Obama besänftigt Habenichtse

Sicherheitsrat Erstmals in der UN-Geschichte berät der Sicherheitsrat unter Vorsitz eines US-Präsidenten über Abrüstung und die Sicherheit von Staaten, die auf Atomwaffen verzichten

Die Nuklearmächte müssen von ihrer jahrzehntelangen Schizophrenie Abschied nehmen, denn dieses Leiden ist nicht nur aus Sicht der Psychiatrie eine empfindliche Störung von Wahrnehmung und Denken. Für die Politik trifft das ebenso zu. Daran krankt seit jeher die sicherheitspolitische Rhetorik der Atomwaffenmächte. Sie reklamieren die ultimative (nukleare) Waffe als unverzichtbar für die eigene Sicherheit. Wenn jedoch ein nuklearer Habenichts danach strebt, wird das als nicht hinnehmbare Bedrohung verdammt. Das soll sich – das muss sich ändern. Präsident Obama weiß, dass seine im April bei der Rede in Prag verkündete Nulloption nur eine Chance haben kann, wenn die Nichtweiterverbreitung und damit der Non-Proliferation-Vertrag von 1968 Bestand haben. Ansonsten könnten schon im nächsten Jahrzehnt, Dutzende Staaten auf ihre atomare Jungfernfahrt gehen.

Positive und negative Sicherheitsgarantien

Bereits im Vorfeld der heute von Präsident Obama geleiteten Session des Sicherheitsrates hat die amerikanische UN-Botschafterin Susan Rice einen Resolutionsentwurf vorgelegt, über den die 15 Ratsmitglieder zu befinden haben. Das Dokument korrigiert die bislang übliche Scheinheiligkeit und wird dafür bereits im Vorfeld gelobt. „Was Obama hier tut, lässt die USA auf den Abrüstungspfad zurückkehren“, meint Daryl Kimball von der rüstungskritischen Arms Control Association. Er revidiere die Haltung der Bush-Regierung und enthalte „die Garantie der Nuklearmächte, Nichtkernwaffenstaaten nicht mit Atomwaffen anzugreifen.“ Auch der Abrüstungsexperte und Präsident des Plougshares Fund, Joseph Cirincione, findet: „Es ist ein guter Text.“ Er sei ausgewogen und gerade deshalb wichtig, weil er zusichere, dass die Atommächte keine Nuklearwaffen gegen Nichtkernwaffenstaaten einsetzen würden.

Die Forderung nach einer dafür bindenden völkerrechtlichen Verpflichtung bleibt auf der Tagesordnung. Eingelöst werden könnte sie möglicherweise in Form eines Zusatzprotokolls oder durch einen selbstständigen Vertrag. Dazu sind die Atommächte derzeit jedoch nicht bereit. Um dennoch den Beitritt der nuklearen Habenichtse zum Sperrvertrag zu erreichen, versprachen die USA, die Sowjetunion und Großbritannien im UN-Sicherheitsrat einst zumindest ihren Beistand, sollte ein Vertragspartner atomar angegriffen werden. Über diese so genannte positive Sicherheitsgarantie hinaus bestehen die Nichtkernwaffenstaaten auch auf negativen Sicherheitsgarantien. Die Nuklearmächte sollen sich verpflichten, selbst keine Atomwaffen gegen Nichtkernwaffenstaaten anzuwenden. Erstmalig war es im Jahr 1967 in einem Zusatzprotokoll zum Vertrag von Tlatelolco über eine kernwaffenfreie Zone in Lateinamerika gelungen, derartige rechtsverbindliche Sicherheitsgarantien der Kernwaffenmächte gegenüber den Zonenstaaten zu vereinbaren.

Generell völkerrechtswidrig

Immerhin stehen die Atomwaffenstaaten unter dem Druck eines Rechtsgutachtens, das auf den Internationalen Gerichtshof (IGH) zurückgeht. Bereits 1996 hatten die Richter in Den Haag unmissverständlich festgestellt, dass auch Nuklearwaffen nicht außerhalb des Völkerrechts stehen und ihre Anwendung „generell völkerrechtswidrig“ ist. Der Richterspruch schränkt die Anwendungsoptionen für Nuklearwaffen juristisch bedeutend ein und erhöht deren politische Kosten. In der Konsequenz wären jeder präventive Einsatz wie auch ein nuklearer Erstschlag und die Anwendung in der Mehrzahl aller denkbaren Situationen eines militärischen Konflikts widerrechtlich. Daraus folgt, ein Gebrauch von Nuklearwaffen, um einem Terrorangriff vorzubeugen oder darauf zu antworten, wäre ein Bruch des Völkerrechts.

Nach langer Passivität hat die Genfer Abrüstungskonferenz 2009 beschlossen, ein „rechtlich bindendes Instrument“ der Sicherheitsgarantien auszuarbeiten. Wenn die Verhandlungen beginnen, wird sich zeigen, ob die atomaren Großmächte zum klaren Denken imstande sein werden und erkennen, dass man, wie es in einem amerikanischen Sprichwort heißt, den Kuchen nicht gleichzeitig essen und behalten kann.

Aus dem Rechtsgutachten des IGH vom 8. Juli 1996"... dass die Androhung und der Einsatz von Atomwaffen generell gegen diejenigen Regeln des Völkerrechts verstoßen würden, die für bewaffnete Konflikte gelten, insbesondere gegen die Prinzipien und Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts. Allerdings kann der Gerichtshof angesichts der gegenwärtigen Lage des Völkerrechts und angesichts des ihm zur Verfügung stehenden Faktenmaterials nicht definitiv die Frage entscheiden, ob die Androhung oder der Einsatz von Atomwaffen in einer extremen Selbstverteidigungssituation, in der die Existenz eines Staates auf dem Spiel stünde, rechtmäßig oder rechtswidrig wäre."

Mehr zum Thema: 50 JAHRE PUGWASH: Erinnert euch eures Menschseins - Wissenschaftler warnen vor dem Missbrauch ihrer Forschungsergebnisse, in: , Freitag: Die Ost-West-Wochenzeitung, Nr. 27-28, vom 06. Juli 2007

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