Dualimus ist etwas Wunderbares. Das Leben wäre so einfach, wenn man die Welt in Dualismen aufteilen könnte: Es gäbe Gut und Böse, Leib und Seele, Kirche und Staat – als Bausteine eines binären Universalalphabets der Geschichte diskret nebeneinander sortierbar. Dualismen erfinden die Menschen immer dann, wenn ihnen eine neue Idee oder Entwicklung zu schwierig erscheint, um sie in ihrer Komplexität zu erfassen. Derzeit versucht eine neue Zwei-Reiche-Lehre die Welt in Hälften zu teilen: auf der einen Seite in die greifbare Offline-Welt und auf der anderen Seite in die virtuelle Online-Welt. Die Sorge greift um sich, ob sich nicht die Welt grundsätzlich verändern könne, wenn weite Teile des Lebens gleichsam von der Online-Welt verschluckt würden.
Braucht es nicht geradezu eine neue Art Mensch, der für die Anforderungen der digitalen Welt gerüstet ist? Braucht es Erziehungsprogramme, in denen neuartige Kompetenzen vermittelt werden, damit die Menschen fit werden für ein Leben, das über Soziale Medien vermittelt wird?
Twittagessen und Community-Besuche
Nachvollziehbare Fragen und ein gefundenes Fressen für Kulturpessimisten, die die Angst schüren, wir könnten uns als Individuen in den Weiten des Netzes auflösen und unser Leben werde zum Spekulationskapital der Eigentümer der großen Plattformen wie Facebook, Google, Twitter Co. Doch keine Sorge: In wenigen Jahren werden sich die Kulturpessimisten einen neuen Weideplatz gesucht haben, wir werden den Zweckdualismus aufgeben und es wird Ruhe einkehren in die Diskussion um online und offline. Warum? Um dies zu verstehen, ist es hilfreich sich die Mediendefinition Marshall McLuhans zu vergegenwärtigen, der 1964 Medien als „Erweiterungen des Menschen“ bezeichnete. Ein Medium ist demnach immer eine Mittel, das meine körperlichen Möglichkeiten erweitert, sie jedoch nicht ersetzt. Ein Fernseher erhöht die Reichweite meiner Augen und Ohren, ersetzt diese aber nicht. Ebenso wie ein soziales Netz in der Online-Welt nicht meine Kontakte in der Offline-Welt ersetzt, sondern ergänzt. Facebook, Xing und Studi-VZ erweitern demnach meine sozialen Möglichkeiten, sie ersetzen jedoch nicht Plattformen wie den Stammtisch, das Grillfest oder den Kick im Park.
Denn auch die Sozialen Netzwerke im Internet leben von Offline-Kontakten. Facebook wirbt damit, dass man über das Portal mit alten Freunden in Kontakt treten kann. Natürlich kann ich mein Offline-Netzwerk auch online erweitern. Doch selbst die meisten sozialen Kontakte, die im Netz entstanden sind, streben nach der realen, dreidimensionalen, nach der Offline-Begegnung. So verabreden sich Followergruppen zum „Twittagessen“ und organisieren Community-Mitglieder Museumsausflüge. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um private oder um geschäftliche Kontakte handelt. Irgendwann wird sich der im Netz begonnene Dialog in einer realen Begegnung oder in einer geschäftlichen Transaktion niederschlagen müssen – oder verebben.
Höhle aus Pizzakartons
Was bedeutet das für die Kompetenzen, die Nutzer brauchen, um Soziale Medien für sich nutzen zu können? Wer offline gut kommunizieren kann, verfügt über bessere Möglichkeiten online erfolgreich zu agieren, als ein auch ansonsten stummer Fisch. Man mag einwenden, dass es doch all die Nerds gebe, die in Online-Foren aufblühten, obwohl sie im realen Leben kaum aus ihrer Höhle aus Pizzakartons und Colaflaschen heraustreten würden, geschweige denn ein inspiriertes Gespräch mit einem realen Gegenüber führen können. Ja, es mag solche Fälle geben. Doch das dürfte die Ausnahme sein.
Die meisten Nerds werden sich auch online mit Nerds vergemeinschaften, die ähnliche Interessen haben, die ebenfalls zwischen Pizzakartons hausen und die gleichen sprachlichen Codes verwenden wie sie selbst. Auch gibt es soziale Bewegungen, Online-Petitionen und Interessen-Gemeinschaften, die nicht sämtlich auf die reale Begegnung angewiesen sind und dennoch im Sinne des Soziologen Ferdinand Tönnies die Nestwärme einer Gemeinschaft bieten. Sie machen jedoch nicht den überwiegenden Teil der Social-Media-Aktivitäten aus und es ist nicht abzusehen, dass sich soziale Bewegungen gleichsam aus einer Internet-Ursuppe erheben werden, ohne dass es in der Offline-Welt ein entsprechendes Korrelat gäbe.
Das Internet erleichtert es, in Kontakt zu bleiben und Kontakt aufzunehmen – aber es ersetzt nicht die unmittelbare Begegnung. Wenn online zu sein bedeutet, dass ich meine Möglichkeiten erweitern kann, die mir auch offline zur Verfügung stehen, dann braucht es keinen neuen Menschen, um sich im virtuellen Raum zu bewähren. Um soziale Medien erfolgreich nutzen zu können muss ich kommunizieren können, dialogbereit sein, mich ausdrücken und zuhören können. Ich muss Grenzen ziehen können, um mich nicht im Kontaktangebot zu verlieren. Ich sollte aufmerksam sein, um herauszufinden, welche Leute mir gut tun und welche mir auf die Dauer schaden. All das aber sind Fähigkeiten, die mir im Netz ebenso nützen wie in der Kneipe.
Claas Triebel ist Psychologe und Autor von Mobil, flexibel, immer ereichbar Wenn Freiheit zum Albtraum wird (Artemis Winkler 2010)
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.