Nürnberger Trichter

Gutes Polster Trotz rückläufiger Beitragseinnahmen erwirtschaftete die Bundesagentur für Arbeit 2008 Überschüsse. Das wird wohl in diesem Jahr nicht so bleiben

Die Wirtschaftskrise erfasst Bank um Bank, Branche um Branche, Unternehmen um Unternehmen. Aber sie erscheint nicht da, wo man sie nach Jahren hoher Arbeitslosigkeit auch vermuten könnte. Während die Flaggschiffe des Finanzkapitals sich mit Milliarden aushelfen lassen, war ein anderer Supertanker im vergangenen Jahr frei von finanziellen Turbulenzen: Mit einem Überschuss von knapp einer Milliarde Euro und einem geschätzten Polster von 16 Milliarden Euro steht die Nürnberger Bundesagentur für Arbeit derzeit so gut da wie lange nicht. Hinzu kommen noch 2,5 Milliarden Euro Rücklagen, die Deutschlands größte Behörde vor zwei Jahren für ihre Beamten als Pensionsrückstellungen parkte.

Ist es nicht begrüßenswert, wenn mit Beitragsgeldern Überschüsse "erwirtschaftet" werden, wenn sogar Beitragssenkungen möglich sind? So einfach ist es nicht: Die Überschüsse des vergangenen Jahres ergaben sich bei sinkender Erwerbslosigkeit und trotz rückläufiger Beitragseinnahmen, da sich das Beschäftigungswachstum vor allem in unteren, oft noch nicht einmal sozialversicherungspflichtigen Bereichen abspielte. Nur durch Zinserträge wurde das laufende Defizit zu einem Plus von einer Milliarde.

Noch stärker schlägt zu Buche, dass bei den aktiven Leistungen der Arbeitsförderung weiter eingespart wurde. Sogar bei den mit einem Rechtsanspruch ausgestatteten passiven Leistungen wird die Schraube fester gedreht. Schon 2007 wies Nürnberg einen Rekordwert von 639.222 Sperrzeiten gegenüber Beziehern von Arbeitslosengeld I aus, das sind über 21 Prozent mehr als noch im Jahr davor. Einer der häufigsten Gründe: Die Betroffenen hatten ihre Kündigung nicht sofort gemeldet. Auch bei den Langzeitarbeitslosen nahm der Umfang der Sperrzeiten aufgrund eines "Fehlverhaltens" kontinuierlich zu. Vermutungen, dass regelrechte Planvorgaben für Sanktionsfälle existieren, konnten bisher nie glaubhaft entkräftet werden. Wenn in einigen Wochen die Zahlen für 2008 veröffentlicht werden, sind neue Rekorde sehr wahrscheinlich.

Es gibt allerdings auch Profiteure: Schon im Dezember hatte sich die Zahl der Kurzarbeiter sprunghaft auf 300.000 erhöht, so viel wie zuletzt Mitte der neunziger Jahre. Nürnberg erstattet hier die durch Arbeitsreduzierung eintretende Nettogehaltsdifferenz in Höhe von 60 bzw. 67 Prozent. Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung, Weihnachts- oder Urlaubsgeld mussten die Unternehmen bisher selbst zahlen. Um das Instrument nun jedoch noch "attraktiver" zu machen, wurde nach der bereits beschlossenen Ausweitung auf maximal 18 Monate den Wirtschaftsverbänden jetzt auch in Aussicht gestellt, dass sie keine Sozialabgaben mehr auf das Kurzarbeitergeld zahlen müssen. Zudem werden die Qualifizierungskosten für Kurzarbeiter übernommen.

Vage Zusagen von Lobbyverbänden und DAX-Unternehmen, in diesem Jahr auf Entlassungen verzichten zu wollen, sind angesichts des Nürnberger Vollkasko-Kurses fast risikolos. Bezahlen muss die Bundesagentur, deren Haushalt dafür nicht ausreichen dürfte. Mit Einsparungen an anderer Stelle wird es diesmal jedoch nicht getan sein. Für 2009 waren bisher rund 300 Millionen Euro für Kurzarbeitergeld eingeplant. Viel zu wenig, wie Behördenchef Frank-Jürgen Weise schon in der ersten Januarwoche zugab. "Wenn die Entwicklung so weitergeht, könnte es eine Milliarde sein." Oder auch mehr.

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