Nur noch Asche

Waldbrände Ein Olivenbaum, so alt wie die griechische Kultur, ist verbrannt. Es ist das Symbol einer beispiellosen Tragödie
Ausgabe 32/2021
Waldbrände nahe eines Dorfes auf der griechischen Insel Euböa
Waldbrände nahe eines Dorfes auf der griechischen Insel Euböa

Foto: Angelos Tzortzinis/AFP/Getty Images

Schwärmen griechische Dichter von ihrer Heimat, klingt das nicht selten so, als sei mit einem jungen Texter im Athener Fremdenverkehrsamt das Pathos durchgegangen: „Das Licht in Griechenland ist voller Geist; solches Licht half dem Menschen, klar zu sehen, Ordnung in das Chaos zu bringen, es zum Kosmos zu gestalten. Und Kosmos, Welt, heißt Harmonie“, notierte etwa der Volksdichter Nikos Kazantzakis, und dies nicht etwa in seinem berühmten Roman Alexis Sorbas, sondern während einer Pilgerreise in den 1920er Jahren.

Aber es stimmt: Jeder, der einmal Griechenland bereist hat, weiß um dieses sagenhafte Licht, das so anders ist als in Italien oder in Algerien – wie es Albert Camus in seiner Hochzeit des Lichts einfing. Kazantzakis’ Beobachtung hat mit Pathos demnach nichts zu tun, es ist eher der Versuch, etwas zu beschreiben, das sich mit Worten nur schwer fassen lässt. Jetzt ist dieses Licht auf den Bildern, die uns in diesem trüben deutschen Sommer erreichen, erloschen. Orangerote Schleier durchziehen den Himmel, auf anderen sieht man nur schwarzen oder dunkelgrauen Rauch über den Köpfen weinender, verzweifelter Menschen und verbrannter Erde. Fast 600 Quadratkilometer sind den verheerenden Waldbränden in Griechenland zum Opfer gefallen.

Und weil es nachweislich keine Fake News sind, dass „alles in Griechenland, Berge, Flüsse, Meere, Ebenen“, zu den Menschen spricht, „in einer fast menschlichen Sprache“, wie Kazantzakis schreibt, macht das Bild eines verbrannten Olivenbaums auf der griechischen Insel Euböa besonders sprachlos. In verdichteter Form erzählt es vom Unfassbaren, von der von Menschen gemachten Tragödie – ob nun durch Brandstiftung oder durch den „Kontrollverlust bei der Erderwärmung“, vor dem der Weltklimarat gerade wieder warnt. Ein Anwohner von Euböa, Apostolis Panagiotou, zeigt das von Flammen zerstörte Gewächs auf seinem Twitter-Account; griechische Medien wie das Internetportal lifo.gr haben darüber berichtet.

2.500 Jahre stand der Ölbaum im Olivenhain von Rovia, war bis zuletzt fruchtbar und sein Stamm so dick, dass ihn nur zehn Menschen zusammen hätten umarmen können. Ein stolzes Wunder der Natur, „stark und blühenden Wuchses; der Stamm glich Säulen an Dicke“. Homer meinte im 23. Gesang der Odyssee natürlich einen anderen „weitumschattenden Ölbaum“, aber man bekommt eine Ahnung von dieser Erhabenheit, wenn man das Foto aus Euböa nicht gesehen hat.

Erhart Kästner hat das Wesen dieser Bäume sehr schön gedeutet: „Wenn es wahr ist, wie man hört, dass ein Ölbaum zweitausend Jahre alt werden kann, so hätte manch einer von ihnen die Zeiten erlebt, wo in Delphoi die Götter noch wohnten. Dann pflückte man also vom selben Baum einen Zweig wie die Pilger. Dass etwas Lebendiges lebend die Zeit überstanden haben soll, ist ein Wunder.“ Damit ist es nun vorbei.

Vertieft man sich dann in Leben und Werk Kästners – er war NSDAP-Mitglied und nach 1945 Direktor der renommierten Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel –, dann erfährt man, dass dieser Auszug aus Ölberge, Weinberge – 1953 erschienen im unverdächtigen Insel Verlag – elf Jahre zuvor unter dem Titel Griechenland. Ein Buch aus dem Kriege herausgekommen war. Zu einer Zeit also, als das Licht während der deutschen Besatzung ebenfalls erloschen schien. Der Olivenbaum war Zeuge.

Philipp Haibach, freier Kulturjournalist, lebt mit einer Griechin zusammen in Berlin

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