @ Stiller, @ Grenzpunkt o
Die Wahrheit liegt natürlich dazwischen. Skandinavien hat eine auffallend egalitäre Kultur. Daher ist die Frauenemanzipation weiter vorangekommen als im restlichen Westen. Zumindest von Schweden weiß ich, daß viele Hochbegabte darauf verzichten, sich durch Leistung aus der Gemeinschaft hervorzuheben, sie finden es angenehmer, als Gleiche in der Masse zu schwimmen. Wahrscheinlich kann man das sozialpsychologisch deuten. Jedenfalls ist Skandinavien der sozialdemokratische Teil des Westens.
Der extreme Sonderweg Norwegens ist selbstverständlich aus der Sonderlage zu erklären. Das Land lädt wie die reichen Ölstaaten in der Wüste durch seine physischen Bedingungen nicht gerade zur Arbeitsimmigration ein, muß daher die Arbeit gut entlohnen – das ist die Bedingung, hier mit Öl Profit zu machen. Und Norwegen ist ein bevölkerungsarmes Land. Aus diesen Gründen hat Norwegen nur als sozialdemokratisches Land die Chance auf eine Behauptung im globalen Kapitalismus.
Und Dänemark nähert sich schon deutlich dem südlicheren kapitalistischen mainstream an, wie noch deutlicher Belgien und die Niederlande.
Zu Moene. Die Frage, gibt es nationale Sonderwege des Kapitalismus, ist durchaus zu bejahen. Es gibt zwar den Systemzwang zum Neoliberalismus, aber auch die Notwendigkeit zu staatlicher Integration. So hat bspw Schweden den Neoliberalismus zum Teil ausgelagert, Ikea verhält sich im Ausland nicht weniger asozial als die Konkurrenten. Und das gilt genauso für Deutschland und andere etwas sozialstaatlicher orientierte Länder. Umgekehrt müssen die Unternehmen brutalerer Staaten bei uns mehr Kreide fressen.
Ich kann Herrn Moene gut verstehen, daß er diesen Sonderstatus der skandinavischen Länder erhalten und ausbauen will, sein Modell eines BGE wäre eine weitere soziale Errungenschaft, ich bin mir allerdings nicht sicher, daß es realisierbar ist. Aber hauptsächlich ist es keine verallgemeinerbare Perspektive, die Länder können nicht alle Norwegen werden, wie die Menschen nicht alle Kapitalisten werden können. Im Gegenteil, Norwegen kann nur existieren, weil der größte Teil des Westens eher amerikanisch ist, und auch die norwegischen Kapitalisten müssen sich behaupten, das setzt einer Umverteilung enge Grenzen. Und ohne das Öl wird die norwegische Lösung der sozialen Frage massiv infragegestellt.
Ich halte die oben vertetene "Umverteilungsthese" weiterhin für falsch und irreführend.
Der rohstoffbedingte (und eben nicht umverteilungsbedingte!) Reichtum wurde und wird nicht "umverteilt", er wird aber gerechter und flächendeckend besser VERTEILT als es in anderen Ländern geschieht.
"…gibt es nationale Sonderwege des Kapitalismus, ist durchaus zu bejahen."
In dem interessanten Buch "Was macht uns schlauer?" von John Brockman habe ich gerade den Essay "Pfadabhängigkeit" von John McWhorter gelesen. Ein Zustand sollte in Betrachtung seines historischen Zustandekommens analysiert werden. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, haben alle skandinavischen Länder seit dem 2. Weltkrieg eine nachholende Modernisierung absolviert. Es gab dort vorher keine feudalen Strukturen mit hoher Ungleichheit und auch danach konnte sich, weil die Gesellschaft nicht daran gewöhnt war, keine Klasse von Besitzenden aufbauen, die exorbitant hohe Einkommen generiert. Ebenso gibt es keine Großbanken, die solche Ungleichheit fördern. Der Reichtum des Landes, seien es Bodenschätze oder erarbeitete Werte, wird relativ gleichmäßig verteilt. Damit vermeidet man Verwerfungen und motiviert die Massen der Menschen ganz anders. Norwegens Öl kommt eben nicht einigen wenigen zu Gute, wie in den Golfstaaten, in der Ukraine oder Russland. Es ist natürlich ein Faktor, aber nicht der entscheidende. Island ist dafür ein sehr gutes Beispiel. Mit dem Fischfang reich geworden, überholt der Tourismus die Einkommen, die daraus generiert werden und kommt vielen zu Gute. Deshalb glaube ich nicht, dass das Ende des Öls zu den von Ihnen befürchteten Auswirkungen führen wird. Die ticken dort oben anders. Man sah es in Island 2008.
"…er wird aber gerechter und flächendeckend besser VERTEILT als es in anderen Ländern geschieht…"
Das ist genau der Punkt, auf den Moene aus meiner Sicht hinaus will und der den Unterschied zu D deutlich macht. Aber auch den Unterschied zur Ukraine oder zu den Golfmonarchien oder Russland.