Ohne Amt

Linksbündig Die Post schließt ihre Filialen in Orten mit weniger als 2.000 Einwohnern. Muss man da protestieren?

Als die Post noch amtlich war, gab es erstens Postämter und zweitens das Amt des Postministers. Letzterer fuhr am 12. Februar 1987 nach Bamberg, um eine Winnetou-Briefmarke zu präsentieren. Es war, als ob bei diesem Festakt ein alter Vergleich auf den Punkt gebracht werden sollte: der Vergleich zwischen der Entdeckung Amerikas und der Erfindung des Postwesens. Wie jeder Thomas-Pynchon-Leser weiß, haben Kolumbus und die Familie Thurn und Taxis die Welt verändert. Seitdem sind die Wege der Codes genau so wichtig wie Handelsstraßen oder Schifffahrtswege, und das heißt: von staatlichem Interesse. Im Rahmen dieses Dispositivs bauten Staaten Postämter und stempelten Postminister Winnetou-Marken. Und aus dem nämlichen Grund glaubten bekiffte Hippies in Pynchons Roman The Crying of Lot 49 (1966) einer postalischen Verschwörung ausgesetzt zu sein. Denn wer die Zeichenwege kontrolliert, der hat die Macht und also Anteil am Reich des Bösen. Woraus unsere Pynchon-Helden schlossen, dass man in den postalischen Untergrund gehen müsse - für einen Aufstand gegen die Post.

Mit diesen interessanten Konstellationen scheint es aus zu sein. Gewiss, die Parole klingt immer noch gut: Erhebt euch gegen die Post! Die Frage aber, wo es hier bitte zur Front geht, ist nicht mehr ganz so leicht zu beantworten. Als am 31. 12. 1997 das deutsche Postministerium aufgelöst wurde, hat sich offensichtlich mancher nicht recht klar gemacht, was das bedeutet. Erst das sukzessive Verschwinden der Postämter aus dem Straßenbild offenbart ein seltsam ambivalentes Problem.

Es ist ja nicht so, dass die Post verschwindet, sondern ihr amtlicher Charakter, das Post-Amt im Doppelsinn von Staat und Gebäude. Es scheint auf bestem Wege in die ewigen Jagdgründe, will sagen: in den Supermarkt. Sein Überleben in der Ecke hinter der Kühltheke strahlt eine mehrfach kodierte Botschaft aus.

Erstens: Diese Ecke muss man suchen, sie drängt sich nicht mehr repräsentativ in den Vordergrund. Auf dem Lande kann es durchaus sein, dass man lange fahnden und weite Wege fahren muss, um sein Päckchen loszuwerden. Das ist leidig. - Andererseits scheint der Verlust des Repräsentativen entlastend zu wirken. Hier thronen keine kafkaesken Vaterfiguren mehr, keine Staatsbeamten, die den Kunden mit Paragraphen abwehren. Selbst in Berlin scheint die Verabschiedung der Amtsstube das Personal freundlicher zu machen. Das wäre in Ordnung.

Die Postecke im Supermarkt vermittelt jedoch noch eine weitere Botschaft, von der auch linke Postkritiker eingeholt werden. Es scheint einer narzisstischen Kränkung gleichzukommen, dass unsere Liebesbriefe nicht mehr amtlich werden, weil Vater Staat sich nicht mehr recht dafür interessiert. Für diesen Aufmerksamkeitsentzug gibt es eine einfache Probe: Man schreibe hundertfach "Al Quaida" in einen Brief - danach kräht kein Hahn, kein Zensor oder Postminister. Man mache als Gegenprobe dasselbe in einer Email. Die Wahrscheinlichkeit, daraufhin einen Polizeieinsatz zu erleben, wächst rapide. Immerhin scannen ganze Fabrikhallen voller CIA-Supercomputer pausenlos den weltweiten Emailverkehr auf terroristische Hinweise. Verglichen damit beschleicht den Kunden an der Postecke im Supermarkt das seltsame Gefühl, vom Weltgeist abgeschnitten zu sein.

Als die Post noch amtlich und damit Teil des Weltgeists war, verfasste der Königlich Preußische Postrat Stephan eine Geschichte der Preußischen Post von ihrem Ursprunge bis auf die Gegenwart (Berlin 1859) - ein Grundlagentext für alle Verschwörungstheoretiker der Informationsgesellschaft. Stephan war es auch, der für repräsentative Postämter sorgte: Prachtbauten voller Herrschaftssymbole, amtlich in jedem Sinne. Man betrachte sein Berliner Postamt in der Leipziger Straße, inzwischen ein Museum seiner selbst. Das war noch ein Post-Amt! Gleich über dem Eingang stemmt ein Herkules den Globus in die Luft, denn die Post war immer schon globalisierend. Drinnen eine Marmorhalle mit Ständewappen, breiten Treppen, Kaiserlogen - alles wie geschaffen, auf dass Postminister Indianerbriefmarken stempeln. Und die Gewissensfrage lautet: Sehnen wir Postkritiker uns etwa danach zurück?


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