Ach, vier Wochen waren es vielleicht, dass man die alte Sozialdemokratie noch einmal ein bisschen miterleben konnte. Damals im Oktober 2009, nach der desaströsen Niederlage bei den Bundestagswahlen. Die zuvor so lethargische Partei, die alles hinnahm, was von oben kam, schien sich aufzubäumen. In etlichen Ortsvereinsversammlungen brodelte die Stimmung. Redner bezichtigten sich selbst der langjährigen Passivität und devoten Anpassung gegenüber einer falschen Regierungspolitik. Doch hätte in der Partei zuletzt ein Klima der Angst geherrscht, angesichts von Drohungen und Einschüchterungen aus der Parteispitze im Willy-Brandt-Haus.
Die neue Parteiführung um den Vorsitzenden Sigmar Gabriel gab sich anschlussfähig. Auch hier wurde nun in reuiger Pose d
ger Pose davon geredet, dass man den eigenen Mitgliedern und den Bürgern im Land aufmerksamer zuhören, überhaupt mehr Teilhabe zulassen müsse. Man richtete „Zukunftswerkstätten“ ein, schuf eine Kommission „Demokratie und Freiheit: Bürgergesellschaft und Beteiligung in Deutschland“. Hat man jemals etwas von Ergebnissen dieser Kommission gehört? Hat jemals ein prominenter Sozialdemokrat deren Treiben, das Organisationsparteien unmittelbar nach heftigen Niederlagen sich regelmäßig und folgenlos zu verordnen pflegen, auch nur eine Sekunde ernst genommen?Spätestens dann, wenn die ersten Erfolge bei Landtagswahlen zu verzeichnen sind, ist es mit dem „Selbsthilfekram“ – wie die hartgesottenen Parteiprofis aus dem Berliner Inner Circle dergleichen Kommissionsbetriebsamkeit sarkastisch charakterisieren – sowieso vorbei: Dummerweise aber hat es immer einige gutgläubige Parteimitglieder oder Bürger gegeben, die der eifrigen Partizipationsrhetorik Glauben geschenkt haben, auf den zynischen Umgang damit aber ernüchtert und erbost reagieren. Kurz: am Ende der temporär-taktischen Teilhabeappelle stehen wachsende Gruppen von enttäuschten Bürgern, die hernach mit Parteien nichts mehr zu tun haben wollen. Es ist schwer, solche Parteiverdrossenen, mit pädagogisch erigiertem Zeigefinger zu rügen und sie weiter an ihre demokratische Pflicht engagierten Mitwirkens zu erinnern.Steinmeier ist wie MerkelAlso Steinbrück wird Kandidat. So geht es über die Ticker. Nun mag durchaus einiges für diese Personalie sprechen. Eine Partei muss schon vor Beginn eines Wahlkampfes signalisieren, dass sie an einen Sieg irgendwie glaubt. Mit Steinmeier wäre das nicht gelungen, mit Steinbrück ist der Eindruck zumindest eine Zeitlang aufrecht zu erhalten. Auch mag er vom Temperament und von seiner Kreativität her eine erkennbare Alternative zur Kanzlerin bilden, während Steinmeier in seiner vorsichtigen, zurückhaltenden, sachlichen Manier Angela Merkel eher ähnelt als kontrastiert. Auch mag man Steinbrück die Elastizität und Härte zutrauen, im September 2013 eine unkonventionelle und schwierige Breitbandkoalition mit ihm als Kanzler zu wagen, statt sich mit einer Juniorpartnerschaft zu begnügen.Aber darum geht es nicht. Entscheidend ist, dass die Sozialdemokraten vor Ort, die den Wahlkampf in den Niederungen täglich zu führen haben, in der ganzen Personalie nie gefragt wurden. Zeitweise brachte Gabriel zwar gar Referenden ins Spiel in denen selbst Nicht-Mitglieder einbezogen werden sollten. Letztlich durchgesetzt aber hat sich, natürlich, die oligarchische Lösung. Noch schlimmer: die oligarchische Ratifizierung des medial-demoskopischen Drucks von außen. Denn der Ruf nach Steinbrück kam nicht wie ein Donnerschlag gleichsam unwiderstehlich aus der Partei. Steinbrück ist nicht durch innerparteiliche Wahlen zu wesentlichen Funktionen für die Repräsentation der Sozialdemokraten in Deutschland gewählt worden. Was legitimiert ihn dann zum Spitzenkandidaten? Die patriarchalische Gunst eines greisen Ex-Kanzlers? Die zwischenzeitliche Hätschelei einer Pressemehrheit? Die Passion für das Schachspiel?Eine Kür ohne RegelnAch, es ist schon merkwürdig, wie sämtliche Parteien an diese Kandidatenfragen herangehen. Es existieren nirgendwo verbindliche, vernünftige, dem Niveau einer aufgeklärten Demokratie angemessene Verfahrensregeln, auch keine im Diskurs festgehaltene politische Kriterien für die Auswahl der Spitzenfiguren in Wahlkampfzeiten. Die Parteimitglieder unterhalb der fünf bis höchstens zehn Entscheider geben immer mehr Souveränität ab, entmächtigen sich selbst, wenn sie dergleichen oligarchische Oktrois dulden.Partizipationsforscher wissen, dass Bürger nur dann aktiv mitmischen, wenn sie dabei Wirksamkeit erfahren. Ohnmacht hingegen erzeugt Resignation, Gleichgültigkeit, Indifferenz. Demokratische Parteien müssten also, um ihrer eigenen Existenz und Zukunft willen, tunlichst darauf achten, dass zumindest ihr Parteivolk in zentralen Personalfragen nicht ohne Wirkung bleibt.