Obszönes Begehren

Innere Sicherheit Das Bundesinnenministerium schlägt über die Stränge: Es will den Verfassungsschutz mit allerlei polizeiliche Befugnissen ausstatten, auch mit verdeckten Ermittlern

Ein Wunschzettel aus dem Bundesinnenministerium sorgt kurz vor der Bundestagswahl für Aufregung und ist offenbar als Vorlage für Koalitionsverhandlungen gedacht. Es geht um den Ausbau der Kompetenzen des Inlandsgeheimdienstes Verfassungsschutz. Das Papier gilt als Referenten-Entwurf, ist aber erkennbare dem Ziel von Bundesinnenminister Schäuble verpflichtet, dem autoritär-präventiven Sicherheitsstaat Vorschub zu leisten, und mutet wie ein Vermächtnis des 67-Jährigen an, dessen politische Zukunft nach der Bundestagswahl ungewiss ist.

Nach den Forderungen der Schäuble-Mitarbeiter soll der Verfassungsschutz künftig Computer online durchsuchen dürfen – ein Recht, das bisher nur dem Bundeskriminalamt eingeräumt war. Außerdem soll der Inlandsgeheimdienst Zugriff haben auf die Daten der Vorratsdatenspeicherung haben – auch das dürfen bislang nur Polizei und Justiz. Klagen gegen die Vorratsdatenspeicherung sind derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig. Darüber hinaus sollen dem Verfassungsschutz auch noch Lausch- und Spähangriffe in Privatwohnungen erlaubt werden.

Mit wem will das CDU-geführte Ministerium das durchsetzen? Etwa mit dem Koalitionspartner FDP, der die Bürgerrechte wiederentdeckt hat? Die Liberalen haben nicht nur die Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung und den Verzicht auf Online-Durchsuchungen in ihrem Wahlprogramm, sondern beharren auf der Trennung von Polizei und Geheimdienst. „Der Informationsaustausch (zwischen den Behörden) darf nicht zur Aufweichung des Trennungsgefüges führen“, steht im liberalen Programm.

Laut Trennungsgebot dürfen Nachrichtendienste nämlich keine polizeilichen Befugnisse haben und sollen organisatorisch von der Polizei getrennt sein – das haben die Alliierten 1949 im so genannten Polizeibrief für die Bundesrepublik festgelegt. Damit sollte eine Vermischung von Befugnissen vermieden werden, wie es sie bei der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) während des NS-Regimes mit der Konsequenz brachialer Verfolgungen gegeben hatte.

Freie Hand für Provokateure

Das Papier enthält noch mehr Sprengstoff: Verdeckte Ermittler, die Straftaten begehen, sollen dafür nicht zur Verantwortung gezogen werden, solange diese zu einem "szenetypischem Verhalten" gehören. Damit wird der verbeamtete Geheimdienstmitarbeiter, der die Reichskriegsflagge hisst sicher nicht dafür bestraft. Gehört das Verprügeln von Ausländern auch zu einem „szenetypischen Verhalten“, das dann nicht geahndet wird? Und wie ist es mit Steine werfenden Ermittlern wie sie etwa als Provokateure unter den G8-Gegnern von Heiligendamm dingfest gemacht worden sind? Bleiben auch sie straffrei?

Man kann froh sein, dass die CDU solche Vorhaben nicht im Alleingang über die Bühne bringen kann. Auf die SPD als dem möglichen Koalitionspartner ist – was den Schutz der Bürgerrechte angeht – allerdings nur wenig Verlass. Der CDU-Wunschpartner FDP scheint zwar klarer für Freiheitsrechte einzutreten, doch bleibt offen, wie viel Schneid sich die Liberalen in Koalitionsverhandlungen noch abkaufen lassen.

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Geschrieben von

Connie Uschtrin

Redakteurin Politik

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