Dieser Kontinent ist zu groß, als dass man ihn beschreiben könnte", erklärt Kapuscinski gleich im Vorwort seines großen Afrika-Buches - und beginnt unverzüglich damit, das Leben dort zu beschreiben. Eigentlich sollen es nur "die Begegnungen mit einigen Menschen von dort" sein, die sich in seinen Erinnerungen festgesetzt haben, aber es sind Schlüsselerlebnisse, die Einblick in diesen "vielfältigen, reichen Kosmos" gewähren. Kapuscinski weiß genau, warum er aus vierzig prallen Reporterjahren jene 29 Begebenheiten ausgewählt hat, warum es ihm wichtiger war, die Wanderung mit Beduinen durch die Wüstenhitze und das Kältegefühl im Moment eines Malariaanfalls zu beschreiben, als die unendliche Abfolge von Putschen und Bürgerkri
kriegen aufzuzählen, obwohl auch davon einige exemplarische Fälle vorkommen.Man muss sich allerdings als Leser auf den ruhigen Erzählstil bewusst einlassen, der auf das Symbolische in der Einzelheit setzt und nicht auf das Faktologische. Nicht jeder Vorgang ist genau datiert, nicht jeder Handlungsort ohne weiteres lokalisierbar, zumal es im ganzen Buch keine Karte gibt. Aber man kann trotzdem mehr über den so ganz anderen Süden erfahren, das Denken und Empfinden dort, als in den Zeitungsberichten aus den jeweils wechselnden Krisengebieten, die hier im Norden zuweilen ankommen. Erst mit dem Hintergrundwissen aus der Tiefe der Kulturen werden die aktuellen Vorgänge verständlich.Es beginnt mit den Unabhängigkeitsbewegungen in den sechziger Jahren, die über vierzig Staatengebilde hervorbrachten, die von den Kolonialherren im vorigen Jahrhundert nach reiner Willkür angelegt worden waren, ohne Rücksicht auf die vielen kleinen König reiche und Stammesverbände. Am Beispiel von Uganda führt Kapuscinski vor, was dies für verheerende Folgen bis in die Gegenwart hat. Er zeigt uns eine "paranoide, obsessive Welt von Vorurteilen, Hassgefühlen und innerafrikanischen ethnischen Ressentiments", wobei er deutlich macht, dass die Rassismen und Chauvinismen nicht bloß zwischen Weiß und Schwarz, sondern oft "noch schärfer, verbissener und erbarmungsloser zwischen Menschen derselben Hautfarbe" existieren. "Die Mehrheit der Schwarzen wurden in unserem Jahrhundert von anderen Schwarzen getötet, und nicht von Weißen."Der Kampf um die Macht und damit um die Staatskasse, der zwischen den einzelnen sozialen Gruppierungen und Clanverbänden losbrach und in den Zeiten des Kalten Krieges von West und Ost kräftig geschürt wurde, ist im Falle von Äthiopien nacherlebbar, sozusagen als Fortsetzung von Kapuscinskis Haile-Selassie-Buches König der Könige von 1995. Die Szenen aus Eritrea, die am Ende des Afrikanischen Fiebers stehen, machen dies noch einmal besonders sinnfällig: Ein ausgebrannter russischer Großpanzer vom Typ T-72 blockiert seit Jahren die Hauptkreuzung der Stadt Massaua. In ganz Eritrea gibt es keinen Kran, um diesen Koloss zu heben und abzutransportieren.Die historische Dimension aller beschriebenen Ereignisse tritt deutlich hervor, wenn Greueltaten, wie die der Hutu-Milizen an der Herrschaftskaste der Tutsi in Ruanda, beschrieben werden. Kapuscinski legt nicht nur die ganze historische Verquicktheit des wechselseitigen Abschlachtens beider Gruppen offen, sondern arbeitet auch die Unterschiede zu vergleichbaren Vorgängen in Liberia oder in Europa in der Mitte des 20. Jahrhunderts heraus. Während früher der Massenmord Aufgabe spezieller Institutionen war (SS oder NKWD), "ging es in Ruanda darum, dass jeder einzelne tötet, dass das Verbrechen Produkt einer massenhaften, beinahe spontanen Volkserhebung war, an der alle beteiligt waren - damit es keinen gab, der nicht seine Hände mit dem Blut jener Menschen befleckte, die vom Regime als Feinde angesehen wurden". Zu diesem Zwecke sind die paramilitärischen Massenbewegungen aufgebaut und mit einer Ideologie der Endlösung infiltriert worden; ein Teil des Volkes sollte für immer aufhören zu existieren. Die Schlussfolgerungen, die im Norden der Erde nach Auschwitz gezogen worden sind, sind Ostafrika unbekannt.Als prägende politische Gestalten des heutigen Afrika, ja als die eigentlichen Herrscher in weiten Teilen des Kontinents, sieht Kapuscinski die "Warlords", jene selbsternannten Herrscher einzelner Landesregionen, die als ehemalige Offiziere, Minister oder Parteifunktionäre eine Privatarmee um sich gruppiert haben, mit der sie Bergwerke, Strassen und internationale Hilfssendungen kontrollieren, um sich selbst reich und ihre Bande satt zu machen. Während die einen durch Not zum Tode verurteilt sind, werden die andern zu Monstern gemacht.Auch wenn das Geschilderte zumeist bitter und von hoffnungsfrohen Entwicklungsperspektiven wenig zu spüren ist, vermittelt sich doch auf allen Seiten die Zuneigung des Autors zu seinem Gegenstand, die innere Anteilnahme, das tiefe Verständnis für die oft absurd anmutenden Vorgänge, die er dann wirklich auch zu erklären vermag. In einem Interview sagte Kapuscinski voriges Jahr: "Ich bin süchtig nach Wahrheit. Die übliche Oberflächlichkeit und Ignoranz in den Medien ist ärgerlich und enttäuschend. Genau zu beobachten bereitet mir dagegen große Freude. (...) Ich halte meine Nase am liebsten knapp über die Grasnarbe, dort, wo das Leben elend ist, in den Slums, in typischen Dörfern, dort, wo die Nacht mit Schlangen, Spinnen und Mücken noch eine eigene Erfahrung ist." Nicht ohne Grund endet das Buch dann auch mit einem anbrechenden Morgen, dem "schönsten Augenblick in Afrika"Durchaus ähnlich nähert sich Redmond O' Hanlon dem schwarzen Kontinent, wenn auch mit einer ganz anderen Art von Buch. Sein Roman Kongofieber ist bewusst als Roman angelegt, auch wenn eigene Erfahrungen des promovierten Anthropologen an vielen Stellen durchscheinen und die Arbeit am Buch mehrfach unterbrochen werden musste, da O'Hanlon von schweren Malariaschüben geplagt wurde, was auf die abenteuerliche Kongoreise zurückgeht, die das Material für den literarischen Text lieferte.Beschrieben wird die verzweifelte Suche nach einem Dinosaurier in der Grenzregion zwischen Kongo und Zaire, direkt am Äquator in den Flussniederungen des Kongoflusses. Zentralfigur sind ein amerikanischer und ein britischer (O'Hanlon selbst) Wissenschaftler, die mit ihrem kühlen Humor versuchen, die Widrigkeiten des afrikanischen Alltags zu meistern. Dabei nehmen sie sich selbst und ihre Zunft keinesfalls von kritischen Reflexionen aus, ja die heldenhaften weißen Wissenschaftler erscheinen trotz ihres reichen Wissens zuweilen ausgesprochen hilflos in dieser Welt der Magie und übernatürlichen Kräfte. Immer wieder stehen sie staunend vor scheinbar unlogischen Argumentationsmustern ihrer afrikanischen Reisebegleiter, wobei sie sehr wohl zu unterscheiden wissen, was wirklich aus einer anderen Denkwelt rührt und was schlichte Trickserei von korrupten Funktionären ist. So erlangen sie die Reisegenehmigung ins Innere des unerforschten Gebietes beispielsweise erst, als sie beim zuständigen Minister der Volksrepublik Kongo das Bekenntnis ablegen, "darwinistische Marxisten mit großem Interesse an der Zauberei" zu sein.Letztlich sind es nicht nur die extremen klimatischen und geographischen Bedingungen, die die Expedition scheitern lassen, sondern auch die sozialen Bedingungen in der Region, ein ausgeprägter Stammesdünkel und Konflikte rivalisierender Gruppen. O'Hanlon gelingt es, durch einen spannenden Handlungsablauf, der den Leser mit dem Schicksal der beiden Wissenschaftler regelrecht mitfiebern lässt, sowohl in eine völlig fremden Welt hineinzuführen, als auch die vertraute weiße Welt in ihrer Arroganz ironisch vorzuführen. Mit knappen witzigen Dialogen und einem sarkastischen, aber keinesfalls zynischen Grundton ist man zugleich unterhalten und angeregt. Für eine erste Annäherung an Afrika gibt es kaum einen besseren Einstieg mit unverstelltem Blick. Derart einmal angeregt, sollten Kapuscinskis Reportagen unbedingt folgen.Ryszard Kapuscinski: Afrikanisches Fieber. Erfahrungen aus vierzig Jahren. Aus dem Polnischen von Martin Pollack. Die Andere Bibliothek, herausgegeben von Hans Magnus Enzensberger, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1999, 324 S., 49,50 DM Redmond O'Hanlon: Kongofieber. Roman. Aus dem Englischen von Chris Hirte, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1998, 656 S., 49,80 DM
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