Bei der Linkspartei ist alles wie immer. Nach der krachenden Wahlniederlage, die sie mit 4,9 Prozent und nur drei Direktmandaten an ihre absolute Existenzschwelle im Parlament gebracht hat, bleiben Antworten und Personal im Karl-Liebknecht-Haus nahezu dieselben wie zuvor. Auch die Bundestagsfraktion entschied sich bei ihrer Vorsitzendenwahl erneut für Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali – also für personelle Kontinuität. Parallel dazu kündigen alle Seiten einen strukturierten Prozess der Aufarbeitung an. Allein, wie dieser genau aussehen und vor allem in welche politische Richtung er gehen soll, ist noch nicht klar. Aus keinem Lager kommt ein nennenswerter Vorstoß.
Ein Hemmnis sind nach wie vor die sich gegenüberstehenden Machtblöcke Parteivorstand
eivorstand und Fraktion. Während Ersterer nach dem jüngsten Parteitag von der eher aktivistisch ausgerichteten Bewegungslinken dominiert wird, hält sich in der Fraktion eine Mehrheit aus dem alten sogenannten Hufeisenbündnis aus Reformern und linkem Flügel, dem Sahra Wagenknecht nahesteht. Sie spielt weiterhin eine herausgehobene, aber isolierte Rolle: Zwar nimmt sie kaum an Sitzungen teil, polarisiert aber, wie am Wochenende in der Sendung von Anne Will, mit ihren Positionen zur Corona-Politik. Sie ist die bekannteste Figur der Linken im Land und zugleich die unbeliebteste in den eigenen Reihen. Eine unaufgelöste Tragik.Die kleinere Fraktion zumindest ist nun gezwungen, weniger Arbeitskreise zu bilden und sich zu fokussieren: Arbeit und Soziales, Haushalt und Finanzen, Bildung und Innenpolitik sowie Außenpolitik. Ähnliche Schwerpunkte legten die Fraktionsvorsitzenden auch in einem Papier für die Klausur vergangene Woche in Leipzig vor. Sie sprechen von einer sozialen Opposition aus „einem Guss“.Fraktionsdisziplin, die zuletzt bei der Abstimmung über den Einsatz der Bundeswehr am Flughafen Kabul in Afghanistan kaum erkennbar war, wird die größte Nagelprobe sein. Jederzeit genügen nur drei Aussteiger, um das volatile Bündnis zu sprengen und den Fraktionsstatus zu verlieren. Diese Notlage erklärt auch neue Zweckbündnisse und die durchweg guten Ergebnisse für den neuen Fraktionsvorstand aus unterschiedlichen Lagern. So könnte es tatsächlich sein, dass sich für eine gewisse Zeit ein neues Zentrum herausbildet, das die Einheit über die Vielfalt stellt.Doch Einheit allein wird gegen den sozialdemokratisch-progressiven Neoliberalismus der Ampelkoalition nicht reichen. Die Linke kann sich nicht auf die Mängel der anderen verlassen, sondern müsste in den kommenden Jahren entscheidende Strategiefragen klären: Was ist die Aufgabe einer sozialistischen Partei im 21. Jahrhundert, mit wem macht sie Politik? Die Milieudebatten, die einerseits die vernachlässigten Arbeiter und andererseits die Bewegungen zum Mythos erheben, haben der Partei bisher mehr geschadet als genutzt.Um diese Fragen zu klären, fordern einzelne Mitglieder nun in einer Online-Unterschriftensammlung eine unabhängige Expertenkommission. Nicht zum ersten Mal wird der Ruf nach professioneller, unabhängiger Aufarbeitung laut. Die Ungeduld ist spürbar, und in der Tat läuft der Partei schon jetzt die Zeit davon: Eine strategische Neuaufstellung und ein neues Personaltableau müssten in zwei Jahren abgeschlossen sein. Im Frühjahr 2024 steht mit der Europawahl nämlich der nächste Einbruch bevor, darauf folgen die Schicksalswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im Herbst 2024. Bis dahin muss die Partei ihr Ost- sowie ihr Europaprofil geklärt haben.Sicher ist diese existenzielle Neuorientierung eine mittelfristige, doch die politische Arbeit beginnt genau jetzt. Neumitglieder strömen mit Erwartungen hinzu, eine starke Opposition wird dringend gebraucht. Ein kompletter Perspektivwechsel ist nötig: keine Anbiederung an das politische Zentrum und die Fantasie, Teil davon sein zu wollen. Eine klare Einschätzung der Kräfteverhältnisse und davon, welche Verbesserungen die Linke glaubwürdig für Menschen umsetzen kann. Regieren nicht als Selbstzweck oder gar zur eigenen Erhaltung begreifen, sondern dann einsteigen, wenn es die eigene Stärke zulässt.Eine Partei, die nicht nach der Aufmerksamkeit der Medien lechzt, sondern die Anerkennung bei ihren Wählerinnen sucht und nicht bei den Eliten.Im ganzen Auftreten bedeutet das eine selbstbewusste, sich selbst ernst nehmende Partei: knallharte Opposition, die provoziert und zugleich den Mut hat, die Marginalisierten zu vertreten. Die kleinere Fraktion und der geschrumpfte Apparat sind eine Chance, sich mit knapperen Ressourcen auf das zu konzentrieren, was die Linke ausmacht: soziale Fragen.Ihre eigene Machtbasis baut sie dadurch auf, dass sie ihre Themen konsequent verfolgt und nicht nachlässt, auch wenn die allgemeine Aufmerksamkeit verfliegt. Dass sie den Willen zeigt, einen anderen Politikstil zu verfolgen, der sich nicht auf innere Machtkämpfe oder Befindlichkeiten fokussiert, sondern auf die Interessen und Forderungen der eigenen Basis. Eine sozialistische Partei eben.Placeholder authorbio-1