Nothilfe aus dem Hause Schily

Nach dem Schuldspruch des Frankfurter Landgerichts Hebelt ein Ministerialbeamter das Folterverbot aus?

"Wehret den Anfängen, wehret den Anfängen", rief am Sonntagabend bei Christiansen der Bundesinnenminister voll nahezu echter Leidenschaft aus. Man diskutierte über die Türkei, und Otto Schily verlangte, mit "besonderer Energie und Schärfe gegen bestimmte Personen" vorzugehen, die gegen das gesetzliche "Folterverbot in der Türkei" verstießen. Dabei fiel ihm ein, es sei "um so schlimmer", dass auch bei uns in Deutschland eine Debatte beginne, Folter wieder zuzulassen. "Wenn ich lese, in einem Grundgesetzkommentar, Folter könne eine Form der Nothilfe sein, das ist schon erschreckend", erregte sich Schily, "das finde ich schlimm".

Immerhin hätte der Bundesinnenminister etwas tun können, um einen solch verfassungsfeindlichen Kommentar ganz einfach zu verhindern. Denn der Kommentator untersteht Schily: es ist der Ministerialrat Hans Hoffmann aus seinem Bundesinnenministerium. Darauf machte zwar nicht Schily am Sonntag, sondern die Frankfurter Allgemeine bereits am Donnerstag aufmerksam.

Dieser Ministerialbeamte formulierte einen Freispruch für die Folter im gerade erschienenen Luchterhand-Kommentar zum Grundgesetz, bevor noch das Frankfurter Landgericht im Fall des Polizeivizepräsidenten Daschner sein mildes, aber unzweideutiges Urteil gegen die Folter fällte.

"Der bewährte einbändige Praktiker-Kommentar" informiere - das erklärt der Luchterhand-Verlag zur grundlegend neubearbeiteten 10. Auflage - "anhand der Rechtsprechung und ausgewählter verfassungsrechtlicher Literatur verständlich und übersichtlich über den aktuellen Stand des Verfassungsrechts". Er sei "für praktizierende wie studierende Juristen unverzichtbar". Schilys Ministerialbeamter nutzte den populären Fall um für die Rechtspraxis in Deutschland das absolute Verbot der Folter aufzuheben. "In der Androhung von Gewalt" so schrieb der Ministerialrat zum Thema "Folterproblematik" auf Seite 179 des Grundgesetzkommentars, in der Androhung von Gewalt sei im erwähnten Fall "eine Nothilfehandlung zur Rettung des Kindes zu sehen, die die Androhung des Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rechtfertigt, wenn kein anderes Mittel zur Verfügung steht, um das Leben des Kindes zu retten".

Grundgesetzkommentator Hofmann hat keinerlei Namen in der juristischen Wissenschaft. Er wurde zur Mitarbeit am Grundgesetzkommentar herangezogen, offensichtlich nur wegen seiner Eigenschaft als Ministerialrat in Schilys Innenministerium. Dem Ministerium, dem der besondere Schutz unserer Verfassung anvertraut ist.

Ist der sonst so durchsetzungsfähige Schily machtlos gegen die Umtriebe in seinem Ministerium? Warum lässt er es geschehen, dass aus seinem Haus eine andere Meinung zu einer Rechtmäßigkeit von Folter dringt als die, die er selbst in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz zur Zeit noch öffentlich äußert?

Der Luchterhand-Verlag aber, der diesen allerneuesten Grundgesetzkommentator auf den Markt brachte, wäre gut beraten, wenn er nach dem Frankfurter Urteil gegen die Folter dieses Ministerialbeamten-Werk ganz schnell aus dem Verkehr zieht, bevor es für die praktizierenden wie studierenden Juristen tatsächlich unverzichtbar werden könnte.


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