Die SPD befindet sich im freien Fall. Das Wahlergebnis für die Sozialdemokraten hat das Potenzial, die Partei in Stücke zu reißen. Denn die Fliehkräfte, die seit Schröders Agenda 2010 in der Partei wirken, drohen nun aus der Kontrolle zu geraten. Der Waffenstillstand, der zwischen rechten und linken Flügel im Wahlkampf galt, geht mit diesem Wahlabend zuende. Es wird die Partei einige Jahre kosten, sich in der Opposition neu zu finden.
Es gilt nicht nur, das Verhältnis zur Linkspartei zu klären. Die Partei muss sich in vielen Politikfeldern neu aufstellen. Hartz IV, die Rente mit 67 – es gibt viele Themen, die die Wähler der SPD offenbar nicht verzeihen können. In elf Regierungsjahren ist ihr Profil unkenntlich geworden und ihr Führungspersonal verbraucht . Die einst mächtige Sozialdemokratie ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Den Anspruch, eine Volkspartei zu sein, kann sie bis auf weiteres nicht mehr ernsthaft erheben.
Nicht nur der Spitzenkandidat Steinmeier, auch Müntefering trägt die Verantwortung für das Desaster. Er war als Heilsbringer gestartet, nun muss die SPD unter seinem Vorsitz ihre schlimmste Niederlage verkraften. Es hat sich nicht ausgezahlt, Kurt Beck vor einem Jahr in die Wüste zu schicken. Ein Blick auf Brandenburg, wo am Sonntag ebenfalls gewählt wurde, zeigt, was vielleicht möglich gewesen wäre. Dort hat sich der Ministerpräsident Matthias Platzeck gegen den übermächtigen negativen Bundestrend behaupten können. Die Bundes-SPD hatte ihn einst nach 100 Tagen soweit gebracht, dass er keinen anderen Ausweg mehr sah, als den Vorsitz zurückzugeben.
Die SPD geht dunklen Zeiten entgegen. Steinmeier ist offensichtlich entschlossen, sein Werk zu vollenden und die Partei nun in der Opposition als Fraktionschef zu führen. Das ist eine Kampfansage an den linken Flügel der Partei und eine schwere Hypothek für die Zukunft der Partei. Denn Steinmeier hat in den vergangenen elf Jahren eine Politik gemacht, die die SPD in diesen bitteren Abgrund geführt hat.
Nur noch ein Schatten
Geschrieben von
Philip Grassmann
Chefredakteur
Philip Grassmann ist seit 2008 Chefredakteur des Freitag. Zuvor arbeitete er neun Jahre als Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Berlin. Von 1994 bis 1998 war Grassmann Redakteur und später Korrespondent der Welt. Er studierte Politische Wissenschaften an der Freien Universität Berlin sowie der London School of Economics und ist Absolvent der Axel-Springer Journalistenschule.
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