Nach dem Tod ihres Mannes 1943 verkaufte Marija Oktjabrskaja ihr gesamtes Privatvermögen, um mit 50.000 Rubel den Kauf eines Panzers zu unterstützen. Dann meldete sie sich freiwillig zum Militär. Die gelernte Telegrafistin ließ sich zur Panzerkommandantin ausbilden und wurde schließlich bei Kämpfen um Smolensk und in Weißrussland eingesetzt. Im Januar 1944 wurde sie schwer verwundet, zwei Monate später starb sie in einem Smolensker Lazarett.
Marija Oktjabrskaja war eine von vielen. Rund 800.000 Frauen haben sich zwischen 1941 und 45 als Freiwillige der Roten Armee angeschlossen. Zum ersten Mal wird in einer Ausstellung in Berlin der Kriegsalltag dieser Frauen in den Vordergrund gerückt. Mittels Fotos und Zeitzeugnissen versuchen die Ausstellungsm
stellungsmacherinnen genau aufzuzeigen, was diese Frauen motivierte, in den Krieg zu ziehen, wo sie eingesetzt wurden, wann sie mit der Waffe kämpften, wie viele gefallen sind. Den Mythen, die in der Sowjetunion um sie gerankt wurden, und den Schreckensbildern, die von den Rotarmistinnen bei den Nazitruppen existierten, wird die Realität entgegengesetzt.Bei den deutschen Truppen galten die Frauen in der Roten Armee als »Flintenweiber«, sie wurden gnadenlos ermordet, fielen sie in deren Hände. Von den gefangen genommenen Soldatinnen wurden Fotos gemacht, die im damaligen Deutschen Reich als abschreckendes Beispiel in den Zeitungen abgedruckt wurden. Das stalinistische Frauenbild der dreißiger Jahre sah den Platz der Sowjetbürgerin vor allem im familiären Umfeld. Doch im Krieg kippten alle Rollenbilder. Die Mehrzahl der Frauen wurden - wie in den anderen Krieg führenden Ländern auch - in Industrie und Landwirtschaft eingesetzt, in der bald kein einziger Mann mehr zu finden war. Schließlich, kurz nach Kriegsbeginn, rückten sie in alle Bereiche der Armee vor. Aber eben erst, als auch hier ein akuter Männermangel herrschte. Trotzdem war in der Heldenverehrung der Nachkriegszeit kein Platz für sie. Erst spät wurde eine Minderheit - die Pilotinnen und die Scharfschützinnen - zu Heldinnen stilisiert. Die Realität der Frontfrauen mit all ihrem Schrecken blieb ausgeblendet.Viele junge Frauen wollten in der damaligen Sowjetunion am Kampf gegen die deutschen Angreifer teilnehmen. Die Mehrheit, über eine halbe Millionen, wurde im Sanitätsdienst eingesetzt, in den Feldlazaretten und in den Hospitälern im Hinterland, da der Mangel an Sanitätspersonal eines der größten Probleme der Roten Armee war. Oftmals unter Lebensgefahr haben die Frauen schwerverletzte Soldaten direkt aus den Kampfhandlungen heraus geborgen. Auch die Hälfte der Ärzte im Militärdienst waren Frauen. Eine große Zahl hat außerdem im Fernmeldewesen, in der Versorgung und in der Verwaltung der Armee gearbeitet. In den Schreibstuben, Wäschereien, Feldküchen und in den Werkstätten, in denen Flugzeuge, LKW und Panzer repariert wurden. »Wir waren ein Reparaturbetrieb auf Rädern«, schreibt die Autoschlosserin Antonina Lenkowa. »Am härtesten war es bei der Montage, weil die ohne Schichtwechsel lief. In 24 Stunden ein Motor, so lautete der Kampfauftrag.« Die ehemaligen Soldatin Maria Detko dagegen schrieb: »Hab Wäsche gewaschen. Den ganzen Krieg über gewaschen. Abgetragen, schmutzig, voller Läuse. Die weißen Umhänge, die für die Tarnung, sind mit Blut beschmiert, rot sind sie, nicht weiß. Hemden ohne Ärmel, ein Loch über der ganzen Brust, Hosen ohne Hosenbein.«Auch bei der Luftabwehr war ein großer Teil Frauen beschäftigt, bei der Luftwaffe waren die Frauen in der Minderheit. Trotzdem wurde diese kleine Gruppe, die Bomberpilotinnen, nach Kriegsende als Heldinnen verehrt. In den Kampftruppen kamen Frauen vor allem als Scharfschützinnen zum Einsatz, aber auch als Minensucherinnen oder Aufklärerinnen, die hinter den feindlichen Linien abgesetzt wurden. In Briefen und Interviews, die später gemacht wurden, berichten die damals überwiegend sehr jungen Frauen von der Härte, den Strapazen und den Grausamkeiten, die sie in Kürze um viele Jahre altern ließen. Die Ausstellung thematisiert aber auch die kurzen Glücksmomente, die Zuneigung und die Konflikte zwischen den Frauen und Männern. Aus einigen Briefen geht hervor, dass die jungen Frauen in den unteren Positionen von den Vorgesetzten als Freiwild gehandelt wurden. In der Hierarchie des Militärs waren sie meistens in den unteren Ebenen zu finden. Nur wenige stiegen auf. Auch war die Rote Armee in den ersten Kriegsjahren nicht auf die Soldatinnen eingestellt: Das reichte vom Mangel an geeigneter Kleidung bis zum Fehlen von Frauenärzten.Die Ausstellung macht deutlich, dass die Einberufung von Frauen in die Rote Armee nur eine vorübergehende Episode war, die aus der Notsituation heraus entstand. Sofort nach Kriegsende verloren sie ihre Existenzberechtigung. Es gab keine Übernahmen oder Beförderungen - bis Ende 1945 wurden nahezu allen Frauen demobilisiert. Und was man nicht vermutet hätte: Die überlebenden, die traumatisierten und zum Teil schwer verwundeten Soldatinnen erhielten keinerlei Anerkennung für ihren Mut. Ganz im Gegenteil: Sie hatten in der Bevölkerung einen schlechten Ruf. Sie galten dem traditionellen Frauenbild entsprechend als »leichte Mädchen«, die den wartenden Ehefrauen ihre Männer weggenommen hatten. Auch entsprach eine Frau, die den Kriegsalltag an der Front miterlebt hatte, nicht den Vorstellungen vieler Männer. Mit ihr eine Familie gründen - das war vielen Männern nicht geheuer. Manche der ehemaligen Rotarmistinnen wurden von ihren Familie nicht mehr aufgenommen. Mit ihrer Erlebnissen mussten sie alleine fertig werden. Daher haben viele der ehemaligen Soldatinnen ihre Vergangenheit verschwiegen oder geleugnet, um in der Nachkriegsgesellschaft einen Platz zu finden. Erst Jahrzehnte später durften sie über ihre Kriegserlebnisse reden.Mascha, Nina und Katjuscha, Frauen in der Roten Armee 1941-1945, Deutsch-Russisches Museum in Berlin-Karlshorst, Zwieseler Straße 4/Ecke Rheinsteinstraße, Di - So 10-18 Uhr, Eintritt frei, bis 23. Februar 2003
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