Als Europa im 16. Jahrhundert mit China in Kontakt kam, berichteten die Vortrupps an den Höfen: Es lebten dort Menschen „unserer Art“, „hellhäutig“ und „den Deutschen nicht unähnlich“, wie des Kaisers Geheimschreiber Transylvanus formulierte. Dass dort eine „gelbe Rasse“ hause, die Leute also ganz anders seien als wir – diese Ideen kamen erst viel später auf. Und zwar genau dann, als die Imperien des alten Kontinents im Fernen Osten handfeste Interessen entwickelten, wie auch die Mittel, diese durchzusetzen.
Gewiss ist das weit hergeholt dafür, heute einen Blick auf die Ukraine zu werfen. Doch eines lässt sich verallgemeinern: Rassismus, Ethno-Nationalismus und ähnliche Formen des „Wir gegen die“ wurzeln nicht in sich selbst. Nur im Rahmen übergeordneter politischer Konflikte wird aus Nachbarschaft ein „Othering“ en gros. Wie schnell das gehen kann, hat sich im früheren Jugoslawien gezeigt. Und was entsteht, wenn man ein einmal etabliertes Gegeneinander solcher Kollektive durch Repräsentationsorgane und Proporze zu befrieden versucht, ohne den Hintergrundkonflikt zu entschärfen, lässt sich gleichfalls dort studieren, wo sich einmal Titos „Bundesrepublik“ befand: nämlich gerade kein funktionierendes föderales Gemeinwesen, das Befindlichkeiten ausgleicht. Sondern ein dysfunktionales Gebilde wie Bosnien-Herzegowina, wo all diese Organe der Gruppenvertretung nur dazu benutzt werden, einander zu belauern und zu blockieren.
Wir sind Europa – ihr seid Asien
Haben Putins Raketen die russische Bevölkerung der Ukraine nun ukrainisiert? Oder gibt es noch klammheimliche Freude, etwa dort im Landesosten, wo größere Kämpfe ausgeblieben sind? Das weiß niemand so genau. Klarheit besteht aber über jenen Hintergrundkonflikt, an dem sich 2014 die Spaltung vollzog. Er heißt Westbindung – und besteht nicht nur im politischen Streben nach einer NATO-Mitgliedschaft, sondern hat auch eine kulturelle Seite. Bereits auf dem Maidan war die Grenze zwischen dem Protest gegen ein Regime „à la russe“ und der Anfeindung des Russischen fließend. In dem Ruf „Wir sind Europa“ hörten in Donezk oder auf der Krim nicht wenige den Subtext „Und ihr seid Asien“. Seither und jetzt natürlich erst recht besteht der Kern des ukrainischen Nationalgefühls in der Abgrenzung von Russland. Es ist schwer, sich unter diesen Bedingungen einen funktionierenden Föderalismus vorzustellen. Und fast unmöglich wäre das, wenn sich das Land in einen NATO-Frontstaat verwandelte, womit ja auch eine gewisse ideologische Mobilisierung einherginge.
Nun scheinen sich die Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau um eine bündnispolitische Neutralitätserklärung der Ukraine zu drehen. Sollte es – unter wessen und welchen Garantien auch immer – dazu kommen, rückt eine Lösung des Konflikts in den Bereich des Vorstellbaren, welche die Ukraine nicht ganz verstümmelt. Die Krim wird Russland auch im Gegenzug für einen NATO-Verzicht kaum zurückgeben. Die „Volksrepubliken“ hingegen hat Putin zwar anerkannt, aber noch nicht „aufgenommen“. Zumindest theoretisch könnte er die dortigen Regierungen noch immer dazu ermuntern, einer föderaleren Ukraine wieder beizutreten.
Alles an diesem Krieg ist bitter, auch eine solche Einigung wäre es. Hätte Putin die Invasion befohlen, wenn Kiew im Januar erklärt hätte, nun doch nicht in die NATO zu wollen – oder wenn die NATO einen Aufnahmestopp verkündet hätte? Hätte man etwas Derartiges nicht ohne Panzer, Bomben und Tote haben können? Nun gibt es das alles, und es klingt falsch, den Angriff zu belohnen. Doch müssen wir wieder in Kategorien des Kalten Krieges denken. Und dessen Geschichte lehrt zweierlei: Erstens hat Moskau die Neutralität Finnlands und Österreichs seinerzeit zwar auch erzwungen, dann aber respektiert – obwohl damals die UdSSR ungleich stärker war als das Russland von heute. Und zweitens folgten Entspannungsphasen auch damals stets herbe Eskalationen.
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Kommentare 8
Neutralität der Ukraine, ein Ende der Hochrüstung gegen Russland und Teil-Autonomie für die Separatisten war und ist das einzige was Putin interessiert! Das letztere ist seit 8 (!) Jahren durch Minsk II beschlossen...nur weigert sich Kiev das nach wie vor umzusetzen.
"Die „Volksrepubliken“ hingegen hat Putin zwar anerkannt, aber noch nicht „aufgenommen“."
Putin wird diese auch nicht "aufnehmen", wenn Kiev ihn nicht militärisch weiter dazu zwingt. Die Separatisten wollten ursprünglich nur eine eigene Regionalregierung... sowie eigene Sprache an ihren Schulen usw.
Die Separatisten wollten sich niemals komplett von der Ukraine abspalten, die geben sich nur mit der Putschregierung in Kiew, die sie durch Gesetze und Beschuss unterdrückt nicht zufrieden. Warum sollten sie auch....Minderheiten und deren Rechte sollte man respektieren oder sie sollen ihr eigenen "Ding" machen dürfen. Die eigene Regierung hat es verpennt und auf Krieg gesetzt...na herzlichen Glückwunsch.
"Haben Putins Raketen die russische Bevölkerung der Ukraine nun ukrainisiert? Oder gibt es noch klammheimliche Freude, etwa dort im Landesosten, wo größere Kämpfe ausgeblieben sind?"
man weiß gar nicht, ist mit "landesosten" die donbass-region gemeint, die nach 8 jahren bürgerkrieg halb entvölkert 14000 tote zu beklagen hat und (donetzk) noch immer bombardiert wird (von der ukraine)? oder der landesosten, wo gerade die heftigsten kämpfe stattfinden? egal wie herum, die aussage ist doch wohl ziemlich unsinnig.
So ist es.
Statt Neutralität einfach Neutralisierung, Beseitigung. Beitritt zur RF als "Russia Minor". Ist eben ein anderes "ante", das von vor 1917.
Stimme voll zu und ergänze dass ich die Ukraine nur dann in der EU sehen will wenn sie tatsächlich alle Voraussetzungen erfüllt und zwar nicht nur auf dem Papier sondern in Praxis bei gleichzeitiger (!!!) Perspektive für Russlands EU Assoziierung!
"dass ich die Ukraine nur dann in der EU sehen will wenn sie tatsächlich alle Voraussetzungen erfüllt".
na dann viel Erfolg...das Land ist ein finanzielles Fass ohne Boden...der Krieg ist lange nicht das einzige Problem.
Das Hauptproblem sind die korrupten Oligarchen, welche regieren und das Land seit Dekaden in den Abgrund reiten. Wenn wir die aufnehmen, dann gute Nacht.
Transparencey International titelte im Januar "No Progress" zum Thema Korruption in der Ukraine. Man stagniert auf Platz 122 von 180 Ländern...in der nähe von Swaziland, Zambia, Nepal, Ägypten...
Die "demokratische Ukraine" (lol)... ist bei dem Thema auf dem Stand einer Banananrepublik, egal welcher Oligarch da gerade das sagen hat.
Das der "Kriegsheld" Selenskij in den Panama Papers aufgetaucht ist, wird nur zu gern verschwiegen...seit sein Bild durch jedes Parlament gestreamt wird, wo er um Waffen und Geld bettelt.
Ich wette, wenn der Krieg vorbei ist, verdient sich da der ein oder andere eine goldene Nase, zweigt Geld für seinen Clan ab und die Städte bleiben ewig kaputt. So passierte es in Nepal nach dem Erdbeben...und das liegt ja wie gesagt auf dem gleichen Level wie die Ukraine.
Warum sollte die Krim überhaupt wem gehören?Insbesondere, wo es weder Krimrussen noch Krimukrainer gibt, dafür aber Krimgriechen, die von den Krimtataren vertrieben und von Katerina, die Große, gerettet wurden und so wie's aussieht, in Marioupolis(*) und all den anderen Orten, die die Medien nur deshalb nicht in ihrem griechischen Original schreiben, weil die Angst überwiegt, daß dadurch wahlentscheidende Greco-Americans Biden dazu zwingen könnten, endlich das Morden zu stoppen.Und das Morden läuft nur vordergründig als Nation gegen Nation, drohende Hungersnöte in Afrika, der Spritpreis usw. zeigen eindeutig, daß es vor allem um Rohstoffe geht und darum, aus der illegalen Besetzung Amerikas zu profitieren: Die Besatzer sprechen immernoch ihre widerliche Sprache des Weißen Mannes, beten zu einem nicht zuständigen Gott, der Amerikas Existenz allwissend nicht mal erahnte, und verbraten "Gesetze", am liebsten auf der Insel der Lenape Manhattan als Verschwörung der Unnatur Staat in Form der UNO.Das einzig geile an Amerika ist, daß es dort seit Obama keine Rassistenhandies mehr gibt, der Rest der Welt mordet weiter millionenfach, damit sein sinnloser digitaler Plunder keine faire Million kostet.Ein Weltkrieg ist also eh das Beste, was passieren kann, nicht nur fürs Klima und sei es auch nur, wenn dann Handies nicht mehr Funz spielen können, die machen nach 20 Jahren ja eh dement wie das Internet, also macht es endlich weg.Ach warte, die Amis wollen Cyperwar ja als Bündnisfall.Von Pustis Schergen abgeschlachtet zu werden, ist kein "Krieg", Krieg wäre es erst dann, wenn Raketen und Bomber genauso feige Richtung Moskau fliegen würden wie andersrum.Eine No-Fly-Zone wirds einfach deshalb nicht geben, weil die Herrschaft im Bordell auf der Yacht keinen mehr hoch kriegt, dafür aber, wenn sie feige Menschen bombardiert, die nicht mal Flugabwehr haben, überall auf der Welt seit Guernika und am liebsten mit dem Picasso dazu an der Wand im Arbeitszimmer.Das ist kein Krieg, wer das Wort Krieg für diesen Polenüberfall verwendet, spielt das Spiel von NATO und Russland: Die Teilung der Ukraine in Ost und West, inklusive Geberkonferenzen in China und den "United States of Filthy Squatters" zwecks Wiederaufbau.Und ganz nebenbei hat man auch noch das Problem gelöst, was mit Corona zu explodieren drohte: Krise, die wurde nämlich nur geschickt verschoben und wo sie jetzt durchschlägt, schiebt mans dem Überfall und den Sanktionen in die Schuhe und logisherweise wird es Gewinner geben, fette Gewinner wie der homophobe Teslarassist, der seine Satelliten freundlich über die Ukraine installiert, während schlaue Kämpfer längst auf analog umschwenken und er seine Werke außerhalb der USA nur deshalb baut, weil dort das Koltan aus dem Kongo nicht verboten ist; ein Verbot, daß ein Kumpel von Trump übrigens kippen will, schliesslich sei es seine eigene Entscheidung, ob er ein Bluthandy kauft oder nicht und damit dem 1. Verfassungszusatz zu wider.(*) Dort leben nicht bloß Krimgriechen, sondern auch Pontosgriechen und mit ihrer Vertreibung und Auslöschung erlebt ihr Kollektiv jetzt zum insgesamt 3. Mal Vertreibung und Völkermord und möglichweise ist es genau das, was die Wende bringt, denn als letzter Konsul flüchtete jetzt auch der griechische aus Mario(u)poli und oben drauf auf die Rechnung kommt auch noch der schon länger schwellende Streit der orthodoxen Kirchen und ein Annäherung von Athen und Ankara, denn auch 80 Türken wurden fast in ihrer Moschee verbrannt.Mariupol ist vor allem ein Opfer der Rache, denn 2014 fror dort die Front ein, u.a. weil die griechischen Viertel und Dörfer nicht mehr so ganz durchblickten und Barrikaden gegen beide Parteien bauen mußten, während griechische F-16 in Rumänien einsatzbereit standen. Sollte Mariupol aus der Ukraine rausgerissen werden, bedeutet das 100 Jahre Feindschaft, aber das bedeutet Politik und Medien im Westen rein gar nichts, sie sind nicht mal in der Lage zu sehen, daß vor 100 Jahren Russen, Ukrainer und Griechen zwischen 1918 und 1921 zusammen in echter Freiheit unter der ausgewaschenen Schwarzen Fahne der Anarchie lebten.
Herr Wolffsohn spricht von einer Verzahnung von Ukraine und Russland und Herr Schäfer empfiehlt den ukrainischen Föderalismus.
Wie soll ich das verstehen? Als Ponyhof-Wunschtraum einer friedlichen Welt oder als Realitätsverlust? Dieser blutige russische Vernichtungsangriffskrieg wird die Diplomatie auf Jahrzehnte (solange Putin es macht) schwer beeinträchtigen. Wass soll denn da verzahnt werden? Die Verneinung der ukrainischen Souveränität durch Russland mit seinem völkischen Anspruch, dass Moskau das natürliche Zentrum der slawischen Stämme sei? Die zerstörten Städte mit blühenden Landschaften?
Föderalismus der Ukraine? Ich wäre dagegen, wenn Putin z.B. bayrischer Ministerpräsident bzw. der Hintermann einer bayrischen Strohpuppe werden sollte, analog sehen es wohl auch die Menschen in der Ukraine.
Traumtänzerei macht sich besser in poetischer Form...