Ohne Bezug zur Wirklichkeit

#ReconquistaInternet Geht es der von Jan Böhmermann ins Leben gerufenen Troll-Bewegung gegen Rechts um die Lösung virulenter Probleme – oder um satirischen Klamauk mit Wohlfühlfaktor?
Alles bloß Theater?
Alles bloß Theater?

Foto: Dan Kitwood/Getty Images

Jeder, der sich schon mal in eine Diskussion im Internet begeben hat, weiß, wie anstrengend das ist, wie schnell Worte fallen wie: Lösch dich, geh sterben. Das ist vielleicht auch Jan Böhmermann aufgestoßen, der auf der Republica die #ReconquistaInternet-Bewegung – als Antwort auf das rechtsradikale Internet-Netzwerke „Reconquista Germanica“ – ins Leben gerufen und damit offensichtlich auch bei anderen einen Nerv getroffen hat: Der große Saal war voll, die Mitglieder-Zahl schoss angeblich auf über 50.000, im Journalisten-Netzwerk Twitter gab es viel Zuspruch.

Es gehe darum die bösen Trolle zu vertreiben. Gute Trolle gegen Böse. Wie ernst es Böhmermann damit meint, ist schwer zu sagen, schließlich sagte er selbst, #ReconquistaInternet sei „ein satirisches Internetprojekt ohne Bezug zur Wirklichkeit“. Es wird also schwer, Böhmermann für konkrete Inhalte zu kritisieren, am Ende ist doch alles nur Spaß. Was man aber durchaus kritisieren kann ist, wie es rezipiert wird und wie es sich in bestehende Diskurse einfügt.

Seit ein paar Jahren schon sind Trolle und Hatespeech Schreckgespenster, als Donald Trump Präsident wurde, hieß es, nun sei ein Troll an der Macht, und Carolin Emcke schrieb sogar ein prämiertes Buch „Gegen den Hass“. Die Probleme heißen dann nicht mehr Rassismus, Antisemitismus, Sexismus oder auch nur blanke Wut, es spielt keine Rolle, ob es bezahlte Trolle, organisierte Nazis oder Menschen sind, die alleine vor dem Rechner sitzen und sich aus Gründen, die man herausfinden müsste, Gehör verschaffen.

Das ist nicht das einzige Problem: Schon der Name #ReconquistaInternet zeigt, es geht ums Netz. Und darüber existiert das anhaltende Missverständnis, es handele sich um einen besseren und utopischen Ort – aus dieser Perspektive kann man verstehen, warum Hass, Wut, Gewaltandrohungen als fremd wahrgenommen werden. Aber auch das Netz ist nur so gut oder schlecht ist wie der Rest der Gesellschaft.

Das heißt, um wirklich gegen Netzwerke wie „Reconquista Germanica“ vorzugehen, müssten wir die ganz realen Zurichtungen beseitigen, die für ihren Erfolg sorgen. Klar, das ist komplizierter und unbequemer als, sich auf der Seite der Guten wähnend, im Netz gegen die Bösen zu kämpfen. Am Ende bleibt die Frage an die die #ReconquistaInternet-Bewegung: Sind sie wirklich an der Lösung des Problems interessiert und machen sie das nur für das eigene gute Gefühl?

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden