Geh einmal in der Sommerhitze durch die Stadt. Vor jedem Kiosk steht ein Schüsselchen, eine Schale mit klarem Wasser neben jeder Frittenbude. Da können unsre vierbeinigen Freunde sich laben. Sind Sie nicht gut, die Menschen in dieser Stadt? Jetzt, in der frostigen Winterkälte, mit hochgezogenen Schultern durch die Straßen eilend, fällt mein Blick auf kleine Netze. Mal hängen sie an Bäumen und schaukeln im Wind. Auch an Fensterkreuzen sieht man sie, gefüllt mit fetten Futterknödeln für unsere gefiederten Freunde. Wie gut für sie gesorgt wird.
Man ist gerührt. Man fühlt sich in der Pflicht. Auch gut sein. Zeichen setzen. Und die Gelegenheit wird kommen. Viel schneller als gedacht.
Es ist spät geworden. Man ist gependelt. Und
st gependelt. Und nochmals gependelt. Nun wird man wieder in der U-Bahn durchgerüttelt. Die müde hängenden Köpfe der Passagiere wackeln mit. Eine Reisende hat den Kopf auf ihren Rucksack gebettet. Neben mir lehnt ein chilenischer Musiker im Poncho, den Charango zwischen die Knie geklemmt. Das Kinn hebt und senkt sich auf der Brust. Seine Augen sind geschlossen. Der Zug hält. Durch die Tür schieben sich zwei unauffällig gekleidete, sehr wache Männer. "Fahrkartenkontrolle!" rufen sie schneidig. Panisches Hochzucken. Mühsam sich öffnende Lider. Ich fische mit unsinnig flatternden Händen nach dem Portemonnaie. Auch mein Banknachbar hat die Augen geöffnet, schaut aber verständnislos! Die beiden Kontrolleure bauen sich witternd vor ihm auf. Sehr dicht. Der arme müde Inka! Man stelle sich vor, sie nähmen ihn mit. Ich zögere ein wenig. Ein vages Peinlichkeitsgefühl ist niederzukämpfen. Endlich zücke ich das Billett. Umweltfreundlich. Premium. "Der Herr fährt auf meiner Karte", teile ich mit. Ach so? Die Kontrolettis zucken mit den Achseln. Und der Gerettete? Im sonnigen Gefühl der guten Tat, dankheischend wende ich mich dem Manne zu. Seine Augen sind geschlossen. Zurückgekrochen hinter den getrockneten Panzer seiner Gürteltiergitarre schläft er den Schlaf des Gerechten. Das Kinn senkt und hebt sich auf der Brust. Ich schlucke. Nun ja. Lautlose Aufmerksamkeiten waschen das Herz, heißt es wohl. Aber, so ein klitzekleines Quäntchen Dankbarkeit, grüble ich enttäuscht, wäre schon schön.Nun fahre ich oft mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Wer keinen Führerschein hat, braucht einen Fahrschein. Und da sind sie ja schon, die darob wachenden Kontrollorgane. Diesmal in Uniform. Und wieder sind ihre Bemühungen von Jagdglück gekrönt. Ein Student, so scheint es, sucht nach seinem Ausweis. Er krempelt langsam seinen Rucksackinhalt um. Ich warte noch. Doch ein Reflex lässt mich schon hastig durch den Wagen streben. "Sie können auf mein Ticket reisen", rufe ich beherzt und halte den Eintreibern das Premium-Kärtchen entgegen. Die blicken pikiert. Der junge Mann winkt ab. "Lass gut sein. Ich muss sowieso hier aussteigen", meint er. Da bin ich platt. Lass gut sein! Düpiert der seinen Umweltengel ungestraft und einfach so? Die Menge grinst. Ich versuche vergeblich, die Farbe der Umgebung anzunehmen. Und schwöre: Ja. Ich lasses. Gleichgültigkeit und Indifferenz sollen fortan meine Leitwölfe sein.Wie recht hat doch Friedrich Nietzsche. Eitelkeit ist die Haut der Seele. Und will man wohl tun, möchte auch der kleine mottige Seelenpelz zum Lohn gestreichelt werden. So denkt man und geht durch die Stadt. Betrachtet die leer im Wind baumelnden Futternetze. Denkt, wie herrlich und wie einfach zugleich es ist, gut zu sein. Verkneift sich den Schritt in die Futterhandlung. Hört die Meisen ihr Zizidäh singen und imaginiert die dankbar feuchten Hundeaugen, die zum Spender aufsehn. Niemals werden sie die Hand beißen, die sie tränkt. Und dann besteigt man irgendwo die Bahn.Kaum habe ich Platz genommen, ist es zu fassen, wird schon wieder kontrolliert. Das übliche Kramen beginnt. Stoisches Hinhalten, Zeigen, Wegstecken. Da entsteht im hinteren Teil des Wagens eine gewisse Unruhe. Ich rühre mich nicht vom Fleck. Aber ich spitze die Ohren. Meine Leitwölfe knurren. Ich drehe mich um, dahin, wo der Wortwechsel lauter wird. Eine ältere Dame, keine Hiesige, wird vom Personal bedrängt. Die Umsitzenden gaffen. Sie ist nervös, ihr Ton fast hysterisch. Meine guten Vorsätze wanken. Mein Wohltätigkeitsimpuls wird übermächtig und lässt sich nicht länger bremsen. Ich springe auf. Und biete meine Hilfe an. "Wenn Sie mögen", hätte ich fast hinzugefügt. Sie mag. Hat aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Anklagend hält er mir den Fahrschein hin. "Doppelt gestempelt!" knirscht er. "Na ja", begütige ich. "Das nennt man: Corriger la fortune". Der Kontroletti läuft rot an: "Wat is ditte? Ick hör ja nich richtich. Betruch is dit. Versuchter Betruch! Dit woll´n se unterstützn. Mit ihre Umweltkarte Premium? Da könn se ooch glei mit aussteign!"