Oben sagt Unten wie der Hase läuft

Skandal Was aus dem E-Mail-Wechsel zwischen Stefan Mappus und Dirk Notheis zu lernen ist
„Schlage Dir vor, wie folgt zu kommunizieren“ – in diesem Stil erteilte Notheis seinem Duzfreund Mappus (im Bild) das vorgefertigte Wort
„Schlage Dir vor, wie folgt zu kommunizieren“ – in diesem Stil erteilte Notheis seinem Duzfreund Mappus (im Bild) das vorgefertigte Wort

Foto: Odd Andersen / AFP / Getty Images

Brave Leser der Informationen zur politischen Bildung machen sich möglicherweise etwas übertriebene Vorstellungen von der Größe des Handlungsspielraums, der deutschen Volksvertretern zur Verfügung steht. „Es ist natürlich nicht die erste Garnitur; die hat sich die Industrie gegriffen, und die zweite ist bei Banken, Handel und Versicherungen gelandet“, schrieb der konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza vor etlichen Jahren. „Was da Politik spielt, ist die dritte Garnitur, die das längst Entschiedene verkündet und kommentiert.“

An der Gültigkeit dieses Befunds hat sich seither nichts geändert. Doch es ist nur selten offenkundig geworden, wie selbstherrlich die zweite Garnitur mit der dritten umspringt und wie wenig ein Parlament zu melden hat, wenn höhere Interessen als der Volkswille auf dem Spiel stehen. So war es, als das Land Baden-Württemberg im Jahre 2010 ein 4,67 Milliarden Euro teures Aktienpaket des Energiekonzerns EnBW erwarb. Als Vermittler des Geschäfts betätigte sich die US-amerikanische Investmentbank Stanley Morgan, die praktischerweise zugleich auch die Interessen der Verkäuferin Électricité de France vertrat. Wie er sich verhalten solle, erfuhr der amtierende Ministerpräsident Stefan Mappus dabei fortlaufend vom Deutschlandchef jener Bank, Dirk Notheis, einem Betriebswirt, der sich aus den Niederungen der baden-württembergischen Jungen Union in den Bankvorstand emporgearbeitet hatte.

„TOP! LG sm“

Nun ist also der E-Mail-Wechsel in Teilen öffentlich geworden. „Schlage Dir vor, wie folgt zu kommunizieren“ – in diesem Stil erteilte Notheis seinem Duzfreund Mappus das vorgefertigte Wort. Auch in den Verhandlungen mit den Franzosen konnte Mappus nach den Direktiven des Bankers vorgehen, der ihm mitgeteilt hatte: „Ich leite ein und lege die Agenda fest. Du solltest nach Aufforderung dann Folgendes ausführen ...“ In einer besonders kniffligen Situation erwiderte Mappus auf den von Notheis ausgetüftelten Lösungsvorschlag per Mail: „TOP! LG sm“. Die lieben Grüße des folgsamen, mit seinen Initialen in Kleinschreibung unterzeichnenden Ministerpräsidenten an die Adresse des denkenden und lenkenden Investmentbankers sollten im Bonner Haus der Geschichte in einer Vitrine ausgestellt werden, als Dokument der Unterwürfigkeit des Souveräns.

Fast könnte man Mitleid bekommen mit dem herumgescheuchten Mann, der sich trotz aller Fügsamkeit von seinem Berater und Befehlsherrn Notheis barsch zurechtweisen lassen musste („Bitte achte darauf, dass du das durchziehst. Das verursacht sonst Sand im Getriebe, und das kann ich jetzt nicht gebrauchen“). Von Notheis wurde Mappus auch darüber belehrt, wie das verfassungswidrig zustandegekommene Geschäft zu rechtfertigen sei: „Du solltest idealerweise einen renommierten Volkswirt haben, der das Ganze gut findet.“ So läuft das.

Notheis ist von seiner Bank zu einer „unbefristeten Auszeit“ verurteilt worden. Vielleicht kann er sie nutzen, indem er die Bundeszentrale für politische Bildung bei der Neuauflage eines Hefts über die deutsche Nachkriegsdemokratie berät. Das wäre auch eine schöne Aufgabe für den Altbundespräsidenten Christian Wulff, der uns etwas darüber erzählen könnte, wer eigentlich im Schloss Bellevue das Sagen hat – die dritte Garnitur oder die vierte Gewalt in Gestalt der Bild-Zeitung. Man wüsste doch gern, von wem man regiert wird.

Gerhard Henschel , geb. 1962, ist Schriftsteller. Zuletzt erschien Liebesroman

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