Grundsatzprogramm der Grünen Im Spagat zwischen sozialer Gerechtigkeit und Selbstbestimmung behilft sich das Papier mit Formulierungskünsten, die zuweilen aus dem Auswärtigen Amt stammen dürften
Abermals wird die Vorlage des Entwurfs für ein neues Grundsatzprogramm der Grünen zur Spitzenmeldung. In der FAZ war es vorigen Freitag der Aufmacher, noch bevor das vorlegende Gremium überhaupt getagt hatte. Warum so viel öffentliche Aufmerksamkeit? Schließlich wurde die Präambel dieses Entwurfs schon im März auf der jüngsten Bundesdelegiertenkonferenz erörtert. Was die Zeitungen damals hervorhoben, heben sie heute wieder hervor: die Grünen sind nicht mehr systemoppositionell wie 1980, sondern betrachten sich nur noch (wie das jede Partei tut) als »Alternative im Parteiensystem«. Die Grünen »wollen nicht mehr links sein«, titelt die taz. Was für eine aufregende Neuigkeit. Und sie stimmt nicht einmal. Es hei
ßt zwar tatsächlich, die Partei habe sich »jenseits des eindimensionalen Rechts-Links-Schemas zu einer eigenständigen politischen und gesellschaftlichen Perspektive zusammengefunden«. Doch bei der öffentlichen Vorstellung des Entwurfs am Montag hieß es wieder, er unterstreiche, dass man sich zur »linken Mitte« zähle.Einem eindimensionalen Schema folgt die Vorlage tatsächlich nicht, sondern einem mindestens zweidimensionalen. Die Meinungsführer der Partei sind weitgehend den Ratschlägen der linken Parteienforscher gefolgt. Statt zu sagen, sie seien links, orientieren sie sich an dem traditionell linken Wert Soziale Gerechtigkeit. Statt daraus aber alles abzuleiten, betonen sie auch ihre libertäre Werthaltung. Deshalb werden alle Programmpunkte nach Gerechtigkeit und »Selbstbestimmung« durchdekliniert. Außerdem betonen sie ihre ökologische Wurzel. Die Synthese dieser Werte wird mit einer an Hegels Dialektik der Übergänge gemahnenden Geschicklichkeit formuliert: Grünes Denken »ist von Anfang an« ökologisches Denken, »geht aus« von der Selbstbestimmung, »zielt auf« Gerechtigkeit und »gründet auf« der Demokratie. Perfekt! Wie wär´s noch mit »setzt voraus«, »schlägt um«, »geht zugrunde« - und hoffentlich, denkt der Hegelianer, wird nicht der ultimative Übergang vergessen, ohne den ja alles umsonst ist, nämlich dass sich das Denken zuletzt »frei in die Wirklichkeit entlassen« möge.Auch wenn die Berichterstattung nur wiederholt, was ihr jedes Mal einfällt, haben die Grünen selbst sich bewegt und aus ihrer internen Diskussion Konsequenzen gezogen. So hinterlässt die Intervention Axel Honneths deutliche Spuren. Der Sozialphilosoph hatte ihnen im März vorgerechnet, sie folgten einem »erweiterten« Gerechtigkeitsbegriff - der Ausdruck steht jetzt im Entwurf. Man hat ihn aber nicht als Mittel zur linken Frontbegradigung aufgefasst wie seinerzeit in Stuttgart ein Delegierter, der ihn gegen den »kulturpessimistischen Wertekonservatismus« ausspielen wollte. Vielmehr heißt es versöhnlich: »Wir haben linke Traditionen aufgenommen, wertkonservative und auch solche des Rechtsstaatsliberalismus.« Dafür fehlt die im März noch erhobene Behauptung, »grün« sei neben konservativ, sozialistisch und liberal die vierte politische Strömung in diesem Lande. Dann würde sich »grün« von all dem ja abgrenzen. Nein, es ist lieber die Synthese.Und wenn jemand einwenden wollte, so eine Wertetafel, sei sie noch so gut verschnürt, habe doch einen recht kontemplativen Charakter, dann nimmt ihm der Entwurf das Wort aus dem Mund und ist von »zwölf Schlüsselprojekten für 2020« durchzogen. Zum Beispiel »wollen wir bis zum Jahr 2020 bereits 30 Prozent des Energiebedarfs aus erneuerbaren Energien decken«. Vorausgesetzt, »wir« sind dann noch an der Regierung, muss man natürlich im Stillen hinzufügen. In diesem Fall werden bis dahin auch alle Atommeiler ausgeschaltet sein. Von denen ist schon gar kein Rede mehr. Nur die Nennung des Jahrs 2020 erinnert an die peinliche »Restlaufzeit«-Debatte.Interessant wird so ein Entwurf durch die offenen Fragen, auf deren Beantwortung sich die Meinungsführer nicht haben einigen können. In diesen Wochen des bevorstehenden Mazedonien-Einsatzes der Bundeswehr achtet der Leser besonders darauf, wie das Entscheidungsrecht der verschiedenen legalen Vertretungskörperschaften von der UNO, dem Parlament der Völker, bis hin zum deutschen Bundestag eingeschätzt wird. Da ist man erst einmal ernüchtert wegen der Punkte, die nicht einmal mehr offen sind. Zum Kosovo-Krieg heißt es nämlich, er sei »eine aufgrund der ganz besonderen Notlage und Umstände statthafte Ausnahme« gewesen. Es gibt also keinen Meinungsführer mehr, der diesen Krieg der NATO an der Seite der UÇK für verheerend falsch hielte. Für richtig allerdings auch nicht. »Statthaft«: auch das eine Formulierungskunst, die der römischen Kurie würdig wäre. Vielleicht haben Diplomaten des Auswärtigen Amtes geholfen. »Statthaft« heißt so viel wie »hinnehmbar«, doch »hinnehmbar« wäre schon zu deutlich reserviert gewesen. Schon wer herauslesen wollte, der Krieg habe nun einmal »stattgefunden« und daran sei eh nichts mehr zu ändern, aber das müsse es nun auch gewesen sein, sieht sich getäuscht. Denn drei Zeilen darunter heißt es: »Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen müssen grundsätzlich durch den UN-Sicherheitsrat autorisiert werden.«Grundsätzlich also nur! Nicht unbedingt! Die Grünen schreiben die neue grundgesetzwidrige NATO-Doktrin in ihrem Parteiprogramm fest! Und auch hier ist man über die Formulierungskunst erschrocken: Sie wagen es, sich auf ein Kapitel der Charta zu berufen, demzufolge Zwangsmaßnahmen nicht »grundsätzlich«, sondern immer vom Sicherheitsrat autorisiert werden müssen. Wer wird nicht diese Charta loben, doch wird sie jeder lesen?So bleibt als Differenz der Meinungsführer nur die Frage, ob Bundeswehreinsätze vom Bundestag mit einfacher oder Zweidrittelmehrheit beschlossen werden sollen. Und da sieht man, dass es eigentlich überhaupt völlig egal ist, was in diesem Grundsatzprogramm steht und was nicht. Denn vor einem Jahr erst hatte eine Delegiertenkonferenz gefordert, es müsse die Zweidrittelmehrheit sein. Sie kann fordern, was sie will! Gleich danach versucht man es wieder umzustoßen. Und irgendwann geben die Delegierten auf. So ist es ja immer gelaufen. - Warum interessiert sich die Öffentlichkeit für diese Partei, ihre Delegierten und Programme? Es ist wie eine ewige Hängepartie. Unter den drei beliebtesten Politikern dieser Republik sind zwei Grüne. Was sie auch tun, die Hoffnung will nimmer aufhören.
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