Nur Caliparis Tod ist sicher

"Friendly fire" in Bagdad Giuliana Sgrena glaubt, dass die Amerikaner ihre Rückkehr verhindern wollten - Italiens Regierung winkt pflichtgemäß ab

Rom ist noch immer aufgewühlt, die Erklärungen aus Washington haben bisher der Regierung von Silvio Berlusconi kaum Luft verschafft. Was auch die Gründe für den Feuerüberfall von US-Soldaten auf den Wagen mit der Journalistin Giuliana Sgrena und dem Geheimdienstoffizier Nicola Calipari gewesen sein mögen - was die US-Regierung bisher kundtut, erhärtet eher den Verdacht, dass auf der Straße zum Flughafen von Bagdad ein Exempel statuiert werden sollte.

Von Sgrena selbst könnte schon bald mehr über denkbare Hintergründe zu hören sein. Es gibt in ihrem von der Zeitung Il Manifesto abgedruckten Report über die Entführung und den Tod Caliparis den Satz: "Den Rest dessen, was ich erlebt habe, kann ich noch nicht erzählen." Zuvor hatte sie gegenüber dem Informationskanal Sky 24 ihre Auffassung erhärtet: "Alle Welt weiß, dass die Amerikaner keine Verhandlungen wollen, um die Freilassung von Geiseln im Irak zu erreichen. Ich wüsste nicht, warum ich sonst zur Zielscheibe ihrer Salven hätte werden sollen. Sie wollten nicht, dass ich zurückkehre."

Dem widerspricht der italienische Geheimdienst SISMI - einen bewusst gelegten Hinterhalt habe es auf keinen Fall gegeben. Il Messagero zitiert einen SISMI-Offiziellen, die Amerikaner würden niemals aus den von Sgrena geschilderten Motiven heraus den Offizier eines italienischen Spezialdienstes mutwillig töten und damit riskieren, dass die Kooperation zwischen Amerikanern und Italienern im Irak Schaden nimmt. Der SISMI-Mann wörtlich: "Hätten sie die Journalistin wirklich töten wollen, wäre diese Drecksarbeit von ihren irakischen Untergebenen erledigt worden."

Inzwischen gibt die Regierung Berlusconi zu verstehen, das US-Oberkommando in Bagdad sei stets über die Verhandlungen mit den Entführern von Sgrena im Bilde gewesen. Es habe ein ähnliches Verfahren gegeben, wie schon 2004 bei den beiden humanitären Helferinnen Simona Torretta und Simona Pari. Alleingänge seien die sichere Gewähr dafür, dass derartige Operation scheitern. Auch wenn das plausibel klingt, die Frage bleibt: Wenn alles so perfekt koordiniert war, warum dann der Feuerüberfall auf den Wagen von Sgrena. Weshalb eine Attacke von dieser Wucht, bei der 400 Schüsse abgegeben wurden? Ein deutliches Indiz dafür, dass es keine Überlebenden geben sollte. Oder war der Kugelhagel nur Camouflage und hat stattdessen ein US-Scharfschütze Nicola Calipari erschossen, um alle zu warnen, die künftig einen Verhandlungsfrieden mit irakischen Kidnappern schließen wollen? War es wirklich Zufall, dass allein der Geheimdienstoffizier tödlich getroffen wurde, während Sgrena trotz der amerikanischen Feuerkraft mit relativ leichten Verletzungen davon kam?

Der Fahrer des Sgrena-Wagens, ebenfalls ein Mitarbeiter des SISMI, hat zu Protokoll gegeben, Nicola Calipari habe während der Fahrt zum Flughafen mit der Zentrale in Rom und der italienischen Botschaft in Bagdad telefoniert und beiden mitgeteilt, die Route sei abgestimmt. Auch der amerikanische Verbindungsoffizier kenne sie, der Giuliana Sgrena auf dem Airport in Empfang nehmen und zur Maschine bringen werde. "Dann schaltete ich unterwegs die Scheinwerfer an, in diesem Augenblick fielen Schüsse. Innerhalb von zehn Sekunden war alles vorbei." Er habe noch Rom informiert, was passiert sei, bevor US-Soldaten den Wagen belagert und ihm das Mobiltelefon abgenommen hätten.

Dass Calipari ein Fehler unterlief, der den geplanten Ablauf der Befreiung von Sgrena gestört hat, ist kaum anzunehmen. Er war mehrfach mit heiklen Missionen betraut, sowohl zwischen 1998 und 2002 im Immigrations-Office des Innenministeriums, als auch während der letzten beiden Jahre als Geheimdienst-Offizier. Auch die Berichte von Giuliana Sgrena erlauben in dieser Hinsicht - bisher - keinerlei Aufschluss. In ihren Meine Wahrheit überschriebenen Erinnerungen über die Wochen der Geiselhaft schreibt sie in Il Manifesto: "Ich hatte gelernt, wie die jeweilige Situation, in der ich mich befand, am besten zu erfassen war. Ich orientierte mich einfach an der Körpersprache meiner beiden Wächter. Einer von ihnen schien in der letzten Woche unglaublich vital. Ich fragte ihn, ob seine Stimmung damit zu tun habe, dass ich bald gehen dürfe oder noch für lange Zeit bleiben müsse. Und er antwortete: ›Ich weiß nur, dass du gehen wirst. Aber ich weiß nicht, wann.‹ Wenig später, als förmlich zu spüren war, dass irgendetwas geschehen würde, kamen die beiden wieder und gaben sich ausgesprochen aufgeräumt. Sie lachten und sagten: ›Bravo, du fliegst nach Rom‹. In diesem Moment empfand ich zweierlei, die Hoffnung auf Befreiung und ein Gefühl lähmender Angst. Ich war mir im Klaren darüber, dass der schwierigste Augenblick meiner Rückkehr in die Freiheit bevorstand. Vor mir tat sich ein Abgrund der Ungewissheit auf. Er wurde noch größer, als mir meine beiden Bewacher erklärten: ›Wir werden dich begleiten, aber niemand darf dich sehen. Wenn die Amerikaner Wind davon kriegen, werden sie sofort angreifen.‹ Ich wurde dann in einem Auto weggebracht, man hatte mir zuvor die Augen verbunden. Irgendwann hörte ich einen Helikopter in sehr geringer Höhe fliegen und hätte es vorgezogen, von diesem Lärm nicht derart erschüttert zu werden. ›Du musst keine Angst haben, sie kommen, um dich zu holen‹, schrie mir einer meiner Bewacher auf Arabisch ins Ohr, der zuvor immer in französisch oder in einem ziemlich linkischen Englisch mit mir gesprochen hatte. Dann ließen sie mich aussteigen und eine freundliche Stimme drang an mein Ohr: ›Giuliana, Giuliana, ich bin Nicola. Ich habe mit Gabriele Polo (Chefredakteur von Il Manifesto, die Red.) gesprochen, du bist frei ...‹".


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