Nussschale

Linksbündig War die Cap Anamur-Aktion eine PR-Maßnahme?

Er konnte einem Leid tun. In letzter Minute war Cap Anamur-Chef Elias Bierdel eingeflogen worden. Triumphierend trat er, mit Megaphon und durch die Survivalweste lugendem Wohlstandsbauch, vor die am Hafen wartenden Kameras und streckte seine Arme in den sizilianischen Himmel. Doch schon im selben Moment ging die Kunde um, seine Hilfsorganisation habe gar keine sudanesischen Bürgerkriegsopfer aus dem Meer gefischt. Es war atemberaubend, wie rasch die allgemeine Rührung über die geglückte Menschenrettung in eine panische Abwehrhaltung umschlug, nur weil auf einmal "Wirtschaftsflüchtlinge" durch die Schleusen Europas drängten.

Hierzulande richtete sich die Kritik vor allem auf die Frage nach der medialen Vor- und Aufbereitung der Hilfsaktion. Nach einem beißenden Bericht des NDR-Magazins Panorama, der mit journalistischem Anstand kaum noch zu vereinbaren war, entfachte der Streit, ob es sich am Ende bloß um eine gezielte PR-Aktion gehandelt habe. In der allgemeinen Empörung jedoch blieb die grundsätzliche Frage unbeantwortet, ob derart publicityträchtige Aktionen im sensiblen Bereich des Menschenrechtsschutzes überhaupt zulässig sind.

Die Cap Anamur hat 37 Menschen aus akuter Seenot gerettet. Mag deren Einreise nach Italien auch "gesetzeswidrig" gewesen sein, aus menschlicher und menschenrechtlicher Sicht war die Rettung geboten und die sofortige Abschiebung in genau 37 Fällen eine Tragödie. Dass die afrikanischen Männer nicht im engeren Sinne asylberechtigt waren, macht hier gar keinen Unterschied. Der in internationalen Menschenrechtsverträgen kodifizierte Schutz der Menschenwürde umfasst nicht nur elementare Abwehrrechte wie eben das Recht, frei von politischer Verfolgung zu sein, sondern auch weiterreichende Ansprüche: ein Recht auf ausreichende Ernährung etwa oder auf Gesundheit. Man kann es daher nicht pathetisch genug formulieren: In jeder dieser kleinen über das Mittelmeer treibenden Nussschalen, von denen die meisten in Meeresströmen zerrissen oder von riesigen Tankern zermalmt werden, sitzt immer schon die ganze Menschheit.

Aber ist der Einsatz spektakulärer Kampfmittel zu rechtfertigen, wie man sie sonst nur von Greenpeace kennt? Man wird kaum bestreiten können, dass die breite Öffentlichkeit offenbar nur durch massenmedial erzeugte Erregungsschübe auf die Opferperspektiven aufmerksam wird. Die restriktive Flüchtlingspolitik vor den europäischen Schleusentoren kann hier als ein wichtiger Prüfstein herhalten, an dem sich die gegenwärtige Lage des Menschenrechtsschutzes testen lässt. Innenminister Otto Schily nahm den Wirbel um Cap Anamur zum Anlass für die Forderung: "Afrikas Probleme müssen in Afrika gelöst werden". Wer so redet, der mag vielleicht eine gute Küstenstreife abgeben. Zum Menschenrechtler taugt er nicht.

Es ist ein großes Verdienst der Hilfsaktion, den unterschwelligen Widerwillen einiger europäischer Regierungen offengelegt zu haben, ihren wohlfeilen Bekenntnissen zu den Menschenrechten politische Taten folgen zu lassen. Man wünschte sich, die Cap Anamur hätte ihren Umweg fortgesetzt, um im Hafen von Hamburg vor Anker zu gehen.

Und wie verhält es sich mit dem Vorwurf, das Leiden von Flüchtlingen sei instrumentalisiert worden? Das von Kant so schön formulierte Instrumentalisierungsverbot, demzufolge der Mitmensch "jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel" zu achten sei, verbietet nicht die Instrumentalisierung als solche. Nur die rücksichtslose Zweckentfremdung eines Menschen, ohne dass dabei auch dessen eigenes Wohlergehen befördert werden soll, gilt als unmoralisch. Muss daher nicht der Rettungsversuch auf hoher See, auch wenn er prestigesteigernd verbucht werden sollte und am Ende scheiterte, als das gesehen werden, was er war: ein Rettungsversuch?

Publicityträchtige Aktionen im Bereich des aktiven Menschenrechtsschutzes sind dann legitim, wenn sie drei Bedingungen erfüllen: Sie müssen von dem Willen getragen sein, Menschen, die in Not sind, vor weiterem Elend zu bewahren. Sie haben zudem die Absicht zu verfolgen, die Öffentlichkeit auf menschenrechtlich unhaltbare Zustände aufmerksam zu machen. Sie sollten überdies das Ziel vor Augen haben, die Scheinheiligkeit von politischen Verantwortungsträgern zu entlarven, deren Menschenrechtsverständnis nur bis zur eigenen Landesgrenze reicht.


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