Ohne Gnade

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Im deutschen Sportjournalismus wird zur Zeit heftig geknüppelt. Auf einen der größten Fußballspieler des 20. Jahrhunderts wird eingedroschen, als müssten die Berichterstatter ihren Hass von der langen Leine lassen. Für das tragische Schicksal des Diego Armando Maradona gibt es kein Verständnis, von Mitgefühl kann schon gar nicht die Rede sein. Wahrscheinlich rächen sich die Sportreporter für die Niederlage, die Maradona im Endspiel der Fußballweltmeisterschaft 1986 in Mexiko der Truppe von Franz Beckenbauer bereitet hatte. Der entscheidende Pass zum Siegestor ging von Maradona aus. Toni "Rambo" Schumacher war zu weit aus dem Tor gekommen, Maradona sah mit seinen tausend Augen am Körper den Fehler, und die Niederlage war besiegelt. Uli Stein, den besseren Torwart der Auswahlmannschaft, hatte der "Kaiser" Franz nach Hause geschickt, weil er die Nationalmannschaft als Gurkentruppe gegeißelt hatte. Mit Uli Stein wäre die Bundesrepublik wahrscheinlich Weltmeister geworden. So wurde der herrische Franz Beckenbauer für seine Arroganz und Uneinsichtigkeit im Endspiel doch noch bestraft.

Diego Armando Maradona wird nun aus sicherer Distanz vorgeworfen, dass er seine Drogensucht nicht in den Griff kriege. Das Vorbild, das ihm unter die Nase gerieben wird, wie ein Kicker sich zu verhalten habe, ist naturgemäß der "Kaiser" Franz, der so alert von der aktiven Laufbahn in die Trainer- und Vereinstätigkeit hinübergeglitten ist. Zwischen Maradona und Beckenbauer tun sich Welten auf. Schon allein die Vorstellung ist nicht möglich, dass sich der rechte Franz Beckenbauer nach Beendigung seiner Laufbahn als Spieler die Haare gefärbt und ein Che Guevara-T-Shirt übergestreift hätte.

Um den gefallenen Engel in die Gosse zu stoßen, werden von Maradona hässliche Fotos veröffentlicht. Als Anfang der neunziger Jahre der Kokainskandal über diesen Ausnahmekönner hereinbrach und aus Maradona "Maracoca" wurde, begann die Hetzjagd auf diesen Solitär. Es gab kein Halten mehr bei dem finsteren und grausamen Gelüst, Maradona vom Thron hinabzustoßen.

In der allgemeinen Häme sind die politischen Kämpfe des Diego Armanda Maradona schnell vergessen worden. Der "Goldjunge" hat sich gegen die Machenschaften der FIFA zur Wehr gesetzt und eine Beteiligung der Spieler an den Einnahmen bei Weltmeisterschaften gefordert. Wie alle Künstler wollte auch Maradona für seine Zaubertricks und seine Dribbelkünste entlohnt werden. Doch die Geldsäcke der FIFA strichen das viele Geld ein, das den Spielern gehören müsste.

Das fehlende Verständnis für das Schicksal von Maradona hat in Deutschland damit zu tun, dass es in diesem Land fast kein Empfinden für Tragik gibt. In diesen Breiten zählen nicht nur im Fußball die Untugenden des Kämpfens, des Grätschens und der Kondition. Alles Eigenschaften, die für einen Fußballer aus Lateinamerika einfach Todsünden sind. Berti Vogts war die Inkarnation des trostlosen Hineingrätschens. Auch als Bundestrainer hat Vogts sein Team auf diese Eigenschaften getrimmt. Da aber auch im Fußball hin und wieder Gerechtigkeit waltet, wurde Berti Vogts mit schlimmen Niederlagen bestraft.

Wer sich jedoch ein genaueres Bild von der sagenumwobenen Laufbahn des Diego Armando Maradona machen will, der vertiefe sich in Jimmy Burns Biographie Die Hand Gotttes (Sportverlag, 1998) oder in den wunderschönen Essay von Eduardo Galeano in Der Ball ist rund, und Tore lauern überall (Peter Hammer-Verlag, 1998). Bereits Mitte der neunziger Jahre schrieb Galeano, dass es auf der ganzen Welt genügend Leute gibt, die bereit waren, den Fall von Diego Armando Maradona zu feiern, "dieses Eindringlings in obere Etagen, dieses Neureichen, der dem Hunger entronnen war und es wagte, aufsässig und großmäulig zu sein". Maradona hatte in den Planspielen der Fußball-Mächte den Fehler begangen, über Jahre hin der Beste zu sein.

Es hat nicht lange gedauert, so Eduardo Galeanos mitfühlendes Verstehen, bis Maradona merkte, wie unerträglich es ist, "als Gott in den Stadien zu arbeiten". Maradona ist in seinem Herzen ein Rebell geblieben: "Dieser kleine, immer widersprechende Hitzkopf hat die Angewohnheit, Schläge nach oben auszuteilen."

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