Mexikos Präsident Carlos Salinas de Gortari hatte es sich damals so schön vorgestellt: Mexiko würde in der Silvesternacht 1994 seinen Beitritt zum Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA) und damit seine Zugehörigkeit zur sogenannten Ersten Welt feiern. Doch dann kam alles ganz anders.
Ein Aufstand der indigenen Bevölkerung in sieben Gemeinden des südlichen Bundesstaates Chiapas rief den Mexikanern schmerzlich ins Bewusstsein, dass das Land noch so manches ernste Problem zu lösen hatte, und keineswegs nur das aufstrebende Schwellenland war, als das ihr Präsident es so gern verkaufte.
Die Armee der Aufständischen nannte sich Zapatistisches Heer zur Nationalen Befreiung (EZLN) und wie 75 Jahre zuvor der legendäre Revolut
#173;däre Revolutionär Emiliano Zapata reklamierte sie nicht die Macht im Staat, sondern Freiheit, Land, Gerechtigkeit, Bildung Gesundheit, Brot und Wohnung. Darüber hinaus stritt sie für ein Ende der „illegitimen Regierung Salinas de Gortari“, denn dieser war durch Wahlbetrug an die Macht gekommen. Die EZLN hatte die sieben Gemeinden im Handstreich genommen und korrupte Bürgermeister und Staatsbeamte ebenso vertrieben wie Großgrundbesitzer, die ihre indianischen Tagelöhner gnadenlos ausgebeutet hatten.Der Aufstand der Zapatisten stieß damals im ganzen Land auf große Sympathien, denn nicht nur in Chiapas war man die seit 1929 ununterbrochen regierende Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) gründlich leid. Die PRI stand für eine Gleichschaltung von Justiz, Medien und Gewerkschaften, für eine völlige Aushöhlung der Demokratie, für Vetternwirtschaft, Korruption und nicht zuletzt für eine Politik, die für die Armen nur Almosen, aber keine strukturellen Veränderungen vorsah.Kaum hatten die Zapatisten die Zähne gezeigt, ging ein Ruck durch das Land: Die Medien trauten sich plötzlich, frei darüber zu berichten, wie es in Chiapas aussah. Der Aufstand läutete das Ende des PRI-Staates ein.Als Sprecher der Aufständischen trat ein Weißer auf, der sich Subcomandante Marcos nannte. Er verbarg sein Gesicht hinter einer schwarzen Strumpfmaske, und ob seiner Wortgewandtheit und Schlagfertigkeit avancierte der „Sub“ bald zum Lieblingskind der nationalen und internationalen Presse.Erst nach einigen Jahren wurde es still um ihn und seine EZLN. Die Medien hätten sich eben neuen Modethemen zugewandt, meint er in einem von mehreren Interviews mit der mexikanischen Journalistin Laura Castellanos. Diese Ende 2007 geführte Interview sind nun unter dem Titel Kassensturz als Buch erschienen.Stichworte statt FragenDoch das ist nur die halbe Wahrheit. Die EZLN hat seit ihrem siegreichen Überraschungsangriff Anfang Januar 1994 nur noch Schlappen einstecken müssen, und Verlierer haben - für die Medien allemal, aber ebenso für die meisten Bürger - nur geringe Anziehungskraft, auch wenn sie für eine gerechte Sache streiten. Der größte Rückschlag für die EZLN war zweifellos, dass das mit der Regierung in zähen Verhandlungen 1996 parafierte Abkommen von San Andrés, das den indigenen Völkern zu mehr Rechten verhelfen sollte, vom Parlament nicht ratifiziert wurde.Die Indígenas erfuhren einmal mehr, dass über den institutionellen Weg nichts zu erreichen ist, sagt dazu Marcos, doch man könnte ihm auch entgegenhalten, dass seine Strategie falsch war. Leider hat Laura Castellanos es in ihren Interviews versäumt, da genauer nachzuhaken. Sie fragt weniger, begnügt sich vielmehr als Stichwortgeberin, und so ist von einer Analyse, die über Schuldzuweisungen an die Adresse des politischen Gegners hinausgeht, wenig zu finden.Als mit allen Wassern gewaschener Kommunikationsspezialist weiß Marcos die Schwäche der Journalistin auszunutzen und erzählt, was ihm in den Sinn kommt. Das ist nett zu lesen, wenn man an Politklatsch interessiert ist. Man erfährt, dass er zugenommen hat, sein Pferd auf den Namen Pánfilo hört, dass er mehrfach verheiratet war, aber seit einer Weile wieder geschieden ist, über keine feste Wohnung verfügt und für den uruguayischen Autor Eduardo Galeano schwärmt.Und: Natürlich ist er nicht der Philosophieprofessor Rafael Sebastián Guillén aus Tampico, für den der mexikanische Geheimdienst ihn hält. Sechzehn hervorragende Fotos des Society-Fotografen Ricardo Trabulsi vom Subcomandante unterstreichen, dass es hier vor allem um Starkult geht. Als Castellanos den Subcommandante dann auch noch nach seiner Meinung zu Angelina Jolie befragt, kommt in seiner Antwort deutlich zum Ausdruck, dass er die Interviewerin nicht sonderlich ernst nimmt. Wenig professionell auch, dass sie immer darüber informiert, wenn wieder ein Band voll ist. Spätestens da hätte das Lektorat einschreiten müssen.Rotation SelbstverwaltungMarcos berichtet aber auch über die interessanten Selbstverwaltungsansätze in den Gemeinden, in denen die ELZN sich nicht von der Regierung hat verdrängen lassen. Um Korruption zu vermeiden und keine Berufspolitikerkaste zu schaffen, werden dort sämtliche Posten in einem Rotationsverfahren besetzt.Auch sind diese Gemeinden nicht bereit, Hilfsgelder von der Regierung anzunehmen, nicht nur, um sich nicht kaufen zu lassen, sondern auch, damit die Menschen lernen, sich nicht auf den Staat zu verlassen Laut Marcos geht es diesen Gemeinden heute um Vieles besser als den Nachbarmunizipien.Der geneigte Leser hätte sich gewünscht, dass Castellanos, da sie doch nun schon in Chiapas war, sich einmal gründlich umgeschaut hätte in diesen Gemeinden, denn derartige Selbstverwaltungserfahrungen sind schließlich nicht alltäglich und wären allemal eine Reportage wert gewesen. Doch sie belässt es bei der Feststellung, dass dort alles so ist wie von Marcos beschrieben. Journalisten, die den Zapatistas durchaus wohlwollend gegenüberstehen, werfen diesen vor, dass sie der Bevölkerung „ihrer“ Dörfer auch verbieten, staatliche Krankenhäuser in Anspruch zu nehmen. Auch darüber hätte man gern mehr erfahren.Seit kurzem ist Marcos auf Tournee, sozusagen. Von den Medien unbemerkt, knüpft er ein landesweites Netzwerk, um „die ewig Vergessenen“ aus ganz Mexiko zusammenzubinden. Die EZLN hat schon einmal für eine Überraschung gesorgt, so ist es zumindest nicht gänzlich auszuschließen, dass ihr irgendwann noch einmal ein großer Coup gelingt.
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